Ein Zusammenleben auf 90 Zentimetern

Aus der renk.-Serie "Interkulturelle Beziehungen"

Anzeige

Wir schlafen im selben Bett, Jasmin und ich. Meistens bei ihr zuhause, auf ganzen 90 Zentimetern. Davon bekomme ich, wenn ich Glück habe, vielleicht 40 Zentimeter ab. Und das mit nunmehr beinah 30 Jahren auf dem Buckel. Trotzdem schlafen wir jede Nacht beieinander, seitdem wir ein Paar geworden sind. Wenn wir uns am selben Ort befinden, dann schlafen wir auch im selben Bett. Die Ausnahmen sind rar gesät – und fördern unserer beider Schlafqualität nicht sonderlich. Ganz im Gegenteil: Jasmin und ich, wir schlafen in getrennten Betten außergewöhnlich schlecht. So ist es nun mal in der Liebe und mit einer, nennen wir es, hervorragenden „Kuschel-Kompatibilität“.

In Jasmins Brust schlagen zwei Herzen: ein deutsches und ein türkisches.

Ihre Mutter ist Türkin, ihr Vater Deutscher. Und beide Herzen zeigen sich hier und da durchaus klischeebehaftet: Bei der Arbeit und in der Uni kommt ihre „deutsche Disziplin“ zum Ausdruck, bei Diskussionen oder Streits hingegen ihr „türkisches Temperament“. Doch im Großen und Ganzen ist Jasmin vor allem eins: ein Mensch. Ein Mensch mit großem Herz, mit großer Weltoffenheit. Kosmopolitisch, interessiert, neugierig.

Neue Regeln

Trotzdem gibt es sie, die kulturell bedingten Unterschiede, in unserem gemeinsamen Leben. Am sichtbarsten werden sie im Umgang mit ihrer Familie. Und das ist etwas Neues für mich. So steht in meiner Wohnung ein Bett, das diesen Namen auch verdient: 160 Zentimeter breit. Doch als ich Jasmin fragte, ob sie nicht einfach zu mir ziehen wolle, sagte sie: „Eigentlich gerne. Aber das ist nicht so einfach.“

So ist es kaum verwunderlich, das gebe ich offen zu, dass ich enorme Angst davor hatte, Jasmins Familie kennenzulernen. Zu wichtig war mir der erste Eindruck und all diese Sachen, von denen ich vermeintlich keine Ahnung hatte. In gewisser Weise das Normalste der Welt, klar, aber Jasmin wurde auch nicht müde, mir Regeln und Besonderheiten wieder und wieder zu erklären.

Während ich am Anfang noch den größten Respekt vor ihrem rheinländischen Vater hatte, änderte sich das mit jeder Erzählung, mit jeder Geschichte, mit jedem Witz von Jasmin – und plötzlich war es nicht mehr ihr rheinländischer Vater, sondern ihre türkische Mutter, die mich am meisten ins Schwitzen brachte. Sie war diejenige, bei der ich wusste, dass es die größte Aufgabe wird, sie von mir als kompetenter Partner ihrer Tochter zu überzeugen. Bei der ich wusste, dass sie es ist, deren Wort am Ende mitentscheidend dafür ist, ob ich in naher Zukunft endlich mehr als 40 Zentimeter Bett bekommen würde.

Der Jung, der kommt uns besuchen!

Als Jasmin über Weihnachten bei ihrer Familie in Izmir war, stand es plötzlich fest: Der Jung, der kommt uns besuchen – na mal sehen, wen sich unsere Tochter da ausgesucht hat! Knappe zwei Monate später stiegen Jasmin und ich in Düsseldorf in einen Flieger nach Izmir. Sie quietschvergnügt, voller Freude auf ihre Familie, und den ein oder anderen kessen Spruch auf den Lippen; ich ein nervliches Wrack, natürlich voller Neugier, aber eben auch mit einem ordentlichen Herzschlag jenseits der 160.

Je näher wir der Landung kamen, desto nervöser wurde ich. Am Gepäckband hatte ich das Gefühl, durch den überhöhten Puls bereits sieben Jahre meines Lebens verloren zu haben. Schließlich habe ich noch nie unter den kritischen Augen einer türkischen Mutter an einem Tisch gesessen und wurde dabei als der Freund ihrer Tochter vorgestellt. Neuland, wie Frau Merkel sagen würde, für mich, den kölschen Jung. Dazu wollte ich natürlich den besten aller möglichen Eindrücke machen und Jasmins Familie im Sturm erobern – immerhin will ich nicht weniger als mein ganzes Leben mit ihr verbringen und irgendwann selbst eine Familie mit ihr gründen.

Die Ankunft

Als wir also nach der Landung am Gepäckband standen, wurde mir endgültig Angst und Bange. Ob sie mich mögen, so wie ich bin? Können sie sich mich an der Seite ihrer Tochter vorstellen? Fragen, die nicht nur für mich, sondern besonders für Jasmin von großer Bedeutung sind – denn Familie ist für sie das höchste Gut.

