Im Gespräch mit dem Journalisten Hakan Tanriverdi
Kein anderer Artikel des Journalisten Hakan Tanriverdi (u. a. Süddeutsche.de, WIRED) hat ein solch bewegendes Feedback bekommen wie der über die Beziehung zu seinem depressiven Vater. „Natürlich verzweifeln wir, wir verlieren euch hier“, ist einer dieser Sätze, der Hakan dazu veranlasst, über Depressionen bei Eltern mit türkischen Migrationshintergrund zu recherchieren. Seine überraschenden Erkenntnisse aber auch persönlichen Erfahrungen hat der Dreißigjährige in einen lesenswerten Blogartikel gepackt. Wir sprachen mit dem Journalisten aus München über „Bruchreif“ und darüber, wo es in den Medien „knackt“.
Hakan, Dein Blogartikel „Bruchreif“ über depressive Väter in Familien mit türkischem Migrationshintergrund hat auf deiner Facebook-Seite viel Zuspruch bekommen und wurde in den sozialen Medien unzählige Male geteilt. Manche Leser schreiben sogar, dass sie weinen mussten. Hast Du mit solch einem Feedback gerechnet?
Wenn dich jemand an einen Ort mitnimmt, der dem Autor persönlich wichtig ist, sorgt es in aller Regel dafür, dass die Leute etwas damit anfangen können, da es nicht distanziert ist und du dich den Menschen öffnest. Deswegen habe ich schon damit gerechnet, dass die Leser darauf reagieren werden. Aber die Art, wie es dann war, war schon überwältigend.
Inwiefern?
Gleich von Minute eins an habe ich unendlich viele Kommentare bekommen. Und dadurch, dass ich als Journalist arbeite und viele Kollegen mir auf Twitter folgen, landete der Artikel in kurzer Zeit zum Beispiel im Twitter-Account von SPIEGEL Online. Ein paar Tage später hat ZEIT Online angefragt, ob sie ihn bei Facebook verlinken dürfen und so weiter. Das kannst du nicht planen oder vorhersehen.
Weil du ein Tabuthema angesprochen hast?
Es war schon so, dass ich dachte a) ich bin nicht alleine damit und b) anscheinend ist es nicht nur ein „Migranten-Ding“. Mir haben unglaublich viele Leute geschrieben, ändere zwei, drei Stellschrauben, dann trifft es auf mich und meinen Dad zu – auch bei Leuten, die ich persönlich kenne. Insofern bin ich sehr glücklich und froh, diesen Text geschrieben zu haben. Es ist bis heute wahnsinnig viel passiert Rund um diesen Text.
Mangelt es den etablierten Journalisten an Sensibilität für die Ängste und Sorgen unserer Elterngeneration?
Das ist ein Thema, auf das du erstmal kommen musst. Ich selbst habe das lange Zeit nicht als journalistisches Thema gesehen, sondern als „mein Vater und ich, wir haben Probleme“. Insofern glaube ich natürlich, dass es in Deutschland an journalistischem Gespür für solche Themen in Migrantenkreisen fehlt.
Woran liegt das?
Es gibt zu wenige Journalisten, die aus diesem Kreis kommen. Journalisten haben in Deutschland eher etwas Gutbürgerliches, was historisch so geronnen ist. Da gibt es viele Gründe für. Aber wir sollten diesen Zustand nicht einfach so hinnehmen.
Worin siehst Du die Probleme, wenn Journalisten außerhalb des bürgerlichen Milieus fehlen?
Du überlässt die Berichterstattung Menschen, die eher klassisch nachrichtenorientiert denken. Und wenn du klassisch nachrichtenorientiert denkst, dann denkst du an Geschichten, die anknüpfen an das, was du ohnehin schon meinst zu wissen. Sprich kriminelle Ausländer, um es ganz plakativ zu formulieren. Und da hast du natürlich wenig Sensibilisierung, wenig Innenleben, wenig vom „Was passiert bei denen tatsächlich? Wie leben die? Wie denken die?“. So eine Geschichte wie „Bruchreif“ kannst du nicht schreiben, wenn du nicht diese Nähe hast. Du kriegst mehr solcher Geschichten, wenn du mehr Migranten hast, die Teil der Journalisten-Gemeinschaft sind.
Es mangelt also an Journalisten mit Migrationshintergrund?
Natürlich hast du Migranten, die journalistisch aktiv sind. Du hast Özlem Gezer, die beim SPIEGEL ist, du hast Özlem Topcu, die bei der ZEIT arbeitet, du hast Yassin Musharbash, du hast Deniz Yücel. renk. macht ja im Endeffekt nichts anderes, als zu schauen, was es an spannenden Geschichten gibt. Von solchen Projekten müsste es noch viel mehr geben.
Auf deiner Seite Ichschwoersdir.de schreibst du „Ich finde es ganz nett, sich darüber Gedanken zu machen, wie man das etablierte Schema des Journalismus aufbrechen kann an Stellen, an denen es ohnehin schon knackt.“ Wo „knackt“ es noch außer bei Migrantenthemen?
Was ich meine, ist dieses klassische „Journalisten-Ding“: „Wer liest mich eigentlich? Wann liest er mich? Wo liest er mich? Und was heißt das für die Art, wie ich Geschichten schreibe?“. Die Geschichten, die ich schreibe, sind teilweise so, dass du sie nicht drucken kannst. Ich habe zum Beispiel einen Text geschrieben, der heißt „Das Recht auf Vergessen“, in dem es um Google geht, und der Text verschwindet, während du ihn ließt. Ich hab‘ eine Geschichte gemacht über 78 Vorfälle anti-muslimischer Art vor Moscheen. Die Story war so eine „Daten-Geschichte“, bei der du die Karte anklicken musstest, um zu sehen, wo die Vorfälle passiert sind. Und ich würde gerne noch herausfinden, ob ich meine Art zu schreiben verändern muss, wenn ich weiß, dass die Leute meine Geschichten auf dem Smartphone lesen.
Hast du noch andere Beispiele für Medienmacher, die alles anders machen?
Die meisten Beispiele findest du natürlich im nordamerikanischen Raum. Da gibt es diese Nachrichten-App Cir.ca.. Die liefert dir Nachrichten häppchenweise. Alles, was Buzzfeed macht, ist irre. Ich glaube einfach, dass Magazin-Journalismus eher die Richtung ist, in die es in Zukunft gehen wird.
Mit welcher nicht mehr lebenden Person würdest du gerne mal ein Interview führen?
Tupac Shakur. Krasser Musiker. Ich bin mit seiner Musik aufgewachsen und es wäre der Hammer gewesen, ihn zu treffen.
Und mit welcher lebenden Person würdest du gerne ein Interview führen?
Ich habe mein Wunschinterview eigentlich schon gehabt. Das war mit Glenn Greenwald, der die Snowden-Dokumente bekommen und dann exzessiv darüber geschrieben hat. Ein sehr interessanter Typ.
Credits
Text: Deniz Kılıç
Titelbild: Rikk Nerlig