Viele Menschen sind von den Erdbeben betroffen und wir trauern mit allen Familien und Opfern.
Marginalisierten Gruppen bleibt oft Hilfe untersagt oder sie befinden sich geologisch, politisch oder ökonomisch in einer (noch) schlechteren Ausgangsposition. Deshalb ist es unmöglich, das Erdbeben als ein unpolitisches Ereignis zu betrachten. Inwiefern marginalisierte Gruppen aktuell zusätzlich vernachlässigt und diskriminiert werden, erfahrt ihr in den folgenden Slides. Natürlich hat der Post keinen Anspruch auf Vollständigkeit und es können auch andere Gruppen, die wir hier nicht aufführen, marginalisiert sein und deshalb zusätzlich vom Erdbeben getroffen.
Kurd*innen und Alevit*innen
Aufgrund von Anti-Kurdischer Regierungspolitik, Diskriminierung und Verfolgung sind kurdische und alevitische Menschen ohnehin schon strukturell, ökonomisch und politisch benachteiligt. Durch die Erdbeben wurde diese Diskriminierung noch deutlicher. Kurdische Gebiet werden meist von ärmeren, arbeitenden Menschen bewohnt, die sich keine teuren bzw. erdbebensicheren Wohnungen leisten können. Dass die Häuser nicht erdbebensicher sind ist allerdings staatsverschuldet. Warnungen von Expert*innen und vorgeschlagene Sicherungs-Projekte wurden staatlich abgelehnt. Von der regierungsnahen Bauorganisation TOKI wurden vor allem Mehrfamilienhochhäuser gebaut, die nicht den Vorlagen zur Erdbeben-Sicherung entsprachen. Es geht hierbei um neoliberale, profitorientierte Baupolitik, also hauptsächlich viel und schnell zu bauen. Durch die Zerstörung könnten Baufirmen wie TOKI jetzt sogar vom Wiederaufbau der zerstörten Städte profitieren.
AFAD und weitere regierungsnahe Hilfsorganisationen kamen erst viel zu spät in die betroffenen kurdischen Gebiete. Einerseits weil die Region als sog. „Security Area“ hoch militarisiert ist und somit die Infrastruktur (zum „Schutz“ der Bevölkerung) stark eingeschränkt ist. Allerdings wurden selbst nach Erreichen in den kurdischen Gebieten Hilfsgüter und Spenden im Vergleich zu anderen betroffenen Gebieten ungleich verteilt. Vor allem Städte wie Hatay, Adıyaman, Elbistan wurden von staatlichen Katastrophenschutzbehörden komplett vernachlässigt oder ihnen wurde erst viel zu spät geholfen.
Auch die anhaltende Bombardierung kurdischer Gebiete in Nord-Syrien durch die Türkei und Angriffe von Städten nahe Aleppo durch das syrische Militär erschweren kurdischen und alevitischen Personen die katastrophale Situation zusätzlich.
LGBTQIA+ Personen/ Lubunya /S3X-Workers:
Ebenfalls ohnehin schon politisch unterdrückt und diskriminiert sind LGBTQIA+ Personen (auf türkisch Selbstbezeichnung „Lubunya“) und S3x-Arbeiter*innen. In dieser Ausnahmesituation verstärken sich Queer-Feindlichkeit und Diskriminierung.
In den Notunterkünften und Zelten, besonders in geschlechtlich binär getrennten Zelten werden queere Personen diskriminiert, finden keine Zugehörigkeit und sind oft auf sich alleine gestellt. Menschen, die HIV haben oder Hormontherapien erhalten, haben keinen oder schlechten Zugang zu Medikamenten, die für sie notwendig sind. Aufgrund von Queer-Feindlichkeit leisten auch hier staatliche Hilfsorganisationen keine oder zu späte Hilfe, lassen absichtlich queere Personen zurück oder behandeln deren Leichname respektlos.
