Am 20. Mai 2023 twittert die Hochschuldozentin Bahar Aslan:
„Ich bekomme mittlerweile Herzrasen, wenn ich oder meine Freund:innen in eine Polizeikontrolle geraten, weil der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht. Das ist nicht nur meine Realität, sondern die von vielen Menschen in diesem Land. #Polizeigewalt“
Sie schildert dabei sowohl die Ängste ihrer Freund:innen, als auch ihre eigenen Ängste vor Polizeikontrollen. Ein paar Hassnachrichten später verliert sie ihren Lehrauftrag an der Polizeihochschule.
Was ist passiert?
Bahar Aslan war Hochschuldozentin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in NRW mit einem Lehrauftrag für das Fach „Interkulturelle Kompetenz“ für angehende Polzeibeamt:innen. Nach dem Tweet von Bahar Aslan wird jedoch, statt über die Angst vor Rassismus, dem ein Teil der Bevölkerung in Deutschland ausgesetzt ist, über ihre abwertende Wortwahl „brauner Dreck“ diskutiert. Dabei wird ihr eine Pauschalisierung vorgeworfen. Die Hochschule begründet ihre Entscheidung Bahar Aslan zu entlassen in ihrem offiziellen Statement damit, dass sie keine : „(…) differenzierte, vorurteilsfreie Sichtweise auf Demokratie, Toleranz und Neutralität (…) vermitteln (könne)“ (Präsidiumsbüro, 2023). In einem Brief solidarisierten sich nun Politiker:innen, Hochschuldozent:innen, Kolleg:innen und andere Personen mit Aslan. Und trotzdem wird sie existentiell angegriffen: als Hochschuldozentin, Lehrerin und Privatperson.
Aslans Worte sind abwertend. Ihre Worte sind hart.
Sie legte den Finger in die Wunde. Sie richtet sich gegen ein systematisches Problem innerhalb der Polizei, nicht die Polizei als Institution. Das stellte sie nochmals klar und distanzierte sich von ihrer Wortwahl. Dabei zeigten bereits, nur beispielhaft die rechtsextremen Chatgruppen, Aufklärungslücken im NSU-Prozess oder Hanau, dass Polizeibeamt:innen und Netzwerke mit diskriminierendem Gedankengut innerhalb der Polizei existieren. Diese sind in einer Machtposition, wie der Polizeikontrolle, bewaffnet. Sie stellen nicht nur für die migrantische Community eine Gefahr dar, sondern für eine demokratische Gesellschaft und die Polizei als Institution. Auch die Polizei wird durch diese gehindert, ihre Verantwortung als demokratische Staatsgewalt auszuüben. Somit bilden diese Netze des Rassismus eine Gefahr für die Polizei. Die aktuelle Debatte verdeutlicht, dass der Umgang mit Bahar Aslan keine offene, faire, wertschätzende Debatte um ihre wichtige Perspektive zulässt. Das sollte in einer demokratischen Gesellschaft möglich sein. Die Hochschuldozentin für „interkulturelle Kompetenz“ verliert ihren Lehrauftrag, weil sie sich als Bildungsbeauftragte -zwar abwertend, aber privat – aus ihrer Betroffenenperspektive dazu äußert, dass migrantische Menschen Angst vor Polizeikontrollen haben, da es innerhalb der Polizei ein Rassismusproblem gibt. Wieso schafft es die Polizeihochschule nicht diese Stimmen auszuhalten und zu nutzen?
Real talk : Antirassistische Bildungsarbeit und so
Die Polizei hat als Staatsgewalt nicht nur Macht, sondern auch demokratische Verantwortung. Die Ignoranz von Bahar Aslans Perspektive, aufgrund ihrer Wortwahl, schadet einem offenen Gespräch und der Polizei. Es führt dazu, dass sich ein System, welches ein Interesse an mehr Sicherheit hat und erkannt hat, dass „interkulturelle Kompetenz“ wichtig ist, das eigene Ziel verfehlt. Again: Rassismus ist eine Gefahr für die Polizei als demokratische Institution. Rassismus und Demokratie funktionieren nämlich nicht zusammen. Eine faire Debatte und eine gewisse Offenheit gegenüber Aslan hätten den eigenen blind spot füllen können. Das Fach „interkulturelle Kompetenz“ hätte dazu führen können, dass die Perspektiven – wie die von Bahar Aslan – Polizeianwärter:innen kritisch nachdenken, diskutieren und ihre Positionen reflektieren lassen. Dass sich die aktuelle Debatte an den Worten „brauner Dreck“ aufhängt, die Lehrbeauftragte entlassen wird und die Perspektive vieler Betroffenen wieder einmal nicht im Fokus ist, stoppt einen reflektierten, trotzdem kritischen und vor allem fairen Umgang mit dem Thema. Es wäre möglich gewesen, ihre Wortwahl zu kritisieren und trotzdem ihre Angst ernst zu nehmen. Stattdessen wird verdeutlicht, dass genau eben diese rassismuskritische Auseinandersetzung blockiert wird. Dabei sind sich oberflächlich eigentlich alle einig, dass gegen Rassismus eigestanden werden muss. Die Stabstelle Rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei NRW schreibt in ihrer vierten Handlungsempfehlung des Abschlussberichtes 2021 davon, durch „(d)ie genannten Fächer (…) einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung über Stereotype, Vorurteile, Rassismus, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Racial Profiling und Extremismus [zu] leisten“ (Stabsstelle Rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei NRW, 2021: 58-59). Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser spricht im April 2023 von einer transparenteren Fehlerkultur und dem stärkeren Entgegentreten gegen Diskriminierung. Warum dann das?
