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Gesellschaft & Geschichten

Zum umstrittenen Exhumierungsfall von Ahmet Kaya und Yılmaz Güney

Wenn verstorbene Künstler*innen immer noch politische und kulturelle Gräben in der Türkei aufreißen

„Ölürsem tek bir istediğim var: Ardımdan kimse benim için bu ülkeyi sevmedi demesin.“ (dt. Wenn ich sterbe, habe ich nur eine Bitte – Es darf mir nicht nachgesagt werden, dass ich dieses Land niemals geliebt hätte.) Diese bittersüßen Worte stammen vom berühmten Künstler und Sänger Ahmet Kaya.

Seine melancholischen Lieder und Gedichte haben in den 80ern & 90ern die Musiklandschaft in der Türkei besonders geprägt. Er schrieb Gedichte und Songs, die beispielsweise die 1. und 2. Gastarbeiter*innengeneration in Deutschland mit großer Sehnsucht hörten. Seine Lieder waren den in den 1960er Jahren eingewanderten Menschen aus der Türkei vertraut, da sie von der Armut, Ausgrenzung, dem Leid, der Ungerechtigkeit und den sozioökonomisch sowie gesellschaftlich vernachlässigten Regionen ihres Heimatlandes handelten. Als kurdischer Sänger in der Türkei machte Ahmet Kaya selbst all diese Erfahrungen und verarbeitete seine Erlebnisse in Gedichten und Liedern, die eine kritische politische Konnotation beinhalteten. Ein Ende der 1970er Jahre vorgetragenes Gedicht für Nazim Hikmet brachte ihn sogar für 5 Monate hinter Gittern. 

Vom gefeierten Sänger der Herzen zum Volksverräter 

Doch der Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens wurde mit einem medial wirksamen Diskriminierungsereignisses in der Türkei überschattet. 1999 sollte Ahmet Kaya bei einer Promi-Gala den Preis als „Bester Staatskünstler“ in der Türkei erhalten. Bei der Entgegennahme seiner Auszeichnung erwähnte er, dass er u.a. seinen Preis den Samstagmüttern, eine Organisation von Angehörigen und Bürgerrechtler*innen in der Türkei, die nach dem Verbleib von Personen fragen, die in Polizeihaft „verschwunden“ sind, widmet und als kurdischer Sänger in seinem kommenden Album ein Lied auf kurdisch singen wird. Er betonte auch seine Hoffnung auf Unterstützung der anwesenden Medienproduzenten, damit die Ausstrahlung seines kurdischsprachigen Musikvideos im türkischen Fernsehen erfolgt. 

Diese Sätze lösten bei der anwesenden türkischen Prominenz Entsetzen aus, die in Form von Ausbuhen und Auspfeifen zum Ausdruck gebracht wurde. Türkische Sänger*innen wie Serdar Ortaç oder Ebru Gündeş bewarfen ihn mit Messer und Gabel, beschimpften ihn als Volksverräter. Dies behauptete man Jahrzehnte lang und die Berichterstattung in den türkischen Medien hielt an dieser falschen Narrative fest. Zwar hat der Popsänger Serdar Ortaç an diesem Abend als Provokation auf Ahmet Kayas Dankesrede die türkische Nationalhymne gesungen und die anwesenden Stars, Medienbosse und Journalist*innen auf ihn gehetzt, aber nicht mit Messer und Gabel beworfen. Erst vor knapp 2 Monaten wurde im türkischen Fernsehen bekanntgegeben, dass es Erdal Acar – ein türkischer Unternehmer, der mehrmals durch dubiose Geschäfte und seinen Playboyallüren in den Medien negativ aufgefallen ist, war. Noch beschämender ist der Fakt, dass kurdische Sänger wie Mahsun Kırmızıgül und Ibrahim Tatlıses Ahmet Kaya an diesem Abend im Stich gelassen, aber paradoxerweise nach dessen Tod von seinem Kampf um kurdische Identität und Gerechtigkeit in der Türkei die darauffolgenden Jahre profitiert haben. 

Um die Unruhen im Saal zu unterbinden, mussten Ahmet Kaya und seine Frau mit Sicherheitsleuten abgeführt werden. Unmittelbar danach stürzte sich die türkische Presse auf ihn und startete eine Hetzkampagne gegen den Sänger. Man warf ihm die Verleumdung der türkischen Verfassung vor, indem man behauptete, er hätte seine Lieder auf Konzerten umgeschrieben und gesungen. Zudem tauchten Konzertbilder von ihm auf, die 1993 im Verein für kurdische Geschäftsmänner in Berlin entstanden. Später stellte sich heraus, dass es Fake News waren und eine Verleumdungsaktion gegen ihn gestartet wurde. Man warf dem Sänger Separatismus sowie Unterstützung der kurdischen „Terrororganisation PKK“* vor. Wegen seiner Dankensrede bei der Promi-Gala wurde er vom türkischen Staatssicherheitsgericht bis zu 12 Jahren Haft verurteilt. Hinzukamen unzählige Morddrohungen gegen ihn, sodass Ahmet Kaya 1999 die Türkei verließ und nach Frankreich ins Exil ging.                 

