Karsten Kronas – Beyoğlu Blue

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Das Fotobuch Beyoğlu Blue von Karsten Kronas, welches ich vor ein paar Monaten in einem Bücherregal entdeckte, schien mich nicht mehr loszulassen. Zum einen interessiert mich die Thematik des Transgender in der Türkei und ich fragte mich, wen es wohl noch außer  Bülent Ersoy, der Diva der türkischen Kunstmusik geben würde. Zum anderen fragte ich mich, wie man einen Zugang zu dieser Subkultur findet. Ich bewundere Karsten dafür, dass er als Fotograf den Mut hat, das zu zeigen, was sonst im Verborgenen bliebe. Mit einer farbenfrohen und kontrastreichen Bildsprache portraitiert er die in Beyoğlu lebenden Transsexuellen auf eine dichterische Art und Weise. Karsten Kronas studierte Fotografie an der FH Bielefeld und der Marmara Universität Istanbul und arbeitet nun als freier Fotograf. Neben seinen Veröffentlichungen in Zeitschriften wie dem Dummy, dem Greif und der Slanted wurde er außerdem im Jahre 2011 für den Deutschen Fotopreis nominiert.

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Hallo Karsten, danke, dass du dir ein bisschen Zeit für mich genommen hast. Lass uns doch ein wenig über deine wunderbare Arbeit reden. Du beschäftigst dich, wie der Titel „Beyoğlu Blue“ schon sagt, mit dem Stadteil Beyoğlu. Auf welche Weise würdest du sagen unterscheidet sich dieser von dem übrigen Teil Istanbuls und was macht diesen so besonders für dich?

Das besondere an Beyoğlu war für mich dort gelebt zu haben. Also auch Teil des Schmerzes gewesen zu sein, den dieses Viertel belebt, genauso wie seine extrovertierte Freude an der Moderne, was meiner Meinung nach in diesem Kontrast in keinem anderen Viertel Istanbuls zu finden ist.
Der eigentliche Titel der Arbeit „Heterotopien“ beschreibt viel deutlicher worum es mir in der Arbeit geht. Die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Ort sind nicht auch Bestandteil in anderen Arbeiten. In Heterotopien verschmilzt der Mensch mit dem Geografischen, indem der transsexuelle Körper innerhalb seiner Abhängigkeiten zu diesem Ort, ebenfalls zu einer Heterotopie wird. Die Publikation „Beyoğlu Blue“ ist nur ein Auszug aus der Arbeit.

Deine Fotos berichten unter anderem von der Untergrundszene der Transgender, in welche nur wenige Menschen Einblick erhalten. Wie kommst du auf die Idee, dir ein solches „Tabu“ zum Thema zu machen?

Das Gefühl, dass die Transgender zum „Untergrund“ gehören wurde mir nie so deutlich. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil von Beyoğlu und so habe ich mich Ihnen auch genähert. Als ich 2003 das erste Mal in Istanbul war, überraschte es mich, wie westlich die Türkei zu sein schien. In den nächsten zwei Jahren stellte sich dieses Bild aber immer wieder in Frage. Die transsexuelle Kultur war für mich eine mutige Art der „Revolution“ und ich wollte mehr darüber erfahren, wie sie die Türkei erlebt und interpretiert.
Dass ich ein Tabu thematisierte, wurde mir erst einige Jahre später bewusst, nachdem ich vor zwei Jahren gefragt wurde, die Arbeit in der Stadt-Galerie Mannheim auszustellen. Es war eine kuratierte Ausstellung mit einem weiteren deutschen und einem türkischen Fotografen aus Beyoğlu anlässlich der Städte-Partnerschaft Mannheim – Beyoğlu. Anfänglich sollten wir zusammen ausstellen, doch scheinbar waren die Fotografien dem Bürgermeister von Beyoğlu und seiner Delegation zu heftig, so dass meine Vernissage zwei Wochen vorverlegt wurde. Zwei Wochen später, bei der eigentlichen Vernissage, wurden einige der Bilder abgehängt, um die Türken nicht zu beunruhigen.

Ich persönlich habe sehr oft gehört, dass es wirklich schwer ist mit Transsexuellen in Kontakt zu treten. Wie hast du es geschafft in diese Welt einzutauchen?

Es hat wirklich etwas gedauert und indirekte Vorarbeit verlangt, um ein gewisses Vertrauen herzustellen, was auch daran lag, dass die Kontakte aus aus der Szene kamen und nicht über einen Verein. Das war aber für mich der homogenere und ehrlichere Weg.

Kannst du einige Momente beschreiben, in denen du das Gefühl hattest dich in Gefahr zu begeben?

