Zu Gast bei Esra Rotthoff

Außerhalb der Comfort Zone

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Die mehrfach ausgezeichnete Künstlerin Esra Rotthoff, geboren 1981 in Berlin, studierte an der Universität der Künste Berlin wo sie auch den Abschluss des Meisterschülers (Ph.D in Art) erlangte. Auf ihrem bisherigen Weg stellte sie auf internationalen Messen aus und hatte ihre Solo-Ausstellungen „Muse/Flink“ in der Galerie The Empire Project (2013) in Istanbul. Zur Zeit kollaboriert sie mit dem Maxim Gorki Theater und ist die Artdirektorin des Staatstheaters, das zum Theater des Jahres gewählt wurde. Und wir hatten das Vergnügen, uns mit ihr zu treffen.

Esra, in deiner Jugend hast du vor allem gezeichnet. Wie hast du die Fotografie für Dich entdeckt?

Ich habe schon als Kind gut gezeichnet. Meine Mutter hat mir Skizzenbücher gekauft und ich besaß tolle Aquarellfarben. Nach einiger Zeit habe ich alle visuellen Bereiche für mich entdeckt und festgestellt, welche die Vor- und Nachteile verschiedener Ausdrucksweisen sind. Während des Abiturs habe ich nicht für Prüfungen gepaukt, sondern im Garten gemalt. Ich wusste, dass da noch mehr ist. Ich habe immer auch fotografiert, aber konnte die Bilder, die ich im Kopf hatte, anfangs nicht gut umsetzen.

Im Studium habe ich mit zwei Mädels ein Non-Profit-Hochglanzmagazin herausgegeben. Es hieß „Berlin Haushoch“ und porträtierte in jeder Ausgabe einen Berliner Stadtteil. Nach dem Studium fing ich an, Jobs und Artdirektionen zu übernehmen und arbeitete nach meinem Meisterschüler in Malerei an der UDK mit dem Ballhaus Naunynstrasse zusammen.

Wie kommst du auf Ideen und Umsetzungen deiner fotografischen Inszenierungen?

Es gibt ganz unterschiedliche Wege. Weg eins ist: Ich habe eine Idee, möchte etwas ausdrücken, ein Gefühl, ein Statement. Im Kopf habe ich dann dieses Bild. Die Fotografie ist der Weg, es für andere sichtbar zu machen. Wichtig ist der Prozess – die Bilder sind nur Beweismittel. Der andere Weg ist, dass ich aus einer Person schöpfe. Wie eine künstlerische Kollaboration. Da ist etwas, dass ich herausfinden möchte. Ein Rätsel und dieses löse ich durch Kommunikation. Ich bin das Medium, das die Geschichte, das Gefühl, die Narration aufgreift und umsetzt in ein Mise en Scène, in eine Bildwelt. Der dritte Weg ist die komplette Anarchie. So arbeite ich vor allem, wenn ich reise. Das Arbeiten folgt dann keinem Muster. Es ist wie eine Skizze, eine Expertise um meinen eigenen Blick zu erfrischen.

Meine Fotografie wird oft als stark inszeniert wahrgenommen, aber sie erzählt den gesamten Moment zwischen mir, der Person und dem Moment, den wir gemeinsam hatten. Es ist also auch immer ein dokumentarisches Element vorhanden.

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Deine Bilder sind von einer starken Symbolik geprägt. Ein besonders bekanntes Bild ist von der Fotostrecke „Almancı“: ein nacktes Mädchen, das ein totes, blutendes Lamm auf dem Schoss hält. Was möchtest du damit ausdrücken?

Ich arbeite gerne mit Symbolen. Mir geht es nicht um Tod oder Blut oder darum, zu provozieren. Es geht um ein Sinnbild für etwas anderes. Bei dieser Serie ging es mir um Bilder, die ich aufgrund meiner kulturellen Gemischtheit und den Schwierigkeiten, die dadurch entstehen, in mir trage. Beispielsweise wie man auf Symbole schaut und Dinge unterschiedlich emotional verknüpft.