Im französischen Exil schrieb er in Gedichten und Songs sein Leid und seine Einsamkeit als Vertriebener nieder. Zwar konnte er in Frankreich ungestört vor kurdischem Publikum auftreten und an kulturellen Feierlichkeiten teilnehmen, doch die Sehnsucht nach seiner Familie und Heimat machte ihn depressiv. 2000 erlitt er einen Herzinfarkt und starb. Ahmet Kaya wurde im Pariser Friedhof Père Lachaise beigesetzt. 

Die Ironie des Schicksals wollte es so, dass man nach seinem Tod sein künstlerisches Wirken in der Türkei würdigte. Aus politischen Lagern, der Presse und den Medien, der Künstlerszene und dem Showbizz drückte man sein Missverständnis und seine Demut gegenüber dem verstoßenen und rassistisch angefeindeten Sänger Ahmet Kaya aus. Die aktuell amtierende AKP-Regierung ging sogar so weit, dass sie im Jahre 2009 darüber diskutierte, die Leiche von Ahmet Kaya zu exhumieren und in die Türkei zu überführen. 2019 äußerte sich der derzeitige türkische Staatspräsident erneut zu diesem Thema und betonte, dass er alle Mittel dafür einsetzen würde, damit eine Exhumierung erfolgt. Bis heute ist dies nicht geschehen. 

Verehrt, Gefürchtet und Verstoßen – die Leiden des Çirkin Kral Yılmaz Güney

Nicht nur der umstrittene Exhumierungsfall vom Ahmet Kaya ist bis heute ein Schandfleck in der jüngsten Vergangenheit der Türkei, sondern auch der Umgang mit dem ebenfalls aus der Türkei geflohenen, in Frankreich verstorbenen und beigesetzten kurdischen Schauspieler Yilmaz Güney. Auch er war zazaisch-kurdischer Abstammung und ist bereits vor seiner schauspielerischen Künstlerkarriere politisch aktiv gewesen. Wie Ahmet Kaya wuchs er ebenfalls in ärmlichen Verhältnissen auf und seine Drehbücher und Filmrollen thematisierten Ausgrenzungserfahrungen von unterdrückten und marginalisierten Menschen (Minderheiten), die bittere Armut im tiefsten Osten der Türkei und das diktatorisch-faschistische Regime sowie politische Klima des Landes erlebten.

In den 1960er und 70er Jahren wurde er wegen Unterstützung sozialistischer Untergrundorganisationen mehrfach verhaftet und inhaftiert. Als bekennender Kommunist handeln seine Filme über Klassenkämpfe, in denen er meistens die Hauptrolle spielte und die sozioökonomische sowie ethnische Diskriminierung der Mehrheitsgesellschaft anprangerte. Seine Filme wurden in vielen Provinzen der Türkei verboten, da sie u.a. unsittlich waren und zu politischen Unruhen anstiften würden. 1974 stellte einen Wendepunkt seines künstlerischen Schaffens in der Türkei dar. Unter Alkoholeinfluss erschoss Güney am 13. Juli 1974 den Richter Sefa Mutlu in einem Kasino in Yumurtalık. Dort befand er sich mit Filmstab und Freunden für die Dreharbeit zu Endişe („Sorge“). Zwei Jahre später wurde er wegen Mordes zu 19 Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis schrieb es sein international preisgekröntes Werk Yol – der Weg. Während seines Hafturlaubs floh Yilmaz Güney 1981 nach Frankreich und lebt bis zu seinem Tod im Pariser Exil. 1983 wurde ihm die türkische Staatsbürgerschaft aberkannt. Ein Jahr später starb Güney 1984 an Magenkrebs und wurde wie Ahmet Kaya auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise begraben.

Warum verstorbene Künstler*innen immer noch politische und kulturelle Gräben in der Türkei aufreißen

Bereits in den vergangenen Jahren und auch jüngst diskutiert man öffentlich in der Türkei darüber, ob eine Exhumierung beider verstorbenen Künstler Seitens der türkischen Regierung angeordnet und eine Überführung in die Türkei erfolgen sollte. Auch wenn beide Künstler nach wie vor sehr beliebt sind und weiterhin treuen Anhängerkult genießen, reißt ihr Exhumierungsfall immer noch politische und kulturelle Gräben in der Türkei auf. Die linkspolitische Gesinnung Ahmet Kayas und Yilmaz Güneys sowie ihre marxistisch-leninistische Ideologie waren schon damals kontrovers, da sie bürgerkriegsähnliche Konflikte zwischen rechten und linken Gruppen in der Türkei hervorriefen. Zudem sind beide Künstler kurdischer Abstammung, die in ihren Werken stets deutlich Stellung zu sozialen Missständen, insbesondere im kurdischen Südosten der Türkei und rassistischen Haltung der türkischen Staatsmacht nahmen. Beiden wurde Volksverrat, Separatismus, Verleumdung der Republik Türkei und seiner Verfassung nach Atatürk, Propaganda für die kurdische Terrororganisation PKK und für ein autonomes Kurdistan unterstellt. In der Öffentlichkeit bekannten sich beide zum Kommunismus und waren politisch im linken Lager aktiv.

