Lars Kreyßig „Positionen“ Teil 1

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Der Fotograf Lars Kreyßig ist in Leipzig geboren, hat am European Film College in Dänemark studiert und an der Kunsthochschule für Medien Köln sein Studium mit Auszeichnung abgeschlossen. 18 Monate lang lebte und arbeitete er in Istanbul. Während dieser Zeit ist der Bildband „Positionen“ erschienen. Mit diesem Fotoprojekt hat er die renk. Redaktion sofort begeistert. Wir haben ihn interviewt und wollen euch seine Arbeiten nicht vorenthalten.

Wie bist du zur Fotografie gekommen?

Als Student an der Kunsthochschule für Medien Köln begann ich, mich neben meinem Schwerpunkt Film bald recht intensiv der Fotografie zu widmen. Dabei entstanden meist inszenierte Arbeiten sowie großformatige Fotocollagen. Nachdem ich mein Studium mit einem Kurzfilm abgeschlossen hatte, arbeitete ich als Fotoassistent für diverse Fotografen und lernte das Handwerk noch intensiver. Heute ist die künstlerische Fotografie mein Schwerpunkt. Daneben nehme ich immer wieder Aufträge, z.B. als Porträtfotograf, an. Auch schreibe ich mittlerweile für Magazine über Fotoausstellungen und Bildbände und stelle Portfolios anderer Fotografen vor.

Wie bist du als deutscher Fotograf in Istanbul gelandet?

In Istanbul habe ich für das Goethe-Institut an einem großen Literatur-Projekt gearbeitet und mich als Fotograf für Veranstaltungen angeboten. In dieser Zeit entwickelte das Institut zusammen mit der Akademie der Künste Berlin die Idee für ein Buch über die türkische Kunstszene und fragte mich, ob ich dafür die Porträts erstellen könnte.

Du hast in deinem Fotoprojekt „Positionen“ 17 zeitgenössische Künstler portraitiert, gibt es einen Grund warum es gerade 17 sind?

Bei „Positionen“ handelt es sich um eine Auftragsarbeit – wie erwähnt, ein Buch des Goethe-Instituts und der Akademie der Künste. Man wollte die Kunstszene aufstrebender Länder vorstellen. Neben der Türkei wurden beispielsweise noch Brasilien und Südafrika ausgewählt. Die Entscheidung, ausgerechnet diese Künstler vorzustellen, kam also nicht von mir. Ich hatte nur das Glück, sie porträtieren zu dürfen.

Welches war die verrückteste, interessanteste, inspirierendste Begegnung für dich?

Allein die Möglichkeit zu bekommen, in die Häuser einiger der bedeutendsten lebenden türkischen Kulturschaffenden zu dürfen, war für mich unglaublich. Im Wohnzimmer mit Yaşar Kemal zu sitzen ist schon ziemlich einzigartig. Sicherlich war die Begegnung mit ihm auch die prägendste. Wie im Text beschrieben, werde ich nie vergessen, wie ein LKW-Fahrer extra für ihn hielt, ausstieg, und ihm über die Straße half. Ein LKW-Fahrer!

Wie habt ihr überhaupt miteinander kommuniziert? Gab es vielleicht lustige Missverständnisse?

Viele der Künstler konnten sehr gut Englisch. Bei Yaşar Kemal kam eine ganze Delegation an Begleitern mit, die dann auch meine Fragen ins Türkische übersetzt haben. Kam ich bei den Begegnungen mit Englisch nicht weiter, half auch einfach die Kommunikation mit Händen und Füßen.

Du hast in deiner Mail geschrieben „Ich wollte die Menschen in ihrem Zuhause oder Atelier porträtieren – bis auf ganz wenige Ausnahmen durfte ich das auch.“ Welche Ausnahmen waren das?

