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Gesellschaft & Geschichten

Der vergessene Völkermord von Halabja

Zum Gedenktag am 16.03.2022

Die sogenannte „Anfal-Operation“ gegen die Kurd*innen im Irak (1988-1989) bezeichnet den irakischen Giftgasangriff auf die kurdische Stadt Halabja. Ebenso wurden am 28.06.1987 in Serdeşt lebenden Kurd*innen Opfer vom Giftgasangriff, welcher ohne Konsequenzen blieb. Wenige Monate später wurde Halabja angegriffen. Bei diesem Giftgasangriff, der am 16. März 1988 stattfand, starben ca. 5000 Menschen (Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein, es wurden nur identifizierte Todesopfer registriert). Saddam Hussein, damaliger irakischer Diktator der Baath-Partei, hat den Einsatz von Giftgas gegen die kurdische Zivilbevölkerung befohlen.

Historischer Hintergrund

In der Endphase des Iran-Irak-Krieges (1980-1988) begann das irakische Militär eine Reihe genozidaler Maßnahmen, (sog. „Anfal-Kampagne“) gegen die im Norden des Iraks lebenden Kurd*innen und andere ethnische bzw. religiöse Minderheiten wie die Assyrer*innen und Ezid*innen. Bereits vor der sogenannten Anfal-Kampagne (Bezeichnung aller genozidalen Maßnahmen) wurden Kurd*innen in der Vergangenheit Opfer von Massenverbrechen und ethnischen Vertreibungen durch die irakische Regierung. Ziel war es die kurdische Ethnie auszulöschen und die Regionen der Kurd*innen zu arabisieren.

Ablauf

Im Rahmen der Anfal-Opreation (Februar bis September 1988) bombardierte das irakische Militär zahlreiche kurdische Siedlungen und massakrierte kurdische Zivilist*innen, insbesondere Männer im kampffähigen Alter. Als besonders grausam und inhuman gilt der Einsatz von Chemiewaffen auf die kurdische Stadt Halabja am 16. März 1988. Durch den Einsatz von Chemiewaffen erlangte der Genozid von Halabja internationale Aufmerksamkeit. Die Umsetzung der Anfal-Operation übernahm Ali Hasan al Madschid, Cousin von Saddam Hussein (auch bekannt als Chemical-Ali bzw. Chemie-Ali).

Auf einer Tonbandaufnahme äußerte sich Ali-Hasan al Madschid zu den Kurdinnen und Kurden von Halabja wie folgt: „Ich werde sie alle mit chemischen Waffen umbringen. Wer soll etwas dagegen sagen? Die internationale Gemeinschaft? Ich scheiß auf die internationale Gemeinschaft, und die, die auf sie hören. Ich werde sie nicht bloß einen Tag lang mit Chemie-Zeug attackieren, ich werde 15 Tage lang fortfahren.“

Allein am 16.03.1988 kam es in Halabja zu mindestens 5.000 Todesopfern. Im Rahmen der gesamten Anfal-Kampagne wurden laut Human Rights Watch von Februar bis September 1988 ca. 100.000 Kurd*innen systematisch umgebracht. Anfangs gingen westliche Menschenrechtsorganisationen von ca. 100.000 kurdischen Todesopfern aus, mittlerweile sprechen Expert*innen von mindestens 150.000 kurdischen Todesopfern. Nach Schätzung seriöser kurdischer Institutionen kamen schätzungsweise 182.000-200.000 kurdische Menschen ums Leben.

Deutschlands Rolle im Genozid

Deutschland hat durch menschenrechtswidrige Waffenlieferungen und den Einsatz deutscher Waffengüter eine Mitschuld an dem Völkermord von Halabja. Nach dem Giftgasangriff gab es vermehrt Berichte über eine illegale Beteiligung deutscher Waffenproduzenten am Völkermord von Halabja. So wurde durch mehrere deutschen Medien bekannt, dass deutsche Waffenunternehmen in der irakischen Chemiewaffenproduktion verwickelt waren und Saddam Hussein Anlagen zur Herstellung von Chemiewaffen bereitstellten. Die Süddeutsche Zeitung schrieb 1997, dass bis zu 70% der Giftgasproduktionsanlagen im Irak aus der Bundesrepublik Deutschland stammten.

Auch die Menschenrechtsorganisation Medico international berichtete 1998, dass deutsche Firmen für die Herstellung von Chemiewaffen die benötigte Technologie und wissenschaftliche Grundlage verschafften. Die irakische Regierung legte dem UN-Sicherheitsrat 2002 ihren Rüstungsbericht vor, in der eine Liste mit den Namen jener Unternehmen zu finden war, die in den achtziger Jahren den Irak militärisch unterstützt haben: Darunter MBB, Daimler-Benz (Vorgängerunternehmen der heutigen Mercedes-Benz Group AG), Preussag, MAN, Degussa, Hochtief, Siemens, Gildemeister – dazu viele kleine und mittlere Firmen, deren Namen der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt sind.

