Pontosgriech*innen

verfolgt, vernichtet, vergessen

Wusstet ihr, dass bis vor 100 Jahren christliche Griech*innen an der Schwarzmeerküste des damaligen Osmanischen Reichs lebten? Die Pontosgriech*innen galten dort lange als angesehene Händler*innen und Seefahrer*innen, doch ab Anfang des 20. Jahrhunderts wurden sie von der jungtürkischen Regierung als christliche Minderheit systematisch verfolgt. Ein Genozid, der bis heute nicht anerkannt wurde, vollzog sich.

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Mit dem türkisch-griechischen Bevölkerungsaustausch nach Ende des Krieges wurde die Entwurzelung der Pontosgriech*innen dann besiegelt – sie mussten ihr Zuhause, den Pontos, endgültig verlassen und nach Nordgriechenland umsiedeln. Doch auch dort begegneten ihnen fortlaufend Diskriminierung.

Heute wollen wir den verfolgten und vernichteten Pontosgriech*innen gedenken und euch ihre Geschichte näher bringen. Sie zeigt einmal mehr, wie kulturell divers Nationen sind und wie Staatsgrenzen und dazugehörige Nationalitäten dieser Vielfalt oft nicht gerecht werden.

Pontosgriech*innen – verfolgt, vernichtet, vergessen

Der Genozid an den Armenier*innen ist vielen mittlerweile ein Begriff, doch die Pontosgriech*innen bilden eine weitere christliche Minderheit, die im Osmanischen Reich verfolgt und vernichtet wurde. Ihre Geschichte ist weitaus unbekannter, jedoch nicht weniger entsetzlich: Beruft man sich auf offizielle Zahlen, kamen zwischen 1914 und 1923 mehr als 353.000 Pontosgriech*innen ums Leben. Die Dunkelziffer der Todesopfer wird von Historiker*innen allerdings sogar im Millionenbereich geschätzt. Später wurden viele weitere nach Griechenland zwangsumgesiedelt. Jedes Jahr am 19. Mai gedenken Pontosgriechen*innen weltweit des Völkermordes und der Vertreibung ihrer Vorfahren. Jedoch erkennen auch gegenwärtig nur vereinzelte Länder den Genozid offiziell an. 

Wer sind die Pontosgriech*innen?

Pontosgriech*innen besiedelten ursprünglich die antike Region Pontos an der Schwarzmeerküste der heutigen Türkei. Die Pontosregion stand über die Jahrhunderte unter wechselnder Herrschaft, gehörte aber seit dem 15. Jahrhundert konstant zum Osmanischen Reich. Im Vielvölkerstaat wurden auch nicht-muslimische Minderheiten geduldet und als andersgläubige Religionsgemeinschaften (türk. millet) anerkannt, weshalb die griechisch-orthodoxen Pontosgriech*innen als angesehene Seefahrer*innen und Händler*innen am Pontos jahrhundertelang verweilen konnten.

Jedoch schwand die Toleranz gegenüber der Pontosgriech*innen mit der Machtübernahme der nationalistischen Jungtürken 1913. Im Laufe des Ersten Weltkriegs wurden im Osmanischen Reich aufgrund dieser neuen Regierung neben den Armenier*innen auch die Pontos-Griech*innen systematisch verfolgt, vertrieben und ermordet. Während das Osmanische Reich im Krieg auf Seite des Deutschen Reichs und Österreich-Ungarns kämpfte, schlug sich Griechenland auf die Seite Englands. Als der Friedensvertrag von Sèvres Griechenland türkische Territorien zusprach und  Mustafa Kemal Atatürk sich weigerte, diesen anzuerkennen, brach der türkisch-griechische Krieg (1910-1922) aus, der in der Niederlage Griechenlands und der Zerstörung der mehrheitlich griechisch-christlich bewohnten Stadt Izmir/Smyrna endete.


Der griechisch-türkische Bevölkerungsaustausch 1923/24

,,Die Konvention von Lausanne besiegelt 1923 im Nachhinein die fast endgültige Auslöschung der Griechen im Pontos: Griechenland musste nicht nur den Verlust von Ostthrakien und Smyrna verkraften, sondern auch über anderthalb Millionen griechische Flüchtlinge aus der Türkei aufnehmen und gegen die in Griechenland lebenden Türken austauschen. […].

Aufgrund der ausschließlich konfessionellen Definition von ‚Griechen‘ (im Sinne von orthodoxen Christen) und ‚Türken‘ (im Sinne von Muslimen) galten die griechischsprachigen Muslime als Türken und verblieben im Land.’’

Die nach Nordgriechenland zwangsumgesiedelten Pontosgriech*innen begneten nun jedoch Diskriminierung von griechischer Seite, denn für die griechische Bevölkerung galten sie als Türk*innen. Die Feindseligkeit entsprang womöglich der sprachlichen und kulturellen Unterschiede zwischen den Pontier*innen und Griech*innen: ,,Die gesamte pontos-griechische Folklore ähnelt derjenigen ihrer ehemaligen Nachbarn im Pontos weit mehr als der ihrer Nachbarn in ihren Ansiedlungsgebieten in Griechenland, was sie aus ethnographischer Perspektive gegenüber der restlichen Bevölkerung Griechenlands bis heute als sehr andersartig erscheinen lässt.’’ Musik, Trachten und Tänze bieten weit mehr Anknüpfungspunkt an die Las*innen, eine südkaukasische sunnitisch muslimische Volksgruppe.

Aufgrund der Diskriminierung in Griechenland enstanden weitere Fluchtbewegungen nach Russland, Armenien und später in die europäische Diaspora. Ob in Deutschland oder im pontischen Viertel Sourmena in Athen – der Erhalt ihrer Kultur liegt den Pontos-Griech*innen besonders am Herzen und ihre Musik und Tänze werden an die Kinder weitergegeben.

Nichtsdestotrotz stelle die Entwurzelung aus der pontischen Heimat ein transgenerationales Trauma dar, das nach Aufklärung verlangt, erklären Pontier*innen der taz. Doch der türkische Staat wehrt ab: ,,Die Deportationen von Griechen und Armeniern seien lediglich kriegsbedingte Sicherheitsmaßnahmen im Rahmen des Ersten Weltkriegs gewesen. Eine Vernichtungsabsicht gemäß der Völkermordkonvention der UNO habe es nicht gegeben.“



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