»Meine Arbeit ist politisch, weil ich selbst politisch bin«

Zu Gast bei Ersan Mondtag

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Wir treffen den gebürtigen Kreuzberger Ersan Mondtag in der Nähe seines Heimatkiezes. Der junge Theaterregisseur legt gerade eine ziemlich steile Karriere hin. Nach Hospitationen u.a. bei Castorf und Peymann, einem abgebrochenen Regiestudium und der Gründung eines eigenen Performance-Kollektivs inszeniert Ersan Mondtag nun an den großen Bühnen Deutschlands. Sein Künstlername ist übrigens die wörtliche Übersetzung seines Geburtsnamens aus dem Türkischen: Ay (Mond) und -gün (Tag). Im Interview erzählt uns Ersan von den Vor- und Nachteilen des Staatstheaters, von Angst und Furchtlosigkeit, und warum er Berliner Hinterhofgeschichten komplett unspektakulär findet.

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Du wurdest in diesem Jahr als jüngster Regisseur zum renommierten Berliner Theatertreffen eingeladen. Was bedeutet diese Auszeichnung für dich?

Ich war überrascht, weil die Einladung so schnell kam und man ja nicht unbedingt mit einer Einladung zum Theatertreffen rechnet. Deshalb ist es natürlich eine Auszeichnung. Ich hatte zwar auch davor schon gute Voraussetzungen, aber es hat auf jeden Fall meinen Weg noch weiter stabilisiert und mir neue Möglichkeiten eröffnet.

Wie bist du überhaupt dazu gekommen, Theater zu machen?

Ich habe in der Grundschule angefangen zu spielen. Als ich acht Jahre alt war, habe ich in der Theater-AG eine Blume gespielt. Mein Interesse habe ich dann in der Schule und in Theater-Jugendclubs immer weiter ausgebaut. Man sagt zwar immer, ich sei ein junger Regisseur, aber genau genommen geht mein Weg mit acht Jahren los. Deshalb habe ich zum jetzigen Zeitpunkt schon viel Berufserfahrung in verschiedenen Richtungen gesammelt.

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Dein Regiestudium an der Otto-Falckenberg-Schule hast du abgebrochen und stattdessen mit dem KAPITAEL ZWEI KOLEKTIF deine eigene Performancegruppe gegründet. War das auch eine Art Absage an den etablierten Schul- und Theaterbetrieb?

Es war auf jeden Fall eine Gegenreaktion zum konventionellen Lehrplan und Gesamtbetrieb. Wenn man anfängt zu studieren, beschäftigt man sich allgemein mit dem Medium und der Form des Theaters und hinterfragt diese auch kritisch. Mit sechs Kommilitonen habe ich dann das Kollektiv gegründet und versucht, neue Formen zu finden. Wir haben die Struktur und die Räumlichkeiten der Schule zwar genutzt, hatten aber vor allem die Straße als Raum zum Performen. Wir haben uns dann auch relativ schnell finanziell unabhängig gemacht.

Was unterscheidet für dich die Arbeit in der Freien Szene vom Staatstheater-Betrieb?

In die Struktur der Freien Szene war ich eigentlich nie richtig eingebettet. Auch dort gibt es ja ökonomische und strategische Zwänge, mit denen ich aber nichts zu tun hatte. Mit dem Kollektiv haben wir wirklich komplett anarchisch und frei gearbeitet.

Die Arbeit am Staatstheater bedeutet einerseits eine Einschränkung, aber andererseits auch eine Entlastung. Wenn du frei arbeitest, musst du selbst in den Baumarkt gehen und deine Schrauben kaufen. Am Staatstheater hingegen gibt es 400 Mitarbeiter, die sich um alles kümmern. Du kannst dich also wirklich ausschließlich auf den kreativen Prozess konzentrieren. Das heißt aber auch, dass es verschiedene Interessen gibt, die über die einzelne künstlerische Produktion hinausgehen – eine Gesamtdramaturgie, der man sich als Künstler unterordnen muss. Das ist einerseits problematisch, birgt aber auch Potenzial.

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Wenn du wie in deiner Perfomance von 2014 Burka-Trägerinnen auf das Oktoberfest schickst (Link zum Video unten – Anm. d. Red.), erreichst du ja auch ein ganz anderes Publikum als im Theater. Wie wichtig ist dir diese Art der öffentlichen Intervention?

Wenn ich am Theater arbeite, gibt es einen hermetisch abgeschlossenen Rahmen, in dem ein bürgerliches Publikum sitzt und für ein fertiges Produkt zahlt. Eine Aktion wie die Burka-Performance erreicht hingegen Leute, die erstmal gar nichts mit irgendeiner Form von Performance zu tun haben, dann aber direkt damit konfrontiert werden. Das hat seinen eigenen Reiz und fehlt mir gerade auch ein bisschen. Im öffentlichen Raum entstehen ganz andere Reibungen. Das ist spannend oder teilweise sogar spannender, weil man dort viel labiler ist und wirklich etwas untersucht.

