Berlin hat sich mittlerweile zu einem Schaffens-Mekka für viele junge Künstler aus diversen Ländern etabliert. Ganz besonders beliebt ist die Hauptstadt bei türkischen Kreativen. Auch der Istanbuler Regisseur Onur Yayla konnte dem kulturellen Charme der Spreemetropole nicht widerstehen.
Nach seinem Studium für Wirtschaft und Kommunikationsdesign in Istanbul drehte er mehrere Werbefilme und Videoclips in Europa. Im Zuge seiner Arbeit führte ihn der Weg oft nach Berlin, so dass es nahe lag, auch hier einen Film zu drehen.
Am 8. April besuchten wir ihn bei der Premiere seines Films AKIYO – UPNEXT im Künstlerhaus Acud Macht Neu in Berlin-Mitte. Wir wurden mit einer ganz neuen Art des Filmemachens überrascht, bei welcher der Fokus ganz auf der Improvisation und auf dem Augenblick des schauspielerischen Erzählens liegt. Die Akteure befinden sich bei einem Casting, bei dem ihnen unkonventionelle Fragen gestellt werden. Wie und wo sie diese Fragen beantworten, bestimmen sie selbst. Dass Onur Yayla viel Wert auf kulturelle Vielfalt sowie eine feine Vernetzung des Geschehens legt, entging uns nicht.
Wir lernten einen Regisseur kennen, der gerne alles dem „akış“ (türk. „Fluss“) der Zeit und des Augenblicks überlässt und der uns einen besonders interessanten Improvisationsfilm näher brachte.
Onur, ich habe so einen Film wie AKIYO-UPNEXT noch nie zuvor gesehen. Gibt es bestimmte Gründe, weshalb du einen Improvisationsfilm gedreht hast?
Besondere Gründe gab es nicht. Es war ein natürlicher Zusammenfluss der Dinge. Einige der Schauspieler lernte ich auf einem Festival, andere wiederum in Improvisations-Ateliers kennen. Dort konnte ich mir einen ersten Eindruck von ihren schauspielerischen Fähigkeiten verschaffen.
Beim Improvisationsfilm ist es so, dass alles im Skript Geschriebene am Ende doch die Fantasie des Schauspielers bedarf. Dieser Umstand ruft die nächste Erzählhandlung hervor, wodurch weitere Momente miteinander vernetzt werden. Ich entschied mich also gegen Papier und Stift, erzählte den Schauspielern die Handlung und ließ den Moment geschehen. Ich denke, dass jeder Augenblick ein wichtiger „süreç“ (türk. „zeitlicher Prozess“) im Leben ist.
Du hast die Dinge einfach laufen lassen und daraus ist ein Film entstanden. Hast du deshalb deinen Film AKIYO-UPNEXT genannt?
Das Wort AKIYO ist die umgangssprachliche Form des Verbs „akıyor“ (türk. „es fließt“). Dieser Begriff ist in der türkischen Filmindustrie sehr geläufig, ganz besonders beim Dreh. Der Film »fließt« nämlich zuerst und erreicht eine bestimmte Geschwindigkeit. Danach beginnt erst der eigentliche Schauspielvorgang. Diesen wichtigen Prozess habe ich auf meine Arbeit übertragen, denn mit AKIYO-UPNEXT, der mein erster Film ist, beginnt mein persönlicher Fluss. UPNEXT hingegen fasst den Inhalt des Films zusammen. Mehrere Schauspieler müssen hintereinander vor eine Jury treten und ihre Talente unter Beweis stellen. Die Proben, also die sog. rehearsals, finden immer an anderen Orten statt.
Es klingt sehr spannend, nicht zu wissen, wo und wie die nächste Szene gedreht wird.
Ja, es hat sehr großen Spaß gemacht, auch als Regisseur zu improvisieren. Das regnerische Wetter in Berlin zwang uns ständig dazu, den Ort zu wechseln, was uns wiederrum neue Perspektiven eröffnete. In einer Szene sagte die Schauspielerin, sie sei schwanger, und genau in diesem Augenblick fanden wir einen Schnuller auf der Straße. Ich vertraute auf praktische Handlungsweisen meines Teams. Nach dem Dreh reiste ich mit positiven Erfahrungen zurück nach Istanbul, um an der Postproduktion zu arbeiten.
Nicht nur der „Fluss“, sondern auch die Zeit scheint in deinem Film eine besondere Rolle einzunehmen. In einige Szenen reisen die Schauspieler in einer Zeitmaschine. Was bedeutet Zeit für dich?
Es scheint so, als wären wir Menschen einer bestimmten Zeitdefinition untergeordnet. Das lineare Zeitverständnis wird in AKIYO-UPNEXT gebrochen. Die Akteure im Film kommen und gehen, wenn sie wollen, ungeachtet der Zeit, die uns aus unbegreiflichen Gründen vorgibt, stets zu arbeiten. Um mehr Zeit zu haben, arbeiten wir schneller, sodass wir letztendlich in unserer wohlverdienten freien Zeit nichts anderes machen, als über Zeitverschwendung zu reden. Das ist sehr grotesk. Jeder von uns ist in gewisser Hinsicht auf einer Zeitreise.
Und wie sieht deine nächste „Zeitreise“ aus?
Mein nächster Film wird sich mit dem Thema „electromagnetic harassment“ (engl. „elektromagnetische Belästigung“) beschäftigen. Seit 1960 glauben einige Menschen an die Theorie, dass alles Elektronische sie tagtäglich, rund um die Uhr beobachtet und abhört. Die Hauptfigur ist von dieser Theorie überzeugt und wird auf eigentümliche Art und Weise von Unbekannten entführt. Genau in diesem Augenblick fängt die eigentliche Handlung an. Ansonsten freue ich mich auf die „Sommerzeit“, um draußen wieder picknicken und meine Lieblingspopmusik aus den Neunzigern hören zu können.
Credits
Text: Nur Şeyda Kapsız
Fotos: Ferhat Topal