Unser Lieblingsverlag binooki feierte im Juni 2015 seinen vierten Geburtstag mit besonderen Gästen wie dem türkischen Schriftsteller Emrah Serbes. Für die Geburtstagsparty hatten sich die beiden Verlegerinnen Selma Wels und Inci Bürhaniye den wunderschönen Puttensaal der Bibliothek am Luisenbad ausgesucht, der bis auf den letzten Platz besetzt war.
binooki wurde 2011 mit der Intention gegründet, türkische Literatur in deutscher Sprache zu verlegen und damit dem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen. Selma beschreibt den Start vor vier Jahren an diesem Abend mit den drei Worten „Sprung. Wasser. Kalt“, doch die beiden Schwestern rannten mit ihrer Geschäftsidee offene Türen ein und wurden bereits in den ersten 2 Jahren nach Verlagsgründung mit drei Preisen ausgezeichnet, u.a. dem renommierten Kurt-Wolff-Förderpreis (2013). Heute umfasst ihr Verlagsprogramm 25 anspruchsvolle Bücher türkischer Literatur, die von Krimi über Belletristik bis Fantasy reichen.
Ihren jüngsten und erfolgreichsten Autoren haben die beiden an diesem Abend gleich mitgebracht: Emrah Serbes, das Enfant terrible der türkischen Literaturszene. Serbes beschloss im Alter von vierzehn Jahren, Schriftsteller zu werden, und veröffentlichte mit 25 Jahren seinen ersten Band über den eigensinnigen Kommissar Behzat Ç. Seine gesellschaftskritischen Geschichten wurden in der Türkei auch als TV-Serie erfolgreich ausgestrahlt. Die Serie wurde kurz darauf abgesetzt und Serbes wegen einer regierungskritischen Äußerung angeklagt. Bei den Gezi-Protesten auf dem Taksim-Platz in Istanbul vor zwei Jahren war Serbes aktiv dabei. Ein Jahr später erschien bei binooki die Anthologie Gezi, was auch für den jungen Verlag nicht ohne Folgen blieb: binooki wurden seitens der EU als auch der Türkei wichtige Fördergelder gestrichen. „Verlagsarbeit bedeutet leider nicht nur, schöne Bücher zu machen, sondern manchmal eben auch, in politische Fahrwasser zu geraten“, stellt Selma an diesem Abend nüchtern fest.
Gemeinsam mit Emrah ist Selma derzeit auf 10-tägiger Lesetour quer durch Deutschland und die Schweiz unterwegs, die für den Geburtstag unterbrochen wurde. Abwechselnd auf Deutsch und auf Türkisch lesen die beiden Passagen aus Emrahs Werk Fragmente, das vergangenen März in deutscher Sprache bei binooki erschienen ist. Die Übersetzung des Buches stammt erstmals von Selma selbst, und wenn man Verlegerin und Autor gemeinsam erlebt, merkt man gleich: die Chemie zwischen den beiden stimmt einfach. Der junge Schriftsteller erinnert ein wenig an Charles Bukowski, wie er da sitzt und sein Bier trinkt, tiefenentspannt und sympathisch. Während Selma seine Antworten auf ihre Fragen ins Deutsche übersetzt, macht sich Emrah schonmal sein nächstes Bier auf. Als er mittendrin aufsteht und eine Zigarette rauchen geht, bittet Selma spontan ihren Neffen, Incis Sohn Kaan, auf die Bühne, der anschließend vier Jahre binooki aus seiner Sicht zusammenfasst: „Es ist ein schönes Gefühl, dass meine Mutter und meine Tante eine kleine Berühmtheit sind“.
Zurück aus der Raucherpause lesen Selma und Emrah noch einen Auszug aus Emrahs jüngstem Werk deliduman (deutsch: wilder Rauch), das am 2. Oktober bei binooki in deutscher Sprache erscheinen wird. Aus der Perspektive eines Geschwisterpaares erzählt, hat Serbes in diesem Buch seine ganz persönlichen Eindrücke der Gezi-Proteste vor zwei Jahren verarbeitet. „Manchmal erleben Schriftsteller etwas, über das sie schreiben müssen“, sagt der Autor. „Als ich in der Nacht des 31.5.2013 die Straßenbarrikaden am Taksimplatz sah, wusste ich: Darüber musst du schreiben“, erzählt Emrah. „Mein bisher bestes Buch“, stellt er trocken fest. Und auch sein erfolgreichstes: In der Türkei wurde deliduman bereits über 100.000 Mal verkauft. Am Ende der Lesung bedankt sich ein türkischer Zuschauer der älteren Generation bei dem jungen Schriftsteller: Emrah habe heute für uns sein Herz auf den Tisch gelegt.
Später wird draußen im Hof noch weitergefeiert, im Foyer stehen türkische Leckereien aus dem Restaurant Meyan bereit, das von Selmas und Incis Schwester Çiğdem geführt wird. Emrah raucht und signiert geduldig ein Buch nach dem anderen, Fotos mit ihm sind natürlich erlaubt. Ein Autor zum Anfassen eben.
Credits
Text: Türkiz Talay
Fotos: binooki