Die deutschen Manager der Firmen wurden nicht angeklagt, weil sie behaupteten nichts von der Herstellung von Giftgasen gewusst zu haben. Einige Waffendeals waren jedoch illegal, wodurch die Annahme besteht, dass die Waffenunternehmen geheim Geschäfte abwickelten, um nicht aufzufallen. Schließlich war Ihnen klar, dass in Ländern wie im Irak, Chemikalien in Waffen umgewandelt wurden, um unmenschliche Handlungen durchzuführen und Genozide zu begehen.

Umgang mit der Waffenbelieferung und der Bereitstellung von Chemieanlagen

Der Genozid an das kurdische Volk wurde bis heute vom deutschen Bundestag nicht als Genozid anerkannt. 2008 lehnte die Große Koalition (SPD und CDU/CSU) einen Antrag der Opposition ab, wonach die Bundesregierung eine offizielle Mitverantwortung anerkennen und ausgebliebene Entschädigungszahlungen tätigen müsste. 2013, zum 25. Jahrestag des Halabja-Angriffs, versuchte die Opposition ein wiederholtes Mal durch einen Antrag die offizielle Anerkennung als Genozids parlamentarisch zu beschließen, doch die Regierung weigerte sich von einem Völkermord zu sprechen, um möglichen Entschädigungszahlungen und einer Mitschuld auszuweichen.

Folgen für die Überlebenden des Völkermords

Ca. 10.000 Menschen erlitten schwere Verletzungen und langfristige gesundheitliche Schäden wie Hautverbrennungen, Verbrennungen an den Augen und der Lunge. Die entstandenen Genschäden verursachten einen Anstieg der Krebserkrankungen und Missbildungen bei Neugeborenen. Nach einem Jahrzehnt hatte sich die Zahl der Menschen mit Down-Syndrom verdoppelt und die Leukämierate verdreifacht. Auch heutzutage berichten die Überlebenden oder deren Nachfahren von Spätfolgen, wie zum Beispiel Hautkrebs, Augenkrankheiten, Atemproblemen, Unfruchtbarkeit, Missbildungen, Nervenschäden und psychische Probleme. Außerdem hat der Giftgasangriff zu einer dauerhaften Verunreinigung des Bodens und Wassers geführt. Viele der Überlebenden verließen daraufhin Halabja für immer.

Die psychischen Folgen sind unermesslich. Die Menschen leiden unter Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen.

Internationale Reaktionen

Am 9. September 1988 verurteilte die US-Regierung den Giftgasangriff auf Halabja als „abscheuliche und nicht zu rechtfertigende Tat“ gegen die kurdische Zivilbevölkerung. Im Jahr 2005 wurde der Niederländer Frans van Anraat von einem Gericht in Den Haag zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil er Tausende Tonnen Giftgas in den Irak geliefert hat, daraufhin stufte das niederländische Gericht in Den Haag Halabja als Völkermord ein.

Großbritannien, Kanada, Norwegen und Schweden haben die Zerstörung Tausender kurdischer Dörfer, den organisierten Massenmord, den ethnischen Säuberungsplan, die geplante Vernichtung der kurdischen Identität und Kultur, die Auslöschung kurdischen Lebens im Nordirak und die Arabisierung kurdischer Gebiete entsprechend der UN-Völkermordkonvention von 1948 als Völkermord anerkannt.

Kommentar

Deutschland verweigert sich Jahrzehnte nach dem Völkermord von Halabja seiner Schuld bewusst zu sein. Durch die Beihilfe und illegalen Waffengeschäfte deutscher Unternehmen konnten Chemiewaffen in diesem Ausmaß hergestellt werden. Deutschland trägt eine Verantwortung für die kurdischen Todesopfer. Deutschland hat Saddam Hussein die Grundlage für seine strategische Planung des Völkermords ermöglicht. Es wäre eine enorm wichtige Errungenschaft, wenn die Vernichtung von ca. 200.000 Kurd*innen als Genozid anerkannt wird. Denn solch ein Verbrechen darf niemals wieder geschehen.

Halabja ist eine tiefe Wunde in der kurdischen Leidensgeschichte. Fast 200.000 kurdische Todesopfer unter Saddam Husseins Diktatur. Die Vernichtung kurdischen Lebens und die Arabisierung kurdischer Regionen führte zur Entmenschlichung des kurdischen Volkes. Saddam Hussein hat gezielt versucht die Gebiete des kurdischen Volkes im Nordirak zu dekurdifizieren.

Halabja darf nie wieder passieren.

Text: Dawud Yildirim

Bild: Sammy Six via Flickr, CC-Lizenz

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