„Du erwartest etwas, du erwartest etwas von der Welt und diese Erwartung ist wie ein Nerv, der zuckt.“
Was passiert, wenn Terrorismus alltäglich wird und sich eine irrationale Angst davor in unser Leben schleicht? In „ZUCKEN“, dem neuen Stück im Maxim-Gorki-Theater schickt die Autorin Sasha Marianna Salzmann vor Wut und Lebensdrang strotzende Teenager über die Bühne, die es satt haben, nach Antworten zu suchen und anfangen wollen zu handeln.
Handys als Multiplikatoren
Unter der Regie von Sebastian Nübling kämpfen die Schauspieler des jungen theater basel Schritt für Schritt gegen das Ohnmachtsgefühl in einer Realität an, in der ihnen die ganze Welt auf dem Teller präsentiert wird und viele angesichts des Informationsüberflusses tatenlos werden. So scheint auch der Nebel auf der Bühne die dichte Masse an Informationen zu symbolisieren.
Den Ausgangspunkt des Stücks liefert der Chat zwischen einer jungen Schweizerin und einem syrischen Freiheitskämper. Er schreibt ihr Gedichte, sie verliebt sich und beschließt, zu ihm zu reisen. Die lächelnden, Küsschen-werfenden Emojis, die sie an ihn schickt, werden für die Zuschauer mit einer guten Prise Sarkasmus vorgeführt. Dass hier Kritik an der digitalen Kommunikation geübt wird, die unsere Gefühlswelt maßlos vereinfacht, ist ein voreiliger Schluss. Es wird klar, dass Handys Bestandteile einer sich immer wandelnden Kultur sind und als Multiplikatoren unserer Gedanken dienen.
Es gilt, Klischees abzubauen
Durchweg verwebt das Stück das Thema des Erwachsenwerdens mit aktuellen politischen Geschehnissen. Immer wieder lässt die Gegenwärtigkeit des Terrors ein Zucken in die jungen Körper fahren. Mal geschieht es unbewusst – wie ein Aufwachen aus der Traumwelt –, mal selbstgewählt – als gestikulierte man „Na und?“.
Gerade gegen die Tatenlosigkeit kämpfen die Teenager radikal an. Aktiv versuchen sie Klischees abzubauen, die ihnen oft leichtfertig vorgeworfen werden. Dass sie im Westen im Luxus leben, wissen sie, aber das Gefühl, dass ihnen dennoch etwas wichtiges fehlt, können sie nicht abschütteln. Also stürzen sie sich auf der Suche nach einem höheren Sinn und nach der Wahrheit in das Leben, mit Gewalt und Übermut.
Pluralität der Gedanken
Wie viele versuchen auch sie, ihre Sorgen wegzutanzen und sich mit Musik zuzudröhnen, um die allgegenwärtige Gewalt nicht mehr hören zu müssen. Es ist ein Ringen nach Identität und der Versuch, sich selbst zu verstehen und in all dem Durcheinander zu verorten.
Das Stück manifestiert in vielerlei Hinsicht eine Pluralität. Eine Pluralität der Gedanken, Sprachen, Kulturen und Antworten. Parallele Szenen vermitteln die Gleichzeitigkeit der Lebensprozesse und so reden die Jugendlichen oft aneinander vorbei.
Ihre geteilten Frustrationen bündeln sie im Sprechchor und im Tanz zu lauter, vibrierender Musik. Kritisiert wird unter anderem, dass viele das Leben einfach über sich ergehen lassen und sich vor der Realität verstecken. Als Interpunktionen verstärken diese Passagen die Wirkung des Textes.
„Entweder man entscheidet sich, zu leben mit vollen Kompromissen oder gar nicht zu leben“ teilt eine der Figuren aus einem Camp in kurdischem Gebiet in einer Nachricht an ihren Vater mit.
Es ist die Bewegung und die gebündelte Energie junger Menschen, die „ZUCKEN“ so überwältigend macht. Mehrmals bringt das Stück den Zuschauer selbst zum Zucken und macht die Debatte um Medialisierung und globalisierte Konflikte greifbar. Die gegenläufigen Handlungen der Figuren wirken realistisch, da es selten einfache Antworten auf komplexe Fragen gibt.
Nach der Erstaufführung im März kehrt „ZUCKEN“ am 3. und 4. Juli jeweils um 19:30 Uhr ins Gorki zurück. Ein Besuch ist wärmstens zu empfehlen.
Text: Sasha Marianna Salzmann
Regie: Sebastian Nübling
Ausstattung: Ursula Leuenberger
Sound: Lukas Stäuble
Dramaturgie: Ludwig Haugk, Uwe Heinrich
Text: Binnur Cavuslu
Fotos: Esra Rotthoff, Ute Langkafel