Das Alevitentum und seine Familienstämme

Was sind alevitische Familienstämme? Was sind die Unterschiede zwischen Ocak und Asiret?

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Die Entstehung des Alevitentums geht bis zu 1000 Jahre zurück, wobei der genaue Zeitrahmen umstritten ist. Die heiligen Familien der Ocaks führen ihre Abstammung bis zu ihrem Propheten Mohammed und seinem Cousin Ali zurück, was sie auch dazu legitimiert, den Beinamen Seyid zu tragen. Dies wird durch die Şeceres, also die Stammbücher, belegt. Die ältesten dieser Stammbücher sind bis zu 1000 Jahre alt. In der offiziellen Literatur wird für den Beginn des Alevitentums oft das 13. Jahrhundert angegeben. Jedoch lässt sich vor dem Hintergrund der Existenz dieser 1000 Jahre alten Şeceres annehmen, dass bereits vor mindestens 1000 Jahren zumindest bei den Qizilbas-Aleviten ein „Proto-Alevitentum“ existierte. Einen zentralen Bestandteil der alevitischen Glaubenslehre bieten die heiligen Familienstämme, welche auch als Ocaks bezeichnet werden.

Der Unterschied zwischen Bektashi -und Raa-Haq-Alevit:innen

In der alevitischen Religion gibt es in der Organisationsstruktur Familienstämme, welche als „Ocaks“ oder „Aşiret“ bezeichnet werden. Zunächst ist das Alevitentum in mehrere Strömungen zu unterteilen. Darunter die Raa-Haq/ Qizilbaş, welche traditionell ihren Ursprung in der Region Dersim haben, und die Bektashi-Alevit:innen, deren Siedlungsgebiete traditionell in Anatolien und dem Balkan liegen, also dem ehemaligen Kerngebiet des Osmanischen Reiches, in dem sie auch lange Zeit durch eine enge Zusammenarbeit einen zentralen Bestandteil bildeten (Ausbildung der Janitscharen). In diesem Beitrag werden die Familienstämme der Qizilbaş-Alevit:innen vorgestellt.

Einer der zentralen religiösen Unterschiede zwischen den beiden Strömungen ist die Möglichkeit, in die Konfession der Bektashi-Alevit:innen zu konvertieren. Raa-Haq-Alevit:in jedoch wird man nur durch die Geburt. Wer dem Alevitentum beitreten möchte, kann somit lediglich dem Bektashi-Orden beitreten. So spielten die Bektashi-Alevit:innen lange Zeit eine zentrale Rolle bei der Knabenlese des Osmanischen Reiches und der Ausbildung der Janitscharen-Truppen. Die Qizilbaş-Alevit:innen hingegen waren mindestens seit der Herrschaft Sultan Selims eine verfolgte Minderheit des Osmanischen Reiches.

Die Familienstämme

Familienstämme im Alevitentum sind als eine Art Lineage ([ˈlɪniɪdʒ], f., Plural: Lineages; englisch: „Gruppe einer Abstammungslinie“) oder einlinige Abstammungsgruppe von alevitischen Heiligen (eine große Familiengruppe) erklärbar. Heilige Stammesväter sind unter anderem Baba Mansur, Ağuçan, Scheich Ahmet und Scheich Delil-i Berxecan (sie lebten vermutlich zwischen dem 10. und 12.-Jahrhundert). Die Stammbäume geben Auskunft über die Abstammungslinie der Lineage. Jede Lineage tradiert ein mündliches Narrativ, das zum einen ihre Herkunft und zum anderen die besonderen Fähigkeiten (Keramet) ihrer Vorfahren überliefert. Traditionell waren nur die Ocak-Familien im Besitz der Buyruk-Texte und rituellen Objekte, die sie innerhalb ihrer Familien vererbten. Somit galten sie als „Hüter des geheimen Wissens“.

Jeder Familienstamm beruht auf einer patrilinearen Abstammung und ist entweder ein Ocak oder Aşiret. Ein Ocak, ist ein Familienstamm, der einer Dede/Pir-Familie zugeschrieben wird – Aşiret hingegen nicht. Ein Dede und ein Pir sind im Alevitentum ein religiöser Würdenträger, dessen Kernaufgabe das Leiten der Cem-Zeremonie, Lehren der religiösen Inhalte und Schlichten von Konflikten ist. Ursprünglich waren die alevitischen Familienstämme in bestimmten Regionen konzentriert und in der Pir-Talip-Beziehung gab es eine Verflechtung, bei der bestimmte Ocaks mit bestimmten anderen Ocaks bzw. Aşirets verbunden wurden, mit denen dann eine Pir-Talip-Beziehung praktiziert wurde. Diese Verbundenheit ging mit der Zeit verloren, vor allem weil ab den 30ern als Teil der Assimilationspolitik des türkischen Staates diese Familienstrukturen gezielt zersplittert wurden, die den Erhalt des alevitischen Glaubens über Jahrhunderte sicherten und gleichzeitig der Zuzug der Alevit:innen in den Westen und größere Städte Fern von ihrer Heimat die Verbundenheit zu diesen Familienstämmen auflockerte, was zu einem strukturellen Wandel in der alevitischen Gemeinschaft führte.

Die Ocaks sind die heiligen Familienstämme, denen die religiösen Führer im Alevitentum (Dedes, Pirs und Seyids) angehören. Die Aşirets hingegen sind Familienstämme, die nicht heilig sind, denn sie haben kein Şecere und ihnen werden keine Wunder zugeschrieben. Die Mitglieder:innen der Aşirets nehmen keine religiösen Aufgaben wahr. Die bekanntesten Ocaks sind: Baba Mansur, Khureschan, Ağuçan und Derwisch Dschemalan. Es wird auch von den zwölf Ocaks Dersims gesprochen, jedoch existieren streng genommen mehr als zwölf. Kein Ocak wird über einen anderen Ocak gestellt, jedoch müssen sich ihre Amtsträger legitimieren. Dies erfolgt mit den Şeceres und den Wundern, die ihnen zugesprochen werden, die jedoch nicht jeder Ocak hat. Ocaks ohne Şecere werden als Dikme-Ocak bezeichnet und deren Dedes auch als „Dikme-Dede“. Schätzungen zufolge existieren Hunderte von Familienstämmen.

Text: Rojda Çomak und Ferhat Çomak

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