Für das Almancıfestival entwarf ich eine Serie, die auf dem Dialog basiert, den man in sich trägt, wenn zwei Kulturen aufeinandertreffen. Das Lamm auf dem Schoss der Frau steht in der einen Kultur für die Opfergabe und in der anderen Kultur für das Gotteslamm, das man nicht schächten darf. Schon gar nicht dürfte es auf einer nackten Frau liegen. Damit stoße ich bei beiden Kulturen an Grenzen. Zudem gibt es in der Türkei die Kunstgeschichte nicht in der Form wie in Deutschland. Es gibt keine Abbilder von Menschen. Meine Intention war, dass ich Bilder zurückgebe und neue Ikonen schaffe, die die Gemischtheit von Kulturen vereinen.

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Du verfolgst eine ganz eigene Ästhetik. Wie würdest du deinen Stil beschreiben?

Das Werk eines Künstlers ist immer ein Spiegel dessen, wie er oder sie die Welt sieht. Ich sehe die Welt sehr schön. Es geht mir um den Blick selbst, nicht um Schönheit im klassischen Sinne, sondern um Schönheit, die durch Offenheit entsteht. Beispielsweise die Frauen in meinen Bildern. Sie sind keine Objekte, sie sind Subjekte. Sie sind in der Lage zu entscheiden, was sie tun. Dies sieht man an ihrem Blick, an der Körperhaltung. Sie sind stark und keine Projektionsflächen für merkwürdige Phantasien. Das ist mir wichtig. Es geht um den Dialog, der durch die Bilder entsteht. Ich verführe mit Schönheit und konfrontiere mit Inhalt. Das ist die Art, wie ich arbeite.

Du reist sehr viel. Was macht für dich den Reiz aus, in anderen Ländern Fotoprojekte umzusetzen?

Ich muss immer ausserhalb meiner comfort zone sein; Berlin macht mich sonst träge. Ich habe hier schon so viel gemacht und bin hier geboren und aufgewachsen. Ich brauche Reize, die mich herausfordern. Ich will viel lernen, andere Kulturen verstehen und mich mit ihnen verbinden. Ich glaube an Veränderung. Wenn ich dann von meinen Reisen zurückkehre, kann ich auch Berlin verändert wahrnehmen.

Du betreibst neben deiner Website einen Blog, auf dem nochmals eine ganz andere Seite deines fotografischen Arbeitens zu sehen ist.

Ja, das ist mein Reiseblog, den ich letztes Jahr begonnen habe und auf dem ich auch schreibe.

Eine interessante Fotostrecke ist „Abra os olhos – Open your eyes“. Das ist ein Projekt, das ich in Porto gemacht habe. Ich kam in Kontakt mit der Präsidentin einer Organisation, die Essen für Obdachlose ausgibt. Sie rief mich an und sagte: „Heute Abend gehen wir raus und geben Essen aus, möchtest du mitkommen?“ Mir war wichtig, keine voyeuristischen Fotos zu machen. Mein Konzept war dann, dass die Menschen, die ich fotografiere, ihre Augen schliessen und sich etwas wünschen. Wenn sie die Augen öffnen und ich den Auslöser drücke, haben sie noch den Wunsch in ihren Augen. Ich habe sowohl die Obdachlosen selbst, als auch die Leute, die das Essen ausgeben, porträtiert. Sie sind also gemischt und niemand weiß, wer wer ist.

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Und an was arbeitest du als nächstes? Kannst du uns etwas über deine Zukunftsprojekte verraten?
Ich sage lieber etwas über Dinge, die fertig sind, als über Dinge, die noch in der Line sind.

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Credits
Text: Lena Elbert
Fotos: baderelbert.de

Quelle der fotografischen Arbeiten:
blog.esrarotthoff.com
esrarotthoff.com

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