Wenn man an Flamingos denkt, dann hat man meist schrille Wesen, Miami Vice und die Farbe Rosa vor Augen. Ich bin nicht in Miami, sondern im verregneten Berlin-Kreuzberg und bahne mir meinen Weg durch ein dunkles Treppenhaus, um eine Frau namens Pembe zu treffen. Oben angekommen, öffnet sich nach dem ersten Klingeln auch schon die Tür.
»Ach da bist du ja. Hi, ich bin Pembe!« Schätzungsweise 100 Kilo auf 1,64 cm verteilt mit rundem Gesicht und langen schwarzen Haaren, fordern mich auf hinein zu kommen. »Aber Schuhe ausziehen, bitte!« Etwas benebelt von dem mir entgegenkommenden Geruchsmix aus Moschus und Patschuli schlüpfe ich aus meinen Schuhen. Schüchtern schaue ich mich um, während ich mir meinen Weg durch den dunklen Flur gen Wohnzimmer bahne. Das Ambiente ist eine Art Karambolage aus Tausend und einer Nacht, die auf Ein-Euro-Laden-Kitsch prallt. Eine schwarze Vitrine an der Wand, im längst vergangenen neunziger Jahre Schick, beherbergt kleine Afro-Amerikanische-Figuren, die wahlweise Saxophon oder Trompete spielen. An der Wand hängt eine Uhr, eingebettet in ein aufgeschlagenes Koranbuch, das hinter einer goldenen eingerahmten Scheibe nicht vergessen lässt wie spät es ist. Auf der schwarzen Ledercouch thronen zwei Perserkatzen, die keinerlei Anstalten machen sich zu verziehen, damit ich mich setzen kann. Ich quetsche mich einfach in die Ecke. »So, hier erst mal einen Tee. Du trinkst doch schwarzen Tee oder?« Sie füllt die kleinen, goldbesetzten Gläser.
»Du willst also mehr über mich wissen. Nuray hat schon erzählt, dass du schreibst. Finde ich voll cool. Ich schreibe auch, aber meistens auf türkisch und Gedichte. Dabei meistens über Aşk, Meşk, weißt du. Es gibt ja auch nichts Schöneres, als die Liebe im Leben. Auch wenn die oft ein Riesenarschloch ist. Deswegen mag ich auch so gerne Bülent Ersoy. Das ist mein großes Vorbild«, sagt sie »Gegen alle Widrigkeiten hat sie gekämpft, musste das Land sogar verlassen und sie ist die Einzige Diva, die die Türkei hat. Hach, ihre Lieder sind so wundervoll, so voller Schmerz und Leid. Warte ich mach mal eins an.« Sie schaut mich gequält an und rezitiert arabeske Zeilen voller kitschiger Liebeleien und selbstmitleidigem Herzschmerz. Mit animierenden Blicken versucht sie auch mir einige Verse zu entlocken. Ich kenne den Text nicht, nicke aber unterstützend zu.
»Was willst Du denn jetzt genau von mir?« So recht weiß ich das auch nicht mehr, wenn ich jetzt hier so sitze und mir diese kleine, dicke Transvestitin mittleren Alters so betrachte. Eigentlich will man doch alles von so einem Menschen wissen, weil sie eben eine Transvestitin ist und eine Deutsch-Türkische noch dazu. Sie ist irgendwie eine Mischung aus einem osmanischen Dirk Bach und einer fürsorglichen, anatolischen Vollblut-Mutter. Dabei stellte ich mir noch bei Treppenaufgang eine perfekt geschminkte orientalische Version à la Olivia Jones vor.
»Ich bin auch keine Transe! Ich bin transsexuell. Man, wie oft soll ich das denn noch erklären. Nee, nicht böse gemeint. Aber ich bin kein Mann, ich bin eine Frau die im Männerkörper geboren wurde. Und nun lebe ich als Frau. Ich mache zwar Varieté, aber ich bin in erster Linie Sängerin und das ist nun mal die einzige Plattform auf der ich mich akzeptiert fühle in der Gesellschaft. So offen sind die da dann ja doch nicht.«
Pembe singt für ihr Leben gern, etwas was sie nie verstecken musste. »Ich hieß eigentlich mal Yavuz. Yav-uuuuuuu-z, ein schrecklicher Name, das passt doch gar nicht zu mir. Unter einem Yavuz stelle ich mir einen Streber mit Oberlippenpflaum oder einen Idioten mit weißen Socken in schwarzen Mokassins vor. Guck mich an, guck doch mal meine Schuhe an! Sehen diese sexy Treter nach ‘nem Yavuz aus?« Sie ist fast schon empört und zeigt auf ihre mit rosa Plüsch besetzten High Heels.