Doch dann die Erleichterung: Kaum hatten wir den Flughafen verlassen und Jasmins Vater und ihre Schwester erspäht, nahm mich ihr Vater auch schon in den Arm. Mein Puls entspannte sich, ich erkannte ein Glitzern in den Augen von Jasmin. „Das hat er noch nie gemacht.“ Eine kurze Autofahrt ohne seltsames Schweigen später reichte mir dann auch schon ihre Mutter die Hand. Es war schon nach Mitternacht, doch trotzdem saßen wir noch eine Weile bei Bier und kleinen Leckereien zusammen und plauderten über Gott und die Welt. Ich war gut angekommen.

Getrennte Betten

An dieser Stelle komme ich an den Anfang zurück: Während Jasmin und ich im Grunde genommen immer im selben Bett schlafen – warteten in ihrem Elternhaus zwei getrennte Betten auf uns. Spätestens jetzt wurde mir klar, warum ein Zusammenziehen „nicht so einfach“ werden würde. Ihr Zimmer war für mich hergerichtet, sie schlief bei ihrer Schwester. Die erste Nacht nach all der Aufregung, nach all den Eindrücken, war kurz. Doch Zeit darüber nachzudenken blieb kaum, denn am nächsten Tag wurde ich auch schon dem Rest der Familie vorgestellt und musste, durfte, Frage um Frage zu meiner Person beantworten. Schnell bekam ich von Jasmins Eltern das „Du“ angeboten – sehr zu meiner Beruhigung. Wir unternahmen viel, nahmen köstliches Essen zu uns und ich trank den einen oder anderen Rakı mit ihrem Vater.

Von Tag zu Tag fühlte ich mich willkommener, fühlte mich mehr und mehr zuhause. Nie zuvor hatte ich eine Frau kennengelernt, deren Familie mir mit so großer Offenheit, so viel Liebe und so viel Wärme entgegengetreten war. Und an einem Abend, nach einigen der zuvor angesprochenen Rakı, sagte Jasmins Vater sogar zu mir: „Du gehörst jetzt zur Familie!“ Ihre Mutter rang sich ein schwaches Grinsen – und ein leichtes Kopfnicken ab. Wieder ein Glitzern in den Augen von Jasmin.

Und ich? Ich hatte keine Angst mehr. Nicht vor ihrer Familie, nicht vor ihrer Kultur. Nein, ich wurde willkommen geheißen, ich wurde aufgenommen. Ich hatte eine zweite Familie gefunden. Meine Ängste, meine Sorgen – sie waren am Ende völlig unbegründet.

Ich hatte keine Angst mehr. Nicht vor ihrer Familie, nicht vor ihrer Kultur.

Das hätte ich eigentlich schon vorher wissen können: Denn als Jasmin über Weihnachten bei ihren Eltern zu Besuch gewesen war, hatte sie ihnen offenbar von mir vorgeschwärmt. Ihre Eltern haben gemerkt, dass wir einander sehr glücklich machen – und uns ein ganz besonderes Geschenk gemacht: ihre eigenen Söz-Ringe. Die, die sie vor knapp 30 Jahren vor ihrer Hochzeit als Zeichen des gegenseitigen Versprechens und der Liebe füreinander getragen hatten. Jetzt dürfen Jasmin und ich diese wunderschönen Ringe tragen.

Und da ist es dann auch völlig egal, dass man beim „Heimatbesuch“ in getrennten Betten schlafen muss. In Anbetracht der Liebe und in Anbetracht einer neuen Familie, einer neuen Kultur und der Erweiterung des eigenen Horizonts ist das schließlich nicht einmal ein kleiner Wermutstropfen.

Und im Geheimen: Natürlich haben wir uns das ein oder andere Gute-Nacht-Küsschen auf Zehenspitzen durch den Flur schleichend ergattert. So bin ich also am letzten Abend in Izmir mit einem Lächeln eingeschlafen – auch wenn ich Jasmin neben mir liegend trotzdem sehr vermisst habe. 90 Zentimeter hin, 90 Zentimeter her.

Liebe kennt keine Grenzen!

Inzwischen sind aus 90 doch 160 Zentimeter geworden – Jasmin und ich, wir sind zusammengezogen. Und damit nicht genug: Wir haben uns verlobt! Mit dem „Segen“ ihrer und meiner Eltern. Wie sagt man doch so schön? Die Liebe kennt keine Grenzen! Die sieben Jahre meines Lebens, die ich damals am Gepäckband des Flughafens von Izmir vor Nervosität verloren habe, sind durch das Glück nicht nur eine Frau fürs Leben, sondern auch eine zweite Familie gefunden zu haben, wieder aufgeholt.

Text: Wolfgang Schiffbauer
Illustration: Ramina Kalashnykova

Folge uns
auf Instagram!