Ayşe Bosse hat lange als Model und Schauspielerin gearbeitet. Seit einigen Jahren ist sie auch Trauerbegleiterin und hat letztes Jahr ein Buch geschrieben: „Weil du mir so fehlst“ möchte Kindern dabei helfen, ihre Trauer bewusst zu erleben und zuzulassen. Was Ayşe dazu bewegt hat und wie sie persönlich mit dem Thema Tod umgeht, lest ihr hier.
»Ich wollte etwas tun, das nichts mit meiner Fresse zu tun hat«
Es ist ein verregneter Novembertag, als wir Ayşe zum Interview treffen. Die Hamburgerin ist zu Gast in Berlin und lädt uns zum Interview in die gemütliche Wohnung ihrer Freundin im Prenzlauer Berg ein. Bei einer Tasse Tee sprechen wir über ein Thema, mit dem jeder von uns früher oder später konfrontiert wird: Den Tod einer geliebten Person.
„Ich habe mich schon als Kind gedanklich viel mit dem Tod befasst“, erzählt uns Ayşe, die als Tochter einer Deutschen und eines Türken in Frankfurt am Main geboren und aufgewachsen ist. „Ich musste früh Tod in der Familie erfahren, eine Schulkameradin verunglückte tödlich auf der Klassenfahrt“. Nach der Schule geht Ayşe nach Istanbul, macht ein Praktikum bei einem Fotografen, fängt an zu modeln und zu schauspielern. Zurück in Deutschland lernt sie ihren Mann kennen, bekommt eine Tochter.
„Nach all den Jahren im Model- und Schauspielbusiness und der Erfahrung, Mutter geworden zu sein, habe ich mich danach gesehnt, etwas Sinnvolles zu tun. Keine Bauchnabelschau, nichts, was mit meiner Fresse zu tun hat, sondern etwas Gutes, womit ich anderen Menschen helfen kann“, erklärt uns Ayşe den Auslöser dafür, sich als Trauerbegleiterin zu engagieren. So wurde sie auch schon von ihren Eltern geprägt: Ihr Vater war Unfall-Chirurg, die Mutter Kindergärtnerin. Nachmittags kümmerte sich Ayşes Mutter um den autistischen Sohn von Freunden, damit er nicht in ein Heim gebracht werden musste. „Dieses soziale Engagement meiner Eltern hat mir all die Jahre echt gefehlt“, sagt Ayşe, „und so habe ich mich auf die Suche gemacht nach einer Aufgabe, mit der ich anderen Menschen Gutes tun kann“.
»In einem Hospiz gibt es wunderschöne Momente, weil es darum geht, den Sterbenden möglichst gute Lebensqualität und Freude zu ermöglichen«
Diese Aufgabe findet Ayşe bald in einem Kinder-Hospiz im Hamburger Kiez Eidelstedt. „Die friedliche Atmosphäre dort hat mir auf Anhieb sehr gefallen“, erzählt sie. Nach einem Qualifikationskurs begleitet sie zwei Jungen bis zu deren Tod. Das war im Jahr 2013. Im selben Jahr verstirbt auch ihr Vater und sie braucht eine Pause von der Arbeit im Hospiz. „Wenn man selber Kinder im gleichen Alter hat, ist das wirklich hart. Meine gesunde Tochter hat mir immer wieder vor Augen geführt, was den sterbenskranken Kindern nicht vergönnt geblieben ist“, erklärt uns die Einundvierzigjährige. „Und ich brauchte Raum für die Trauer um meinen Vater.“
Während ihrer Zeit im Hospiz nimmt sich Ayşe auch oft den Geschwistern der sterbenden Kinder an. „Viele dieser Geschwisterkinder kommen in dieser Phase zu kurz, nehmen sich und ihre Bedürfnisse komplett zurück, um den Eltern nicht zur Last zu fallen“, erzählt sie uns. Ayşe hat schnell einen guten Draht zu den Geschwisterkindern, backt gemeinsam mit ihnen Pizza und hat ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Gedanken. „Diese Gespräche mit den trauernden Kindern haben mir viel gegeben“, sagt Ayşe. „Daraus ist dann der Wunsch gewachsen, die Ausbildung zur Trauerbegleiterin zu absolvieren“.
