„Wenn ihr eure Augen schließt und Karsu lauscht, fühlt ihr euch so, als würdet ihr einer großartigen Jazz-Künstlerin aus New Orleans zuhören.“
So bezeichnen Karsus Zuhörer:innen ihre Musik und Stimme. Und sie haben nicht einmal so Unrecht. Karsu findet im sehr jungen Alter die Liebe zum Klavier und beginnt im Familienrestaurant in Amsterdam kleine Konzerte zu geben. Mit siebzehn Jahren erweckt sie das Interesse von Filmregisseurin Mercedes Stalenhoefund ihr Leben wird zum Thema eines Dokumentarfilms. Als sie eine Einladung für ein Konzert der New Yorker Carnegie Hall erhält, wird sie in den holländischen Medien heiß diskutiert.
Karsu verbindet verschiedene Stile wie Jazz, Blues, Funk sowie ethnische Musik miteinander und entwickelt sich zu einer einzigartigen Sängerin, Pianistin und Lyrikerin, über die weltweit gesprochen wird. Obwohl sie einen sehr vollen Zeitplan hat, nahm sie sich zu unserer Freude Zeit, um renk. ein paar Fragen zu beantworten.
Du hast im Amsterdamer Familienrestaurant begonnen, Klavier zu spielen. Wie würdest du diese Zeit beschreiben?
Eigentlich habe ich im Restaurant meines Vaters gekellnert. Da stand ein Klavier. Manche unserer Gäste wussten, dass ich spielen konnte und baten mich darum. Nachdem in Umlauf kam, dass in einem schicken Restaurant ein Mädchen am Klavier musiziert, wurde die Sache etwas größer. Wir haben ein Mikrofon und ein besseres Klavier gekauft und ich begann, jedes Wochenende aufzutreten. Die Leute kamen nun nicht mehr, um das Yoğurtlu Adana Kebap (dt. Adana Kebap mit Joghurt) meines Vaters zu essen, sondern meinetwegen(lacht). In diesen sechs Jahren habe ich viel Erfahrung gesammelt und die hat mir dabei geholfen, mich zu einer selbstbewussteren Person zu entwickeln.
In deinem TEDxIstanbul Talk hast du davon erzählt, dass du in Holland als Türkin bezüglich der Ethnizität, als Kellnerin hinsichtlich des sozialen Status und als Frau sexistische Diskriminierung erfahren hast. Es ist nicht leicht, damit umzugehen. Wie hast du diese Umstände bewältigt?
Ich kann manches im Leben nicht ändern. Ich bin eine Frau, eine Türkin, die in Holland geboren ist, ich habe keine Modelmaße. Aber das sind alles Dinge, die mich „besonders“ machen und auf diese bin ich stolz. Ich glaube, das Wichtigste im Leben ist, mit sich selbst im Einklang zu sein. Wenn du mit dir selbst Frieden geschlossen hast und dir deiner Selbst sicher bist, kannst du mit allen Schwierigkeiten umgehen und sie bewältigen.
Du bist in Amsterdam geboren und lebst dort. Was bedeutet Amsterdam für dich?
Freiheit! In Amsterdam kann man egal wann, egal wie rumlaufen. Du hast deine Haare Pink gefärbt? Es würde niemanden interessieren! In unserem Dorf in der Türkei würde man “abooo” (zu deutsch etwa: Meine Güte!) ausrufen und dir hinterhergaffen. Ich bewundere hier ebenfalls die Natur und den Fakt, dass es mehr Fahrräder als Menschen auf der Straße gibt. Amsterdam ist insbesondere im Sommer wunderschön, da sich die Stadt dann in eine richtigen Festival-Stadt verwandelt.
Kannst du uns underrated Musiker:innen/ Bands empfehlen?
Die von den Grammys als Bestes Weltmusik-Album nominierten Altın Gün! Letztes Jahr wollte ich auf eines ihrer Konzerte, das wegen Corona abgesagt wurde. Ich liebe ihre Musik sehr.
