Süperfrau Idil Üner

Im Gespräch mit der Schauspielerin und Regisseurin

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An einem Vormittag im Mai treffen wir die Schauspielerin und Regisseurin Idil Üner in der Kaffeerösterei Kirsche in Kreuzberg. Bei frisch gemahlenem Espresso und veganen Sandwiches, erzählt sie uns von ihrer neuesten Theaterinszenierung „Süpermänner“, ihrem Kumpel Fatih Akın und dem Stereotyp des türkischen Mannes.

Du stehst vor und hinter der Kamera, singst und inszenierst für’s Theater. Was macht für dich den Reiz jedes Bereiches aus?

Ich sag es mal so profan – und da würden mir viele andere Schauspieler widersprechen  beim Spielen führe ich lediglich das aus, was jemand anderes sich erdacht hat. Wenn ich hingegen Regie führe, habe ich selber eine Vision, die ich dann realisiere und das entfacht in mir große Leidenschaft. Selber eine Idee oder ein Bedürfnis auszudrücken, ist eine große Sache. Ich habe Regie ja nicht gelernt, ich nutze also mein Gefühl und meine eigene Erfahrung dabei. Ich kann nicht zu Hause sitzen und warten bis mich jemand anruft und mich besetzt. Das geht gar nicht, das ist mir zu passiv.

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Du hast bisher siebenmal mit Fatih Akın gedreht. Wie habt ihr euch kennengelernt und welchen Einfluss hatte die Arbeit mit ihm auf deine Karriere?

Diese Frage wird mir oft gestellt, nur niemand fragt welchen Einfluss unsere Arbeit auf seine Karriere hatte! (lacht) Er hat ja anfangs auch geschauspielert, so sind wir als Darsteller in einem vierteiligen Fernsehfilm aufeinandergestoßen. Da haben wir ein Liebespaar gespielt, mit türkischem Hintergrund. Wir wurden sofort Freunde und sind sozusagen zusammen groß geworden. Damals hatte er mir die erste Fassung seines Films „Kurz und schmerzlos gegeben. Ivh fand, die Frauenrolle diente nur als Marionette, eine Art Dekoration in der Männerlandschaft. Da hab ich gesagt: Entweder ganz rein oder ganz raus, und dann hat er die Figur entwickelt.

Und wie kam es zu der Gesangsszene unter anderem in „Im Juli“?

Bei den Dreharbeiten zu „Kurz und schmerzlos, waren ja auch noch die anderen Jungs dabei und wir hatten sehr viel Spaß. Nach den langen Drehtagen sind wir nicht etwa ins Bett, sondern was trinken gegangen. In dieser illustren Runde wurde immer sehr viel gesungen und ich singe ganz gern. Eigentlich nur für mich. Doch Fatih hat es aufgeschnappt und gleich für „Im Juli“ verbraten, für den ich „Güneşim“ sang.

Gab es auch eine Zeit in der du dich distanzieren wolltest vom deutsch-türkischen Image?

Nein. Nach einem schönen Interview, das ich vor 15 Jahren geführt habe, dachten viele irrtümlicherweise ich lehne es kategorisch ab Rollen mit türkischem Hintergrund zu spielen. Das stimmte nie und stimmt auch heute nicht. Ich habe die Drehbücher, in denen es um Leute mit türkischer Herkunft geht, aber immer sehr kritisch betrachtet: Die Geschichten waren zumeist sehr schlecht geschrieben, strotzten nur so von Klischees und einer oberflächlichen, undifferenzierten Sichtweise. Die habe ich abgelehnt, und zwar nicht wenige. Ich habe mich intensiv damit auseinander gesetzt, mit den Autoren und den Regisseuren geredet und gestritten. Vom türkischen Schema habe ich mich aber nie distanziert. Und warum sollte ich auch, es ist ja die Realität.

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Nun zu deiner neuen Inszenierung am Ballhaus Naunynstraße in Berlin. Wie ist die Idee für das Stück „Süpermänner“ entstanden?

Ich kann eigentlich an meine letzte Antwort anschließen. Wir, die türkeistämmigen Filmemacher und Schauspieler, haben immer diesen Störfaktor, nämlich, dass wir in einer Schublade sind. Das sind wir tatsächlich. Vor allem türkeistämmige Männer kommen richtig schlecht weg in Film und Fernsehen. Und ich hatte das Bedürfnis dem zu widersprechen, die Zweidimensionalität in die Dreidimensionalität zu durchbrechen. Von diesem Typen, den wir meinen zu kennen, etwas über die Persönlichkeit und über sein Leben zu erfahren. Das Thema war also türkische Männer und wer sie eigentlich sind. Ich wurde ziemlich schnell gefördert. (lacht)

Dann habe ich natürlich schnell feststellen können, dass es den türkischen Mann nicht gibt. Die Frage haben wir  in den Müll geschmissen. Ich hab dann sehr, sehr viel gelesen, von August Bebel bis Ahmet Toprak. Letztendlich habe ich die Männerselbsthilfegruppe von Kazım Erdoğan kennengelernt, ein spannendes Projekt namens „Väter im Aufbruch“. Ich bin da eine Zeit lang regelmäßig hingegangen und habe angefangen Leute zu interviewen und sehr viel Interessantes erfahren: Man kann die Leute nicht in einen Topf stecken. Es gibt Gemeinsamkeiten; das Land aus dem man kommt, die Sprache die man spricht, so ein paar kulturelle Angelegenheiten, das war’s aber auch schon. Muslime, Sunniten, Aleviten, Buddhisten, Christen, Atheisten, alles war dabei. Rechts, links, oben, unten, grün, blau, einfach alles. Und Irgendwann hab ich dann in der engen Zusammenarbeit mit Tunçay Kulaoğlu, dem Leiter des Ballhaus Naunynstraße, gesagt: Ok, lass uns diese authentischen Leute auf die Bühne bringen! Und ich habe fünf Männer dafür gewinnen können.

