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Gesellschaft & Geschichten

Hiergeblieben

Eine(r) von vielen - Eine Kolumne von Yasmin Polat

Sie hat gewonnen. Und weiß gar nicht so genau, was. Aber sie hat gewonnen. Daher lächelt sie jetzt, während sie sich in der Bahn umsieht. Wie immer wird ihr Blick nirgendwo aufgefangen,  sondern irrt ziellos zwischen den blauen Stoffsitzen herum. Die letzten Wochen sprachen alle immer wieder über ihre alte Heimat. Tag für Tag war ihr altes Zuhause in den Nachrichten zu finden. Endlich, nach 37 Jahren hier. Sonst hatte sie vergebens danach gesucht – zum Beispiel im Ersten, wo sie immer diese Soap schaute, die Blumen im Namen hatte. Die hatte so gar nichts mit ihr zu tun.

Alles, was jetzt im Fernsehen lief, handelte von ihr. Und trotzdem: In der Bahn sieht sie niemand.

Bei Gott

Was das jetzt alles genau heißen würde, das wusste ja niemand so wirklich. Mein Gott, man kann ja auch nicht immer alles wissen. Wichtiger war doch jetzt das Gefühl des Zusammenseins, der Übereinkunft und des Neuanfangs! Bei Gott, so einen Neuanfang hat sie gebraucht. Ihr letzter ist schon 37 Jahre her. Ihre letzte gute Tat ist von gestern.

Sie steigt jetzt aus, läuft zu ihrem Haus, geht die vier Stufen zur Milchglastür hoch, schließt sie auf. In der Wohnung kocht sie Tee und legt staubige Vanille-Kekse in Form eines Seestern auf den Teller. Sie zieht die leichten, weißen Gardinen zu und schaltet den Fernseher an. Ihre Serie beginnt.

„Das sind wir!“

Ihr Sohn kommt auf Socken in den Flur, ganz leise, da er weiß, dass gerade Serien-Zeit ist.
Er will nochmal raus zu seinen Freunden. Sie hört ihn immer, wenn er den Schuhanzieher vom Garderobenhaken nimmt. „Oğlum, Junge“, sagt sie. Komm mal zu mir.“ Er kommt in einem Schuh ins Wohnzimmer gehüpft. Die komische Blumen-Serie läuft nicht, stattdessen flimmert ein Spezial zu den gestrigen Ereignissen über den Bildschirm. Bilder der Heimat seiner Mutter. „Bak, guck mal, das ist Istanbul“, sagt sie und strahlt während sie mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm zeigt. „Das sind wir!“

Er versucht, sich in den Fernsehbildern zu finden. Aber sieht nur das Lächeln seiner Mutter, das sich im Bildschirm spiegelt.

„Gehst du etwa noch raus, weg von mir?“ fragt sie ihn, wie immer leicht vorwurfsvoll mit einem verschmitzten Lächeln. Sie umarmt ihn. Er kann nur Hayır sagen. Heute bleibt er hier, bei ihr.

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