Gibt es Projekte, die aufgrund Corona für dich ins Wasser gefallen sind?
Ich wollte 2020 eine Welttournee starten, jedoch waren wir gezwungen, diese aufgrund Corona abzusagen. Wir hatten sogar bereits Tickets für mein neunköpfiges Team für New York, Toronto und Washington gekauft. Im Sommer standen Russland, der Fernost und weitere Länder auf dem Plan. Alles ist ins Wasser gefallen. Das letzte Konzert, das wir spielen konnten, war in Deutschland. Danach begann der Lockdown.
Wie verbringst du diese Zeit?
Ich verbringe sie, indem ich Musik mache. Ich habe zum Beispiel Musik mit Dingen, die Zuhause rumlagen, gemacht.
Ich habe Sezen Aksus Song Gülümse gecovert
oder habe in leeren Straßen Amsterdams, die normalerweise überfüllt sind, ein Video gedreht.
Momentan schreibe ich neue Lieder und verfeinere sie. Wahrscheinlich werden sie im Herbst fertig sein, sodass ich sie mit meinen Zuhörer:innen teilen kann.
Du beschäftigtest dich mit dem Thema Fluchtsuchenden. Erzählst du uns etwas von dieser Zeit?
Leider kann ich mich nicht mehr intensiv damit beschäftigen, aber es war eine sehr prägende Zeit. Abends, nachdem ich ein Konzert gegeben hatte, ging ich zum Bahnhof, um Fluchtsuchende willkommen zu heißen. Ich tauchte von der einen Welt in die andere ein, die nichts miteinander zu tun hatten. Auf der einen Seite luxuriöse und schicke Lokale, zurecht gemachte Menschen, auf der anderen Seite die harte und schmerzhafte Realität. Man sieht, wie grausam das Leben ist. Auch wenn du die ganze Welt nicht retten kannst, so kannst du vielen Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern, wenn du ihnen einen Bruchteil deiner Zeit schenkst.
In dem Song “Sana Ne” (dt: Was geht es dich an?) singst du folgende Zeilen: „Die Leute sollen sagen, was sie wollen, ich höre nicht auf sie, die Leute sollen sagen, was sie wollen, ich ändere mich nicht”. In der türkischen Kultur redet man oft von „El âlem“, also „den Leuten“. Was meinst du, warum man sich so um die Leute und das, was sie sagen, sorgt?
Kız (tr. Mädchen), was weiß ich?! Warum nehmen sie sich das überhaupt zu Herzen?! (lacht) Meine Familie legt sehr viel Wert auf Gedankenfreiheit und bedingungslose Liebe. Sie haben mich in jeder Beschäftigung, der ich nachging, in jeder Entscheidung, die ich fällte, unterstützt und niemals unter Druck gesetzt. Ich stehe heute dank ihnen hier. Weil ich in einer solchen Familie groß geworden bin, habe ich mich nie mit „el âlem” beschäftigt. Aber meiner Meinung nach haben Menschen, die sich in das Leben anderer einmischen, kein interessantes Leben oder keine Hobbies. Ich lege keinen Wert auf ihr Gerede, da meine eigenen Gedanken für mich wichtiger sind.
Friet/Patat oder Döner?
Nee, Döner mag ich nicht! Friet mit Erdnusssauce, Mayonnaise oder frischen Zwiebeln, mmh!
Jemand, der dich vor dem Ruhm schlecht behandelt, dich gereizt, dich demotiviert hat, liest gerade diese Zeilen. Was würdest du dieser Person sagen?
Hacı, n’aber? 🙂 (dt. Hacı, was geht? (Hacı/Hadschi = Ehrentitel der Mekkapilger, Anm.d.Red.)
Zum Artikel auf TÜRKÇE.
Interview: Berivan Kaya
Übersetzung: Zade Ibi
Lektorat: Reyhan Söğüt
Fotos: Selçuk Danyıldız, Eric van Nieuwland, Karsu Dönmez