Die Erkenntnis ist da, jetzt muss gewollt werden.
Der Verweis auf die Neutralität im Statement der Hochschule eröffnet ein relevantes Spannungsfeld politischer Bildung. Als staatliche Institution soll die Hochschule politische Neutralität wahren. Diese Neutralität bedeutet aber nicht die Duldung antidemokratischer, antisemitischer, diskriminierender, rassistischer oder rechtsextremer Positionen. Was derzeit wirklich zu kurz kommt, ist Aslans Grundaussage, welche auf die Gefahr und Angst rechtsextremer Tendenzen innerhalb der Polizei verweist. Es wäre möglich gewesen, Bahar Aslan das Angebot zu machen, über ihren Tweet kritisch zu diskutieren, ihn und ihre Wortwahl zu kritisieren und dabei trotzdem ihre Perspektive ernst zu nehmen. Stattdessen wird sie einer existentiellen Gefahr ausgesetzt: Hassnachrichten, der Verlust ihres Lehrauftrages, die Prüfung ihrer Stelle als Lehrerin an einer Schule. Vor allem aber ist es der Hass, der ausgehalten werden muss.
Die Reaktion in ihrem Fall verdeutlicht nicht nur, wie notwendig rassismuskritische Bildungsarbeit ist, sondern auch die Notwendigkeit sicherer Strukturen wie der Möglichkeit, sensible Thematiken zu diskutieren und offen für Rassismuskritik zu sein. Rassismus existiert in Deutschland. Rassismus existiert in der Polizei. Ohne darüber zu sprechen, wird er trotzdem da sein. Und er ist eine Gefahr für eine plurale Gesellschaft und demokratische Polizei. Wenn alle das gleiche Interesse – den Kampf gegen Rassismus – haben, dann muss irgendetwas im Umgang also nicht stimmen. So wird in der aktuellen Debatte vor allem deutlich, wie dringend notwendig rassismuskritische Bildungsarbeit und die Arbeit Aslans ist, um gemeinsam für eine plurale Gesellschaft einzustehen. Dafür muss allerdings Veränderung gewollt werden. Wenn es wirklich um Demokratie, Toleranz und Neutralität gehen soll, dann wäre eine selbstkritische Auseinandersetzung mit und die Anerkennung von Rassismus ein guter Start.
Quellen:
Anpalagan, S., Fereidooni, K., Schweiß, N.(2023). Rassismus in besorgniserregendem Maße, in: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-05/bahar-aslan-polizei-entlassung-offener-brief (29.05.23).
Aslan, B. (2023). Tweet, in: https://twitter.com/BaharAslan_/status/1659881693963071495 (29.05.23).
Faeser, N. (2023). Erste Zwischenergebnisse der umfassenden Polizeistudie, in: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2023/04/megavo-zwischenbericht.html (Letzter Aufruf: 29.05.23).
Präsidiumsbüro (2023). Statement des Präsidiums.Interkulturelle Kompetenz, in: https://www.hspv.nrw.de/nachrichten/artikel/statement-des-praesidiums-interkulturelle-kompetenz-mai-2023 ( letzter. Aufruf: 29.05.23).
Schönborn, L. ( 2023). Bitte nicht wehtun, in: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-05/bahar-aslan-polizei-dozentin-rassismus-tweet (29.05.23).
Stabstelle Rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei NRW. Abschlussbericht. Band 1: Auftrag, Lagebild, Datenerhebungen und Handlungsempfehlungen, in: https://www.im.nrw/system/files/media/document/file/berichtstrechtsband1.pdf (29.05.23).
Schwarz, C. (2023). Polizei-Dozentin über Rassismus. „Ich zeige klare Kante gegen rechts“, in: https://taz.de/Polizei-Dozentin-ueber-Rassismus/!5933417/ (29.05.23).