Wie hast du bisher die Reaktionen der Zuschauer erlebt?

Sehr positiv. Sehr berührt zumeist, ergriffen und beeindruckt. Aber es gab auch nicht so gute Kritik, die man lesen konnte oder hören in einer Radiobesprechung. Das gehört auch dazu und ist vollkommen in Ordnung. Aber ich habe mein Bedürfnis befriedigen können. Der Weg dahin war völlig unklar. Ich wusste nicht richtig, wie ich ich mein Ziel erreichen soll. Eine Offenheit nämlich und ein gewisses Verständnis dafür, dass jeder Mensch und auch diese Spezies, also türkische Männer, eine eigene Lebensgeschichte hat. Wenn er Gewalt anwendet, ist er dahin gekommen  ohne die Gewalt jetzt relativieren zu wollen. Ich habe nicht nur Gewalttäter da auf der Bühne stehen, sondern Menschen, die selbst Gewalt erfahren haben und genau so welche, die keine Gewalt erfahren haben.

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Die fünf Männer bilden eine Art Gegenmodell zum Stereotypen des türkischen Machos. Ist dieser neu oder war der bisher nur nicht sichtbar?

Ein Gegenmodell ist es nicht, weil was ist dann das Modell? Es ist eher ein Bild, wie gesagt, von den Medien mit realistischen Aspekten gespickt, aber trotzdem medial erschaffen. Alle mit finsterem Blick, alle irgendwie dunkelhaarig, schnäuzbärtig und so weiter. Ich wollte ja auch keine „Erfolgstürken“ aneinanderreihen als Gegenmodell zu den HartzIVEmpfängern, den kriminellen Schlägern und so. Ich habe mir die Darsteller nicht speziell ausgesucht, es hat sich so ergeben. Sie waren bereit von sich zu erzählen. Und es gibt da eine große Sensibilität und die vergrößert sich auch noch. Diese Gruppe redet zum Beispiel über ihre Ängste, sie helfen sich gegenseitig und zeigen Gesicht, gehen in die Öffentlichkeit und prangern Gewalt an. Das haben sie aber von sich aus gemacht. Ohne von außen sagen zu müssen: Jetzt macht mal, jetzt tut mal.

Ich hatte ja selber am Anfang viele Schranken in meinem Hirn und habe mal Kerim Erdoğan gefragt: Was veranlasst die Männer von heute so ein Angebot wahrzunehmen? Er meinte, wenn es vor 20, Jahren so eine Gruppe gegeben hätte, wären sie genauso gekommen. Es gibt das Bedürfnis, aber es gab kein Angebot. Das haben wir uns selber geschaffen.

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Worin besteht der größte Konflikt der Männer?

Ich glaube der größte Konflikt ist die Angst nicht funktionieren zu können, also das was man von ihnen erwartet, nicht bringen zu können. Und das gilt nicht nur für die, das ist auch gesellschaftlich verbreitet. Und die Angst alleine zu sein. In den Gruppen sehen sie, dass sie eben nicht allein sind, sondern viele Menschen die gleichen Ängste teilen. Die Angst als schwach oder verrückt zu gelten. Das ist das größte Problem. Aber auch das wird langsam aufgebrochen, hab ich zumindest das Gefühl. Wenn ich höre, dass die Gruppe vor acht Jahren mit zwei Leuten angefangen hat und es jetzt deutschlandweit über zehn Gruppen sind, denke ich, bricht das auf.

Das heißt, es handelt sich um die persönlichen Schicksale jedes einzelnen Mannes oder ist es eine Mischung aus dem, was du erzählen wolltest, und den Geschichten?

Ich hab sehr viel gelesen und recherchiert; Statistiken und soziologische Abhandlungen über archaische Familienstrukturen und Familienformen. Ich habe mir da schön viel zusammen kopiert … oh je, was ich alles kopiert habe für dieses Projekt! An dieser Stelle, danke liebe Bäume für das viele Papier! (lacht) Ich wollte Informationen über bestimmte Zusammenhänge einfließen lassen – das ist alles weggefallen. Was jetzt auf der Bühne ist, da stammt kein Wort von mir. Auch bei den Interviews wollte ich durch die Fragen keine Richtung vorgeben.  Also nicht: „Bist du gut integriert, kannst du gut Deutsch?“, sondern einfach: „Was war das Schönste für dich im Leben und was war das Schlimmste?“. Dann haben die Leute fünf Stunden erzählt. Das reichte schon. Schließlich habe ich es in eine Form für’s Theater gebracht, mit Kostümen und theatralen Elementen. Die Auswahl, die wir letztendlich mit der Dramaturgie getroffen haben, wurde aber natürlich von ihnen abgesegnet.

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Sind weitere Theaterstücke in Planung?

Nee erst mal nicht, ich bin fix und fertig. Die haben mich fertig gemacht die Männer. (lacht) Ich brauche noch ein paar Monate, um zu verarbeiten was ich da erlebt habe. Außerdem habe ich jetzt keine neue Idee. Es muss wirklich „ding“ machen, und nicht auf Teufel komm raus. Denn es ist ja nicht mein Beruf. Ich kann nur so arbeiten, dass etwas in mir rumort und ich realisiere es dann. Ich hätte wirklich Lust mal einen Langfilm zu machen. Den habe ich seit sehr langer Zeit im Kopf, bin aber noch nicht dazu gekommen daran zu arbeiten. Das wäre ein nächstes eigenes Projekt!

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Credits
Text: Wiebke Finkenwirth
Fotos: Ömer Mutlu

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