»Jetzt aber nicht mehr, jetzt heiße ich Pembe. Die Farbe rosa steht mir auch viel besser.« Ihr dicker Bauch hebt sich und wackelt, wenn sie mit ihrer tiefen Stimme lacht. »Ja, ja ich weiß was du hören willst«, sagt sie keck. »Natürlich ist mein Vater ausgerastet, als er herausfand, dass ich gerne die Klamotten meiner Schwester trage. Er hat einen Schock bekommen, als er mich mit ihrem Kleid und pinkem Lippenstift erwischt hat. Alle in meiner Familie haben schon sehr früh gewusst, dass ich etwas, na ja sagen wir mal weiblicher als andere Jungs bin. Mich dann aber so zu sehen, dass war dann für ihn natürlich nicht so einfach zu verkraften. Das ist ja auch erst Mal irritierend. Boah, und geschämt habe ich mich!« Sie wurde entdeckt als ihr Vater unverhofft von der Zeche nach Hause kam. »Maschinenausfall! Da war ich gerade mal 16. Er ist irritiert aus dem Zimmer gestolpert.«
Mit ernstem Blick erwarte ich nun eine Geschichte voller Beleidigungen, Verfolgungen und Morddrohungen – möglichst durch irgendwelche Brüder: »Ich habe gar keine Brüder, nur eine ältere Schwester. Wenn ich erzähle, dass ich Türkin bin, fragen die Leute immer sofort nach meiner Familie und ob sie mich verstoßen haben oder ähnliches. Klar war das am Anfang für meine Eltern seltsam, ihren Sohn auf einmal mit Lippenstift und in Kleidern zu sehen. Aber für welche Eltern ist das schon einfach, ob nun türkisch oder nicht? Meine Mutter hat viel geweint, weil sie immer zwischen ihren Kindern und ihrem Mann stand und nicht wusste, wie sie jetzt wieder alles regeln und verteidigen soll. Mein Vater hat natürlich lange gebraucht zu akzeptieren, dass sein Sohn nicht die von ihm gewohnte Männerrolle erfüllen kann. Deswegen gab es auch viel Streit, in der Zeit hat er auch oftmals geschrien. Wahlweise auch meiner Mutter Vorwürfe gemacht, dann wieder sich selbst. Aber wenn ich mich mit anderen Transsexuellen unterhalte, ist da nicht viel Unterschied in der Biographie, was die Eltern angeht. Einige Eltern reagieren cool andere weniger. So ist das eben. Natürlich kann man sich den türkischen Background nicht wegdenken. Es ist schon etwas zwiegespalten, guck dir doch Bülent Ersoy an. Erst muss sie lange im Exil leben. Heute wissen alle dass sie transsexuell ist, aber niemand macht es mehr groß zu Thema. Allerdings musste ich nie im Exil leben und mich hat auch niemand verstoßen. Wenn ich heute zu meinen Eltern gehe, dann eher etwas, na ja sagen wir mal für meine Verhältnisse gediegener. Dort wird dann bei Börek und Tee das Übliche besprochen. Wir reden mehr über neue Anschaffungen oder Nachbarn, die irgendwelche Skandale hinter sich haben, als über meine Transsexualität. Das ist interessanter und für jeden einfacher.«
Mittlerweile tritt Pembe auf türkischen Hochzeiten auf. Ihr Bühnenname lautet Pembe Aşk – rosa Liebe und eignet sich eigentlich auch als Bühnenname für einen soliden, deutschen Schlagerstar. »Wir verkaufen das so ein bisschen als Showtalent«, sagt sie mir zuzwinkernd. Der Vater allerdings kommt nicht zu den Auftritten. Doppelmoral ist mein erster Gedanke oder vielleicht ist es doch nur die Art und Weise wie jede spießige Familie mit einem rosaroten Flamingo in der Familie umgehen würde. Alle wissen, dass er auffällig ist, dass er da ist und dass er seine Farbe niemals ändern wird, worüber also noch groß diskutieren.
Credits
Text: Ahu Gür
Illustration: Rikk Nerlig