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Bühne & Schauspiel

Canim Kreuzberg

Zu Gast bei Canan Turan

Vor einem Jahr feierte die junge Filmemacherin Canan Turan ihr Kinodebut. Aus ihrem Kurzfilm Kıymet und Aslı Özarslans Film Bastarde wurde das Doppel Canım Kreuzberg, das seitdem im Kino Moviemento in Berlin zu sehen ist. Wir haben sie zu Hause besucht und mit ihr über Identität, Familie, Politik und natürlich Filme gesprochen.

Dein Kurzfilm „Kıymet“ erzählt die Geschichte deiner gleichnamigen Großmutter. Sie kommt in den 60er Jahren nach Berlin-Kreuzberg, lebt und arbeitet dort und kehrt im Alter in ihr Heimatdorf in der Türkei zurück. Was möchtest du dem Zuschauer mit ihrer Geschichte sagen?

Ich möchte einen Teil migrantischen Lebens in Deutschland zeigen, der weitgehend ausgeblendet wurde. Das Thema Migration ist im öffentlichen Diskurs zwar präsent, wird aber nicht in seinem historischen Kontext verstanden. Häufig konzentriert man sich auf negative Stereotypen, die eher die Ausnahme als die Normalität darstellen (und dann auch noch in einem ahistorischen Vakuum entstanden sein sollen). Für Geschichten wie die meiner Oma Kıymet bleibt da leider kein Platz mehr. Das möchte ich mit meinem Film ändern. Mindestens genauso wichtig ist der große Respekt, den ich vor meiner Großmutter habe. Ihre Lebensgeschichte beeindruckt mich, und mein Film soll ihr ein Denkmal sein.

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Neben deiner Großmutter geht es auch um dich selbst, andere Familienmitglieder, Freunde und Bekannte – ein Stück Familiengeschichte auf Leinwand. Wie kamst du dazu, einen so persönlichen Film zu machen?

Das hat viel mit meiner kritischen Haltung gegenüber Dokumentarfilmen zu tun. Ich glaube, dass Menschen immer diejenigen Geschichten am besten erzählen können, die zu ihnen selbst gehören. Es gibt viel zu viele Filme, die von einer mehrheitsdeutschen oder weißen europäischen Perspektive auf die konstruierten Anderen blicken. Dieser Außenblick, der häufig nicht einmal als ein solcher markiert ist, erhebt Anspruch auf Objektivität, kann diesem Anspruch aber nicht gerecht werden. Einen subjektiven Film zu machen, ist für mich eine Gegenbewegung. Ich blicke auf das, was ich am besten kenne.

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Wie haben deine Familie und dein Umfeld auf den Film reagiert? Wie fand Kıymet die Idee, darin die Hauptrolle zu spielen?

Mein Umfeld hat überraschend positiv reagiert. Und meine Oma – naja, für sie war der Dreh eine ganz besondere Erfahrung. Schau mal: Nachdem sie den Film zum ersten Mal gesehen hatte, war ihre erste Reaktion: „Du, Canan, ich hab dir doch so viel erzählt, warum hast du nur so wenig davon reingenommen?“ – klar, aus fünf sechs Stunden Interviewmaterial wurden im Film ungefähr zehn Minuten. Menschen, die keine Filme machen, stellen sich das immer ein bisschen anders vor. Das unterstreicht aber, wie gerne sie mir das alles erzählt hat. Es war ein unglaublicher Wunsch in ihr gewachsen, sich mitzuteilen und selber einmal die Hauptrolle zu spielen. Während ihrer Ehe wurde sie ja total von meinem Großvater bevormundet. Aus diesem Grund durfte er in dem Film auch kein Wörtchen mitreden. Es ist ein Frauenfilm geworden, und darauf bin ich stolz.

 

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Glaubst du, dass Zuschauer, die sich mit der Mehrheitsgesellschaft identifizieren, und Zuschauer mit Migrationshintergrund, die in ihrem Familienkreis vielleicht ähnliche Geschichten haben, deinen Film mit jeweils anderen Augen sehen?