»Mama, ich habe Angst, Dede zu vergessen!«
Aber warum ausgerechnet Kinder und keine Erwachsenen? „Gespräche mit trauernden Kindern sind auf eine gewisse Art einfacher als mit Erwachsenen“, erklärt Ayşe. „Sie leben viel mehr im Hier und Jetzt und springen rein in die Trauer – kommen aber auch genau so schnell wieder rausgehüpft und erlauben sich, im nächsten Moment wieder fröhlich durch die Gegend zu laufen.“ Erwachsene hingegen würden oft in ihrer Trauer verharren, manchmal sogar bis zur Depression oder körperlichen Beschwerden. Ihre Entscheidung habe auch viel mit ihrer Tochter zu tun gehabt, die damals um ihren Dede trauerte. „Irgendwann stand sie völlig verzweifelt vor mir und sagte: ‚Mama, ich habe solche Angst, Dede zu vergessen!’“, erzählt Ayşe. „Da wusste ich, dass ich ihr unbedingt helfen muss.“
So entsteht die Idee zu ihrem Buch. „Weil du mir so fehlst“ (Carlsen Verlag 2016) ist ein liebevoll gestalteter Begleiter für Kinder fürs Abschied nehmen, vermissen und erinnern. Es gibt Platz für Gedanken, Gefühle und offene Fragen, einen Steckbrief über die verstorbene Person und einen „Brülleimer“, wo die Kinder ihre Wut und alle Schimpfwörter reinschreiben können, die ihnen auf der Zunge liegen. Ihr Mann, Musiker Axel Bosse, hat einen Song zu dem Buch geschrieben, den man runterladen kann. „Es ist so wichtig, die Kinder und ihre Ängste ernst zu nehmen. Es gibt kein richtiges oder falsches Trauern, alles ist erlaubt“, erklärt Ayşe.
Ein Punkt ist ihr besonders wichtig: „Kindern gegenüber sollten wir Erwachsene immer ganz bewusst die Wörter „gestorben“ oder „tot“ benutzen. Umschreibungen wie „Opa ist für immer eingeschlafen“ oder „auf eine Reise gegangen“ beflügeln nur unnötig die Phantasie der Kinder, die dann schlimmstenfalls Ängste vor dem Einschlafen oder Verreisen entwickeln.“ Nach Möglichkeit sollten die Kinder auch immer mit zu der Beerdigung und Trauerfeier einer verstorbenen Person mitgenommen werden: „Wir sollten die Kinder nicht ausschließen, sondern in unsere trauernde Mitte nehmen“, sagt die Hamburgerin mit den kurzen braunen Haaren. „Kinder sind sehr gute Tröster und können Tränen der Trauergäste gut aushalten“, erklärt Ayşe. „Sie fühlen sich dann gebraucht und mit einbezogen und das ist so wichtig, um die Trauer auch zulassen zu können.“
»Beim Trauern können wir nichts falsch machen«
Das Buch erscheint bereits in der zweiten Auflage und hilft dabei, präventiv zu arbeiten: „Fast jedes Kind hatte heutzutage schon einmal Kontakt mit dem Tod. Ob es ein Verwandter, die Mutter einer Schulfreundin oder ein geliebtes Haustier ist – jedes Kind macht sich dazu seine Gedanken“, erzählt Ayşe. „Immer mehr Schulen möchten deshalb die Kinder begleiten und ich helfe dabei, Trauersprechstunden oder Nachmittagsworkshops für Kinder zu etablieren“, sagt sie, und ihre blauen Augen leuchten.
Und wie trauert ihre Tochter? „Ich finde Rituale sehr wichtig. Am Geburtstag meines Vaters kaufen wir immer eine Hürriyet und werfen Blumen in die Elbe“, erzählt die Autorin. „Auch wenn es sein letzter Wunsch war, bei seinen Eltern in der Türkei beerdigt zu werden, holen wir meinen Baba mit diesen Ritualen immer wieder zurück in unsere Mitte“, sagt Ayşe und lächelt.
Ob sich ihr Blick auf den Tod durch ihre Arbeit als Trauerbegleiterin verändert hat? Ayşe überlegt kurz. „Ich habe sicher nicht mehr so viel Angst vor dem Sterben wie andere“, sagt Ayşe nachdenklich. „Die Trauer hört aber nicht auf, sie verändert sich nur. Sie ist immer da, mal ganz nah und dann, am nächsten Tag, wieder ganz weit weg“, erklärt sie. „Ich bin glücklich, zu wissen, dass wir beim Trauern nichts falsch machen können. So individuell wie wir Menschen sind, so unterschiedlich ist auch die Trauer“, sagt Ayşe.
Als nächstes Projekt arbeitet die Autorin an einem Trauer-Buch für Jugendliche, bei dem Musik eine große Rolle spielen wird. Außerdem erscheint dieses Jahr ein Kinderbuch mit einer deutsch-türkischen Heldin. „Ich habe meine ganze Kindheit und Jugend die Sommerferien in der Türkei bei meinen Verwandten verbracht“, erzählt uns Ayşe zum Schluss. „Ich bin sehr dankbar, von beiden Kulturen etwas mitbekommen zu haben. Meine Heldin soll junge Menschen dazu ermutigen, für sich einzustehen und sich frei zu fühlen, man selbst zu sein“.
Text: Türkiz Talay