Es gab genau drei Ausnahmen: Elif Şafak, Murathan Mungan und Şener Özmen. Şener Özmen hat mir den Gefallen getan und ist extra für den Fototermin nach Istanbul gekommen. Logistisch war dies einfacher für mich als nach Diyabarkır, seiner Heimatstadt, zu fliegen. Und so konnte er auch weitere Termine in Istanbul wahrnehmen. Grundsätzlich ist es für einen Künstler, aber eigentlich für jede Person, sicherlich nicht selbstverständlich, einem fremden Fotografen die Tür zu öffnen und sich porträtieren zu lassen. Daher kann ich die Entscheidung absolut nachvollziehen, sich nicht in einem privaten Umfeld zeigen zu wollen – und ich denke, es sind trotzdem schöne Bilder entstanden.

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Die Begegnungen mit den Künstlern TEIL I:

Nuri Bilge Ceylan
Nuri Bilge Ceylan ist ein großer Mann. Er sitzt auf dem Sofa in seiner Wohnung – dem Ort, der in seinem Spielfilm „Uzak“ wesentlich als Kulisse diente. Als wir ihn treffen hat sich die Sommerhitze in Istanbul für einen Moment etwas abgekühlt. Auf den Straßen von Cihangir, dem Szeneviertel der Stadt, weht endlich eine halbwegs frische Brise. Dagegen schlägt einem die Hitze in seiner Wohnung wie eine Faust ins Gesicht. „I like it hot“, sagt Ceylan als ich ihn auf die Raumtemperatur anspreche. Dazu passt der dicke Schal, den er trägt, und eine Wollmütze auf seinem Schreibtisch. Das Shooting verläuft ohne viele Worte. Wie in seinen Filmen, die in konsequenter Regelmäßigkeit bei den großen Festivals Premiere feiern, wird wenig gesprochen. Am Ende gibt er mir noch Tipps im Umgang mit Protagonisten vor der Kamera – ein gutes Gefühl von einem, wenn nicht dem bekanntesten türkischen Regisseur, Anweisungen zu bekommen.

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Nuri Bilge Ceylan (geb. 1959 in Istanbul) ist einer der international bekanntesten Filmregisseure der Türkei. Nach dem Studium der Elektrotechnik fand er über die Fotografie den Weg zum Film. Seine Spielfilme wurden in Cannes mehrfach ausgezeichnet, darunter „Uzak“ (Weit, 2002), „İklimler“ (Jahreszeiten, 2006), „Üç Maymun“ (Drei Affen, 2008) und „Bir Zamanlar Anadolu’da“ (Once Upon a Time in Anatolia, 2010).

Füsun Onur
Das Haus der Künstlerin Füsun Onur ist einer der vielleicht beeindruckendsten Orte, die ich in meiner Zeit in Istanbul besuchen durfte. Es ist eines dieser alten Holzhäuser, die sogenannten Yalı, die in Istanbul leider immer weniger werden. In ihrem Atelierzimmer stehen tausende von ihr gesammelte Dinge: Plastikspielzeug, Fotos, Puppen. Wir werden von Füsun und ihrer Schwester mit Apfelsaft und Keksen versorgt. So rührend wurde ich als Fotograf noch nie in Empfang genommen. Später sitzen wir auf ihrer Terrasse, von wo aus eine Treppe direkt in den Bosporus führt. Schöner kann man nicht wohnen. Beim Abschied lernen wir noch den Bruder kennen. Die drei Geschwister sind in dem Haus geboren und aufgewachsen und leben dort immer noch zu dritt.

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Die Künstlerin Füsun Onur (geb. 1938 in Istanbul) schafft aus gebrauchten Stoffen und Alltagsgegenständen verspielte Skulpturen und Installationen. Ihr Studium absolvierte sie an der Akademie der bildenden Künste Istanbul und am Maryland Institute College of Art in den USA. In den 1970er Jahren trug sie erheblich zum Einzug der Avantgarde in der türkischen Kunstwelt bei, seit den Neunzigern stellt sie auch in Europa, Japan, Russland und weiteren Ländern aus.