Bereits in den Mitte 60ern und Anfang 70er Jahren hatte sich unter der Regierung Süleyman Demirels ein politischer Rechtsruck ereignet und in rechts-konservativen Kreisen befürchtete man, dass westliche und kommunistische Einflüsse zunehmend die türkische Kultur zurückdrängen und dadurch die innere Stabilität der Türkei gefährden würden. Sowohl Yılmaz Güney als auch Ahmet Kaya verkörperten mit ihrem künstlerischen Schaffen diese Gefahr und man wollte schon damals ihren gesellschaftspolitischen Einfluss verhindern. 

Selbst in den 80er bis 90er Jahren und drei Militärputsche veränderte sich das politische Klima in der Türkei kaum und im Namen beider Künstler wurden weiterhin politische und ethnische Konflikte im öffentlichen Raum ausgetragen. Aktuell wird die Türkei von der AKP und seinem rechtsnationalistischen und reformfeindlichen Koalitionspartner MHP regiert. Die MHP hatte in den 70er Jahren mit ihrem Jugendverband den „Grauen Wölfen“, Linke, religiöse und ethnischen Minderheiten wie die Aleviten und Kurden, Gewerkschafter und Studenten terrorisiert und steht heute noch für einen harten Kurs in der Kurdenfrage. Zudem fordert sie eine Abkoppelung der Türkei vom Westen und ein Verbot der HDP.

Anhänger der Grauen Wölfe haben auch diesmal zum Jahrestag des verstorbenen Künstlers Ahmet Kaya sein Grab in Paris verwüstet. Solche Vorfälle ereignen sich sogar inmitten von Europa, wo innerstaatliche politische Konflikte in der Türkei auf den Friedhöfen Frankreichs ausgetragen werden. Auch wenn die AKP alle paar Jahre wieder zuversichtliche Aussagen zur Exhumierung von Ahmet Kaya und Yılmaz Güney in der Presse macht, so scheint die Umsetzung doch leere Versprechen zu sein. Zu tief und weit sind die politischen und ethnischen Gräben zwischen der aktuellen Regierung in der Türkei und seiner konfliktbeladenen Vergangenheit. Der umstrittene Exhumierungsfall beider Künstler ist das Sinnbild eines Landes, in der die Würde des Menschen antastbar und die Rechtstaatlichkeit eine Illusion ist.  

 

*Der Textabschnitt, indem die Wortkonstellation „Terrororganisation PKK“ erwähnt wird, ist definitiv keine persönliche Meinung der Autorin, sondern eine Zusammenfassung der Positionierung des türkischen Staates und der türkischen Medien, die im Zusammenhang einer Hetz- und Verleumdungskampagne gegen Ahmet Kaya geäußert wurde und von der Autorin des Artikels noch einmal in diesem besagten Textabschnitt zusammengetragen wird.

Dieser Artikel ist eine sachtextliche Zusammenfassung, bei dem die Autorin zum Exhumierungsfall von Ahmet Kaya und Yilmaz Güney Bilanz zieht. Es ist kein KOMMENTAR.

2018 hat der Europäische Gerichtshof ein Urteil ausgesprochen, in dem die PKK zu unrecht als Terrororganisation aufgelistet wird. Die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Luxemburg, dass die verbotene PKK von 2014 bis 2017 zu Unrecht auf der Terrorliste geführt wurde, wird mit dem Rechtsmittel (Revision) “Verfahrensfehler“ begründet, weil zwischen 2014 und 2017 die Vermögenssperre der PKK nicht ausreichend begründet wurde. Es handelt sich hierbei um Formfehler, die angeprangert werden und nicht die Fehleinschätzung der EU als solches, bei der die PKK als Terrororganisation zu unrecht in den Listen aufgeführt wird. Darauf folgenden wurde auch entsprechend entschieden, dass die PKK weiterhin auf der Terrorliste steht, da es in der Verhandlung keine ausreichenden Gründe für den PKK-Antrag der Streichung von der EU-Terrorliste gab. Somit hat das Gesamturteil keinen konkreten Einfluss auf die illegale Situation der PKK.

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