In den Notunterkünften arbeitet hauptsächlich Cis-männliches medizinisches Personal, was FLINTA*- Personen allgemein, aber natürlich vor allem queeren Personen und S3x-Arbeiter*innen eine sichere medizinische Beratung erschwert.
Geflüchtete Personen:
In der Türkei wurde schon vor den Erdbeben in 16 Städten geflüchteten Menschen (und anderen Immigrant*innen) die Bleibe verboten und die Grenzübertritte zusätzlich erschwert.
Der Rassismus gegen geflüchtete Personen verstärkt sich in den Notunterkünften aufgrund der nicht ausreichenden Hilfsgüter. Geflüchtete werden ausgeschlossen oder aus den Unterkünften vertrieben. Immer wieder gibt es Vorwürfe, syrische Geflüchtete würden sich „schlecht verhalten“, von Politikern wie Erdoğan oder öffentliche, rassistische Hassreden gegen Geflüchtete, z.B. von dem nationalistischem Politiker Ümit Özdağ. Geflüchteten wird ebenfalls, wie allen marginalisierten Gruppen, häufig Hilfeleistung entsagt oder sie treten freiwillig zurück, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. In den Notunterkünften, wenn Geflüchtete denn bleiben dürfen, herrschen für marginalisierte Gruppen schwerere Bedingungen und sie sind teils Misshandlungen ausgesetzt.
Menschen mit Behinderung
Für Menschen mit Behinderungen sind vor allem der Mangel an Medikamenten ein großes Problem. Allerdings sind auch die Notunterkünfte und Zelte nicht auf die Situation von Menschen mit Behinderung eingestellt und konfrontieren sie sogar zusätzlich mit Unverständnis und Rücksichtslosigkeit. Probleme für Menschen (z.B. mit Autismus) seien laut Sedef Erken, Anwältin für Autismus-Aktivist:innen, vor allem sich an die Notunterkünfte zu gewöhnen, da die neuen Strukturen im Zelt die Routinen, die für Menschen mit Autismus besonders wichtig sind, stören. Außerdem spricht sie von Mängeln in Bezug auf Erste Hilfe, eingeschränkte Such- und Rettungshilfe und schlechte Kommunikation für Menschen mit Behinderung und deren Familien. Häufig wurde Menschen mit Behinderung keine für Behinderungen ausgestattete Unterkunft gestellt. Es sollte eigentlich ein System geben, das auf Erdbebenfälle und im speziellen auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung in einem Erdbebenfall ausgerichtet ist. Eine Sozialarbeiter:in oder eine Hausärzt:in sollte einer Person mit Behinderung zugewiesen sein und schon vorher mit der Familie planen, wie in einem Katastrophenfall die Situation handgehabt wird. Da es ein solches System nicht gibt, sieht Erken in der mangelnden Vorbereitung das größte Problem. Teilweise sind Menschen mit Behinderung in den Notunterkünften und Zelten nicht erwünscht, da sie zeitweise Verhaltensprobleme aufgrund ihrer gestörten Routine aufweisen.
Alle Quellen:
https://anfdeutsch.com/aktuelles/hatay-es-wurde-keine-hilfe-geschickt-weil-wir-aleviten-sind-36240
https://anfdeutsch.com/aktuelles/kon-med-bittet-um-solidaritat-mit-erdbebenopfern-36201
https://bianet.org/bianet/yasam/274137-turkiyeli-suriyeli-ayni-cadirda-yasiyor-saldirilar-kiskirtiliyor
https://kaosgl.org/en/single-news/trans-woman-earthquake-survivor-ece-their-anger-targets-you
https://www.instagram.com/p/CokVDMDobJv/?igshid=YmMyMTA2M2Y=
https://www.zeit.de/zett/politik/2023-02/kurdistan-erdbeben-katastrophe-tuerkei-politik-recep-tayyip-erdogan
https://www.instagram.com/p/CosZYXuM1E8/?igshid=MDJmNzVkMjY%3D]
https://www.instagram.com/p/CosZYXuM1E8/?igshid=MDJmNzVkMjY%3D „“