Zuschauer nach ihrer Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft oder Migrationsgesellschaft einzuteilen, ist mir zu einfach. Identität ist vielschichtiger, als dass man nur Teil einer dieser beiden Gruppen wäre. Vielleicht findet sich ja eine Frau mit Eheproblemen in meinem Film wieder. Oder Jemand mit einer ähnlich intensiven Beziehung zu seiner/ihrer Großmutter identifiziert sich mit meinen Gefühlen für meine Großmutter. Aber klar, wenn man selber eine Migrationsbiographie hat, kann es sein, dass man bestimmte Sachen wiedererkennt. Es hat mich dann auch glücklich gemacht, als Leute das an mich herangetragen haben. Allerdings habe ich keinen Repräsentationsanspruch. Ich möchte mich nicht hinstellen und sagen, so ist die türkische Gastarbeiterin und so ist die Enkelin einer türkischen Gastarbeiterin.

Wie kam es dazu, dass aus „Kıymet“ und Aslı Özarslans Film „Bastarde“ schließlich „Canım Kreuzberg“ wurde? War das von Anfang an geplant?

Nein. Bastarde und Kıymet waren ursprünglich zwei separate Kurzfilme. Das Kino Moviemento hat das Filmdoppel organisiert, als es Bastarde auf die Leinwand bringen wollte, der Film für eine Kinovorstellung aber zu kurz war. Als die Anfrage kam, war ich völlig überwältigt. Kıymet im Kino zu zeigen, lag jenseits meiner Vorstellungskraft.

Worin siehst du die Beziehung zwischen euren Filmen? Außer natürlich, dass es in beiden um türkische Migranten in Deutschland geht.

Auf den ersten Blick sind unsere Filme natürlich sehr unterschiedlich. Kıymet erzählt eine persönliche, autobiographische Geschichte, Aslı portraitiert in Bastarde das Ballhaus Naunynstraße. Beide behandeln aber ähnliche Themen wie Schubladendenken, Rassismus und Ausgrenzung. Trotz dieser Probleme sind die Darsteller beider Filme in der Lage, ihre Situation zu meistern und etwas Gutes zu erschaffen. Durch das Filmdoppel kommen zudem alle drei Generationen zu Wort. In Bastarde die zweite und dritte, in Kıymet die erste und dritte. Irgendwie passen die Filme zusammen, irgendwie aber auch nicht. Vielleicht macht gerade das Canım Kreuzberg so reizvoll.

Wie verändert sich das Leben einer jungen Filmemacherin nach dem ersten Kinoerfolg?

Die Presseresonanz war echt super, das war total aufregend. Es war toll zu sehen, dass diese Geschichten interessant genug sind, um einem mehrheitsdeutschen Publikum präsentiert zu werden. Das hat mir Mut gemacht für meine nächsten Projekte.
Reich bin ich nicht geworden (lacht).

Welche Personen haben den größten Einfluss auf dein Schaffen? Hast du einen Lieblingsregisseur?

Es ist tatsächlich ein Regisseur. Tony Gatlif macht das, was ich hier in Deutschland mache, als algerischer Roma in Frankreich, allerdings eher in Spielfilmen und nicht in Dokus. Für meinen neuen Film möchte ich aber auch mehr performative Elemente verwenden. Mich stört, dass Dokumentarfilm immer so starr verstanden wird, so, dass es auf keinen Fall so wie Spielfilm sein darf.Eine weitere wichtige Person ist natürlich meine Großmutter, von der ich Inspiration und Kraft schöpfe. Im Film sagt sie: „Du sollst nicht weinen, niemand ist deine Tränen wert. Wenn dich etwas traurig macht, dann trenn dich davon.“ Das ist für mich eine superwichtige Botschaft, die sich nicht nur auf Liebesbeziehungen, sondern auf das ganze Leben bezieht.Schließlich sind da noch alle migrantischen Künstler_innen, die in ihren Filmen, Stücken oder Songs ein realitätsnäheres, heterogeneres Bild von migrantischem Leben in Deutschland zeigen. Sie geben mir das Gefühl, dass ich mit dem, was ich mache, nicht alleine bin.

Was ist dein Lieblingsfilm?