Auch sonst haben viele deiner Arbeiten eine politische Komponente. Du hast zum Beispiel, noch bevor sich deutsche Satiriker an das Thema wagten, in deiner Kafka-Inszenierung den türkischen Präsidenten Erdoğan verspottet. Würdest du dich selbst als politischen Künstler bezeichnen?

Ich finde diesen Begriff generell schwierig. Ich mache keine politische Kunst im wissenschaftlichen Sinne, aber meine Arbeit ist politisch, weil ich auch politisch bin. Das äußert sich manchmal direkter, lesbarer, manchmal aber auch gar nicht. Meine politischsten Arbeiten sind oft die, die komplett ästhetisiert und formalisiert sind. Da kommen die Leute oft gar nicht darauf, dass das überhaupt politisch gemeint ist.

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Man betitelt dich gerne als Rebellen in der Theaterwelt, als furchtlosen Provokateur…

Es gibt ganz verschiedene Etikettierungen der Öffentlichkeit, die unkontrollierbar und teilweise auch widersprüchlich sind. Aber ich glaube schon, dass ich völlig angstfrei bin. Das verschafft mir dann diesen Ruf des souveränen, selbstbewussten, jungen Regisseurs, zieht aber auch den Vorwurf der Arroganz mit sich. Ich bin einfach so, wie ich bin. Meine Arbeit ist schon etwas unkonventioneller, und meine Art und Weise sie zu vertreten, ist sehr souverän. Das führt sowohl zu Ablehnung als auch zu Begeisterung, hat aber keinen Einfluss auf meine Arbeit.

Auch wenn du selbst furchtlos bist, geht es in deinen jüngeren Werken oft um den Themenkomplex Angst. Dein Stück Tyrannis etwa beschäftigt sich mit der Angst vor dem Fremden. Warum fasziniert dich dieses Thema?

Das Thema beschäftigt mich zwangsläufig, weil seit 2001 in allen gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Bereichen Angst als Mittel eingesetzt wird. Angst ist gerade so präsent wie noch nie. Bei der Beschäftigung mit dem Thema stößt man auf grundlegende menschliche Eigenschaften und Defizite, auf Angst als Mittel der Weltpolitik und als Herrschaftsform. Rechte Parteien und der Populismus instrumentalisieren ja genau diese Ängste. Das ist ein extrem gefährliches manipulatives Mittel, was da eingesetzt wird. Deshalb ist es auch unerlässlich, sich damit auseinanderzusetzen.

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Welche Rolle spielen andere Kunstformen wie Film oder Malerei für deine Arbeit als Theaterregisseur?

Die Kunstwerke, die mich interessieren, finden quasi automatisch Eingang in meine eigene Arbeit. Da spielen vor allem Expressionisten wie Max Beckmann, Ernst Ludwig Kirchner und Max Ernst eine besondere Rolle, aber auch Filmemacher wie David Lynch, Jim Jarmusch oder Alejandro Jodorowsky, die Form als Mittel einsetzen. Was mich hingegen überhaupt nicht interessiert, sind deutsche Gegenwartsregisseure, die mit der Kamera durch Berlin laufen und Hinterhofgeschichten erzählen, ohne Sinn für Form oder Interesse an Kunst. Da geht es nur darum, platte Geschichten über Leute zu erzählen, die nichts zu erzählen haben. Das finde ich komplett unspektakulär. Spannend wird es für mich erst, wenn jemand eine bestimmte Form anwendet und über diese Form etwas erlebbar macht – auch im Bereich Theater.

Wie sehen deine Pläne für die nächste Zeit aus?

In Frankfurt eröffne ich die nächste Spielzeit mit einer Iphigenie-Inszenierung. Auch hier kommen verschiedene Einflüsse und Formen zusammen. Ich verbinde zum Beispiel Voguing – einen Tanzstil aus dem New Yorker Homosexuellen-Milieu – mit antiker Bildsprache. In dem Stück erzähle ich von einer Gruppierung, die eine Vernichtung herbeisehnt und sich so letztlich selbst vernichtet. Das ist auch eine Anspielung auf rechtspopulistische Strömungen in Europa.

In Bern entwickle ich außerdem ein Stück, das tatsächlich auch Vernichtung heißt und sich mit Terrorismus als Kommunikationsprozess auseinandersetzt. Und dann arbeite ich noch hier am Gorki-Theater an einer Antigone-Inszenierung. Dort werden unterschiedliche Akteure aus Ländern wie Syrien, Israel, der Türkei oder Nordafrika eingebunden, die alle einen völlig anderen Blickwinkel auf die Antigone-Figur haben. Wie man diese verschiedenen Biographien in einer Mythologie vereinen kann, finde ich extrem spannend. Das ist gerade eins meiner Lieblingsprojekte.

Credits

Text: Julia Marx

Fotos: Michael Kuchinke-Hofer

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