Yaşar Kemal
Nachdem wir mit Yaşar Kemal in einem nahegelegenen Restaurant zu Mittag gegessen haben und vor seinem Haus halten, passiert etwas, das ich mein ganzes Leben nicht vergessen werde. Unser Auto parkt neben der Küstenstraße. Als Kemal ausgestiegen ist, hält plötzlich ein LKW hinter uns, mitten auf der Straße. Der dichte Verkehr staut sich sofort. Ungeachtet dessen steigt der Fahrer aus, nimmt seine Kappe vom Kopf, verneigt sich und geleitet den alten Schriftsteller sicher über die Straße  – eine rührende Geste. Yaşar Kemal ist das, was man hierzulande wohl einen Volksdichter nennt. Ein Mann, den auch die kleinen Leute lesen. Seine Wohnung ist entgegen meiner Erwartung eher klein, was die Suche nach dem passenden Bildhintergrund deutlich erschwert. Nach einer gefühlten Ewigkeit fällt mir der sich spiegelnde Wohnzimmertisch auf, den ich näher an das Sofa stelle. Damit Kemal sich im Tisch spiegeln kann, muss er sich auf zwei Kissen setzen.

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Yaşar Kemal (geb. 1923 in der Provinz Adana – gest. 28.02.2015) lernte als einziges Kind in seinem Dorf Lesen und Schreiben. Er arbeitete u.a. als Tagelöhner, Hirte, Schuhmacher, Fabrikarbeiter und Lehrer, ehe er als Journalist für die Tageszeitung Cumhuriyet über die Lebensbedingungen auf dem Land berichtete. Mit dem Roman „Memed mein Falke“ wurde er 1955 zum meistgelesenen Schriftsteller der Türkei. Seine Werke wurden bisher in über vierzig Sprachen übersetzt. 2008 wurde er mit dem türkischen Staatspreis geehrt.

Şükran Moral
Şükran Moral empfängt uns auf drei oder vier verschiedenen Sprachen – ich verstehe kein Wort. Kaum hat sie mich begrüßt, tigert sie los. Die Stufen zu ihrer Wohnung herauf und auch in ihrer Wohnung wirkt sie wie unter Strom. Wie um alles in der Welt soll ich die Dame beruhigen, denke ich mir. Sie jagt hin und her, zeigt mir verschiedene Kostüme, die sie für das Foto passend findet, zeigt mir ihre letzten Kunstwerke und wirft sich aufs Sofa. Einen kurzen Moment habe ich Zeit, ehe sie wieder aufspringt. Ich bleibe noch zwei Stunden und fotografiere sie in Femme Fatal Posen, mit und ohne Zigarette, stehend und sitzend. Entschieden habe ich mich für eines der ersten Bilder, das ich von ihr gemacht habe. Es zeigt sie ruhend, nachdenklich und mit einem durchdringenden Blick. Vor allem aber zeigt es für mich die Person Şükran Moral, mehr als die Performance-Künstlerin.

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Die Künstlerin Şükran Moral (geb. 1962 bei Samsun) befreite sich mit 18 Jahren von ihrer konservativen Familie und zog nach Istanbul, wo sie als Dichterin, Werftarbeiterin und Journalistin tätig war. Anschließend studierte sie Malerei an der Akademie der Schönen Künste Rom. Ihre provokativen Performance- und Videoarbeiten setzen sich mit gesellschaftlichen Tabus und der Rolle der Frau auseinander und wurden u.a. im Istanbul Modern Museum, Victoria & Albert Museum und im Stedelijk Museum ausgestellt.

Die Begegnungen mit den Künstlern Teil II folgt in Kürze.


Interview: Melisa Karakuş
Foto: Lars Kreyßig
Text: Lars Kreyßig, Marion Schnelle

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