Da gibt es mehrere. Gegen die Wand von Fatih Akın zum Beispiel. Ich fand es unglaublich, wie grell und krass dieser Film ist, alle Tabus bricht und dabei keinen Anspruch auf Repräsentation erhebt. Tony Gatlifs Film Exils finde ich auch sehr gut. Oh ja, und natürlich Almanya von den Şamdereli-Schwestern. Das ist für mich einer der schönsten Filme der letzten Jahre. Da hatte ich das Gefühl, hier wird nicht über uns gelacht, sondern ich kann mitlachen.

Was würdest du heute machen, wenn du keine Regisseurin geworden wärest?

Kulturmanagerin. Allerdings hat mir meine Mutter erst letztens wieder gesagt: „Aus dir wär ’ne gute Rechtsanwältin geworden.“ Aber nein, Kulturmanagement hat mich schon immer interessiert, und ich habe mich in dem Bereich auch immer sehr engagiert. Events sind eine tolle Sache. Sie bringen Menschen zusammen, und für viele ist es die einzige Möglichkeit, sich auf Augenhöhe zu begegnen.

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Wie siehst du das Zusammenleben zwischen Mehrheitsgesellschaft und Migranten in Deutschland? Was ist gut? Was könnte verbessert werden?

Wir machen nicht mehr nur die schlechtbezahlten Jobs, das hat sich verbessert. Trotzdem gibt es noch sehr viele Probleme. Eins davon ist die Repräsentation türkischstämmiger Menschen in den Medien, wo sie auf einige wenige, zumeist negative Merkmale reduziert werden. Im öffentlichen Diskurs gibt es leider immer noch dieses Bild, dass wir „Ausländer“ sind. Dabei sind wir doch schon seit so vielen Jahren hier. Ich möchte nicht sagen, wir sind alle Deutsche – mit Nationalitäten habe ich es generell nicht so –, sondern wir gehören alle zu Deutschland dazu.

Stichwort „Kopftuch“, „Beschneidung“, „Islam“ – wie hast du die öffentlichen Debatten der letzten Jahre erlebt?

In diesen Debatten wird wahnsinnig viel skandalisiert. Man braucht sich nur einmal die Vorfälle der letzten Jahre anzuschauen: Ein Vater bringt seine Tochter um, und schon gibt es eine riesige Ehrenmord-Debatte. Junge Männer schließen sich Terrororganisationen in Syrien oder Afghanistan an, plötzlich werden aus allen muslimischen Jugendlichen potenzielle Terroristen. Die Aufmerksamkeit wird auf Ereignisse gelenkt, die in der türkeistämmigen Bevölkerung die Ausnahme sind. Wie viele Väter entscheiden denn tatsächlich, ob ihre Töchter wegen ihrer Lebensweise umgebracht werden sollen? Aber wie viele davon finden ihren Weg ins Fernsehen? Es fühlt sich so an, als wolle man zeigen, wie unterschiedlich wir sind und dass wir nicht zusammengehören – alles totaler Bullshit.

In einem Interview mit dem Tagesspiegel vom Mai 2013 hast du gesagt, dass du die Bezeichnung „Deutsch-Türke“ nicht magst. Warum?

Genau wie bei der Bezeichnung „Deutsche/r“ oder „Türke/Türkin“ liegt der Fokus dabei wieder auf der ethnischen Herkunft, die für mich sehr wenig über einen Menschen aussagt. Darüber hinaus werden wir dadurch als vermeintlich unterschiedlich markiert – eine reine Konstruktion. Ich persönlich würde mich eher als Berlinerin oder Kreuzbergerin bezeichnen.
Das kann zwar von jedem anders verstanden werden, kommt aber meinem Verständnis von Identität wesentlich näher.

Hast du schon ein neues Projekt?

Ja, ich bin gerade fleißig am arbeiten. In meinem neuen Film geht es um mich und meinen Vater. Wie schon bei Kıymet wird es keine reine Familiengeschichte, ich baue auch viele Elemente ein, in denen sich andere wiederfinden können. Die grundlegende Frage wird sein: Wie können sich Menschen an einem Ort, in ihrer Familie oder in sich selbst zu Hause fühlen, gerade dann, wenn die Bedingungen nicht die einfachsten sind? Aber natürlich geht es auch um meine Familie. Mein Vater und ich haben eine unglaubliche Entwicklung zum Positiven hinter uns, das will ich erzählen.

Credits
Interview: Francis Laugstien
Fotos: Ono Miyaki

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