TW: Erwähnungen von Antisemitismus, Verschwörungstheorien und Rassismus
Es gibt Formen von Antisemitismus, die nicht oder nicht nur rassistisch sind. Welche Unterscheidungen gibt es? Was muss bei dieser Beobachtung berücksichtigt werden?
Was ist Antisemitismus?
Antisemitismus ist eine Art der Diskriminierung. Die Einzelperson wird nicht als Individuum, sondern als Angehörige*r eines konstruierten oder realen Kollektivs gesehen. Dennoch ist Judenfeindlichkeit kein einheitliches Phänomen. Sie kann auch Bestandteil anderer Diskriminierungsformen sein, aber auch in Form einer umfassenden Weltanschauung auftreten.
Ein Alleinstellungsmerkmal unter den Formen der Menschenfeindlichkeit ergibt sich beim Antisemitismus durch die Folgewirkungen, die ihren tragischen Höhepunkt in den Massenmorden im Zweiten Weltkrieg fanden. Als erklärtes Ziel und im Sinne des politischen Willens des Nationalsozialismus war es, alle Angehörigen einer sozialen Gruppe, unabhängig von ihren individuellen Einstellungen und Handlungen allein und ausschließlich aufgrund dieser Zugehörigkeit zu töten.
Was ist Rassismus?
Rassismus geht von der Vorstellung aus, es gäbe verschiedene Menschenrassen: die „weiße Rasse“, die „schwarze Rasse“, die „gelbe Rasse“, die „rote Rasse“. Menschen derselben „Rasse“ werden gemeinsame Eigenschaften zugesprochen. Rassismus ordnet allen Menschen eine bestimmte Position in der Gesellschaft zu, wobei eine Hierarchisierung vorgenommen wird und schafft somit ein Machtverhältnis.
Auch Hitler und die Nationalsozialisten glaubten an diese Einteilung der Menschen in “Rassen”. Und sie glaubten, zwischen den “Rassen” sei ein Kampf im Gange. Juden*Jüdinnen waren in der Sicht der Nazis eine schwache, gefährliche und minderwertige “Rasse”, die nicht nach Deutschland gehörte. Diese Vorstellungen sind rassistisch. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Wissenschaft bewiesen, dass die Einteilung der Menschheit in verschiedene “Rassen” falsch war.
Rassistischer Antisemitismus
Die Besonderheit des rassistischen Antisemitismus besteht darin, dass er alle jüdischen Menschen von Natur aus negativ bewertet und sie weder durch die Abkehr von ihrer Religion noch durch ein anderes Verhalten dieser Bewertung entgehen können. Er suggeriert den Unterschied verschiedener “Rassen”, so z.B. Germanen und Juden, woran später die Nationalsozialisten ihre Ideologie knüpften. Diese Form des Antisemitismus trat im 19. Jahrhundert auf.
Religiöser Antisemitismus und Antijudaismus
Religiöser Antisemitismus entwickelte sich aus der Absolutsetzung der christlichen Auffassung von Religion, die mit der Ablehnung und Diffamierung aller anderen Glaubensformen einhergeht. Juden*Jüdinnen werden bereits im Neuen Testament als “Söhne des Teufels” bezeichnet, und die Behauptung der Schuld am Tode Jesu hat sich als “Gottesmord” in der Glaubensauffassung von vielen Christen festgesetzt. Man verdammte sie nicht, weil sie zu einer anderen “Rasse“ gehörten, sondern weil sie nicht an den “richtigen“ Gott glaubten.
Feindbildkonstruktion
Der gravierendste Unterschied zwischen Rassismus und Antisemitismus besteht wohl in ihren Feindbildkonstruktionen: Im Rassismus werden die von ihm Betroffenen zumeist abgewertet als primitiv, triebgesteuert, gewaltsam usw. verurteilt. Während die Eigengruppe als überlegen angesehen wird, wird die rassistisch konstruierte Fremdgruppe als minderwertig dargestellt.
Auch im Antisemitismus erfahren Juden*Jüdinnen auf der einen Seite eine kollektive Abwertung, auf der anderen Seite aber zeitgleich eine merkwürdige Überhöhung. Juden*Jüdinnen gelten dem antisemitischen Denken nach als extrem mächtig, als “Drahtzieher” und als gerissene “Verschwörer”, die über ihren vermeintlichen Einfluss auf die Politik, die Medien und die Finanzmärkte insgeheim die Geschicke der Welt lenken. Sie können somit für alles Böse der Welt verantwortlich gemacht werden.
Während der Rassismus also vor allem die Unterlegenheit “der Anderen” behauptet, unterstellt der Antisemitismus “jüdische Übermacht” und erklärt sich die Gesellschaft durch das vermeintliche Wirken “von Juden” und nimmt somit die Form einer sinnstiftenden Welterklärung an.
Ethnizität und “Rasse”
Ethnizität bezeichnet die individuell empfundene Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, deren gemeinsame Merkmale z. B. Sprache, Religion bzw. gemeinsame Traditionen sein können. Die nicht genau definierte Bezeichnung ethnisch-religiöse Gruppe wird verwendet, um Gruppen zu bezeichnen, für deren Abgrenzung sowohl ethnische als auch religiöse Aspekte maßgeblich sind. Sie bezeichnen Gruppen, deren religiöse und ethnische Traditionen historisch miteinander verbunden sind. Auch Juden*Jüdinnen können ethnisch jüdisch, aber nicht religiös sein.
Juden*Jüdinnen sind keine “Rasse” und das Denken in “Rassen” ist falsch und gefährlich. Aber manche Menschen glauben noch immer daran. Wenn sie aus diesem Denken heraus Juden*Jüdinnen hassen, ist das zweifellos rassistisch. Außerdem muss auch Intersektionalität berücksichtigt werden. Es gibt nämlich auch BIPoC Juden*Jüdinnen, die selbstverständlich auch von strukturellem Rassismus betroffen sein können.
Antisemitismus und Rassismus müssen geschichtshistorisch und kontextabhängig betrachtet werden.