Wie beeindruckend ein Tanz in der Gruppe aussehen kann und dass es mehr als den Halay gibt, erfahrt ihr in unserer neuen Serie über anatolische Volkstänze. Wobei diese Bezeichnung der lokal so unterschiedlichen Tanzstile in der Türkei die Bedeutung stark verkürzt. Das türkische Wort für „Tanz“ lautet „oyun“, was so viel wie „(Schau-)Spiel“ bedeutet – Dieser Begriff wird den teilweise spektakulären Aufführungen eher gerecht.
Die Outfits
Die traditionellen Trachten und Kostüme sind mal schillernd bunt, mal gedeckt und dunkel; immer sind sie festlich. Neben Instrumenten wie der davul (eine mit zwei Fellen bespannte große Trommel), der zurna (eine trichterförmige Oboe aus Ebenholz) oder der kemençe (eine Art Geige aus Pflaumenbaumholz mit drei Stahlsaiten) bedienen sich die Tanzenden noch weiterer Requisiten: Sie lassen hölzerne Löffel rhythmisch aufeinander klappern, wedeln mit paillettenbestickten Tüchern durch die Luft oder tänzeln sogar mit Fischermessern in der Hand umeinander herum. Die Messer, die von Fischer*innen der Schwarzmeerküste im Alltag verwendet werden, zeugen durch ihre schmuckvoll geschnitzten Griffe von der Individualität der Tänzer*innen.
Die Bewegungen
Die Bewegungen zur einnehmenden Musik sind vielfältig und detailreich: Die Tänzer*innen laufen als Gruppe im Kreis nebeneinander oder stehen sich jeweils zu zweit gegenüber. Sie trippeln schnelle Schritte mit ineinander verschränkten Händen, gehen in die Knie, springen in die Luft, greifen ihre Nebenfrau am kleinen Finger oder fassen sich an den Schultern. Die verschiedenen Tänze werden nicht nur auf Feiern gemeinsam getanzt, sondern auch vor Publikum aufgeführt. Jede ihrer Performanz erzählt eine ganz eigene Geschichte von Themen, die die Menschen am meisten bewegen, von Liebe, Freundschaft, Familie, Schmerz oder Streit. Ihre jeweiligen Choreografien drücken Gesten aus, zum Beispiel der Höflichkeit, imitieren Tiere und beschreiben auch die Landschaften verschiedener Regionen der Türkei.
Tänze dreier Regionen
Halay ist der bekannteste unter den türkischen Folklore-Tänzen und typisch für den südlichen Osten Anatoliens. Im offenen Halbkreis stehen die Tanzenden dicht nebeneinander. Mit flinken Schritten gehen sie vor und zurück und kreuzen ein Bein vor dem anderen. Dadurch symbolisieren sie eine pulsierende Gemeinschaft, die untrennbar mit dem Kreislauf des Lebens verbunden ist.
Weit verbreitet in der Ägäisregion und deutlich langsamer als halay ist der zeybek. Traditionell ist dieser Tanz nach den Rebellenbanden benannt, die sich gegen den osmanischen Staat auflehnten und in die Berge zurückzogen. Der Anführer der zeybeks, der efe, spielt auch in diesem Tanz die Hauptrolle. Er reckt die Arme hoch in die Luft und ahmt einen Vogel nach. Seine çete (dt.: Gefolgschaft) begleitet ihn mit schweren Schritten.
In der Schwarzmeer-Region dagegen tanzt man horon: Er ist ein lebhafter Reihentanz, der die Launen des Schwarzen Meeres und die hügelige Landschaft widerspiegelt. Die wendigen Armbewegungen der Tänzer*innen erinnern an Möwen, ihre kraftvollen Schritte verkörpern Wellenschläge. In der Küstenstadt Trabzon wird horon sehr schnell getanzt, da die weite, flache Landschaft Platz für ausfallende Bewegungen bietet; in der Stadt Rize dagegen, die am Fuße des steilen und steinigen Kaçkar-Gebirges liegt, tanzt man horon eher langsamen Schrittes.
Text: Tuana Yanak