Einen Handkuss geben?

Das hat mir meine Mutti so nicht beigebracht

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Die älteren Türken sind es gewohnt, dass ihnen die Jüngeren die Hand küssen. Es dient als Zeichen der Ehrerbietung. Für mich ist Respekt jedoch keine Einbahnstraße – und ein Handkuss eher ein Zeichen der Verehrung als vermeintlicher Ehre.

Ich erinnere mich an eine teyze (dt. Tante, man sagt es aber auch zu älteren Frauen), die ich nicht mal persönlich kannte. Aber meine Oma und meine Mutter kannten sie. Alle drei saßen einmal an einem heißen Junitag auf der Terrasse. Als ich dazukam und mich die teyze erblickte, musterte sie mich zunächst, so wie es bei den Türken üblich ist, und erzählte anschließend voller Begeisterung, was für ein „tolles junges Mädchen“ meine Oma als Enkelkind hätte. Im gleichen Atemzug strecke sie mir die Hand entgegen. Ich sollte sie küssen.

In solchen Momenten denke ich immer: „Warum soll ich einer fremden Person die Hand küssen?“ Ich weiß nicht einen Funken darüber, wer sie ist, was sie macht, was sie für ein Mensch ist. Vielleicht redet sie schlecht über andere? Vielleicht hat sie schon einmal jemanden umgebracht? Wer weiß das schon! Ich fand es einfach nicht angebracht, ihre Hand zu küssen. Eher würde ich zuerst einen Tee mit ihr trinken, mit ihr tratschen und dann zum Abschied überlegen, ob ich ihr vielleicht die Hand küsse.

Das Problem hab ich letztendlich so gelöst: Ich blickte auf ihre Hand und schüttelte sie freundlich mit meiner rechten, während ich mit einem freundlichen Lächeln sagte, es wäre schön, sie kennenzulernen. In diesem Moment dachte die teyze sicher: „Was für ein unerzogenes Kind!“ Das war mir aber recht egal, denn wir Leben im Jahr 2016 und meine Mutter hat mir beigebracht, Dinge zu hinterfragen. Und dazu gehören zweifellos auch Sitten aus dem letzten Jahrtausend.

Credits:
Bild: Shutterstock

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