Als ich begonnen hatte an dem Projekt zu arbeiten, zog es mich notgedrungen in entlegenere Strassen Tarlabaşı’s, wo einige der Transsexuellen leben. Diese Strassen unterhalb des Taksim-Platzes waren eher ungemütlich, aber das Risiko war mir bewusst. Gefährlicher war es in den geschlossenen Wohnungen, denn dort ist man den Freiern ausgesetzt.

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Gibt es einen Grund warum die meisten Transgender mit Prostitution ihr Geld verdienen?

So wie ich es erfahren habe, ist es dem Model der Klassengesellschaft und dessen üblichen Vorurteilen geschuldet. Die meisten haben kein Geld und werden danach bewertet. Bülent Ersoy, einer der bekanntesten Popstars in der Türkei, hat trotz ihrer Transsexualität keinerlei Probleme auf der Karriere-Leiter. Es gibt aber sicher auch einige, die in der Prostitution das schnelle Geld sehen.

Hast du in Gesprächen mit ihnen über Schicksalsschläge erfahren, die dir persönlich schwer zu schaffen machten?

Ich hatte oft den Eindruck, dass deren Leben eine Verkettung von Schicksalsschlägen ist und es sehr unpassend gewesen wäre, zu behaupten, es nachvollziehen zu können. Es gab Momente, in denen es sehr schwer war, deren persönliches Schicksal zu teilen und ich mich manchmal wirklich beschissen gefühlt habe.

Ich zitiere dich: „Regeln und Dogmen einer überwiegend islamischen Gesellschaft treten zurück und das Unnormale wird zum Normalen.“ Hat sich nach deiner Arbeit deine Wahrnehmung in Bezug auf das Normale und das Unnormale verändert?

Ich würde nicht sagen, dass sich meine Wahrnehmung in Bezug auf normal vs. unnormal verändert hat. Ich probiere aber für mich die Dinge immer weniger in diese zwei Kategorien einzuteilen. Wenn man jedoch davon ausgeht, dass es die Moral gibt, dann hat sich da eher eine Feinfühligkeit für die Doppelmoral in der türkischen Gesellschaft eingeschlichen. „Millionen homosexueller Männer, so das Argument der Schwulen, die zwar die wahren Erben der osmanischen Tradition sind, doch im Zuge der Verwestlichung unterdrückt worden seien, führen ein Leben im Untergrund in ständiger Furcht vor Entdeckung … “ Deniz Kandiyoti, „Call me Istanbul ist mein Name“, (Hg. Roger Connover, Eda Cüfer, Peter Weibel). 

Mit welchen Erwartungen bist du damals nach Istanbul gereist und mit welchen Erfahrungen bist du wieder nach Deutschland zurück gekehrt ?

2005 bin ich nach Istanbul gereist, um Antworten auf die Fragen meiner ersten Reise im Jahr 2003 zu finden. Zurückgekehrt nach Deutschland bin ich mit Antworten, aber ebenso vielen weiteren Fragen, so dass ich 2007 wieder zurück in die Türkei bin. Zu der Zeit habe ich angefangen an „Heterotopien“ zu arbeiten.

Deine Fotografie ist sehr lebendig, farbenfroh und kontrastreich – möchtest du damit ein bestimmtes Gefühl vermitteln? Wenn ja, welches?

Danke! Ich sehe das als Lob und freue mich immer sehr, wenn dies auch so gesehen und empfunden wird. Die Ebene der Farben ist auch ein verbindender Teil zwischen den Fotografien, und ein Hilfsmittel um ein bisschen in die Dramaturgie einzugreifen. Ich denke, dass das Gefühl im ersten Moment über die Farben entsteht, aber die Geschichte über das Zusammenfügen der Inhalte.

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Würdest du deine Fotografien eher als Inszenierung oder als Reportage bezeichnen?

Definitiv nicht als Reportage, dafür arbeite ich zu konzeptionell – wenn auch teils nur in der Kombination der Fotografien. Reine Inszenierung ist es aber auch nicht.

Wie lange begleitest du deine Portraitierten bis du eine Atmosphäre geschaffen hast, um ein authentisches Bild zu machen?

Bei dieser Arbeit sind die meisten Portraits sehr spontan entstanden und die Atmosphäre ergab sich über das Vertrauen zueinander. Es waren eher die Detail-Aufnahmen, die ich über längere Zeit geplant habe.

Welches aus der Fotoserie „Beyoğlu Blue“ ist dein Lieblingsbild und warum?

Auch das ist sehr unterschiedlich, zumal ich von Zeit zu Zeit neue Bilder auf den Kontaktbögen entdecke, die mir vorher weniger aufgefallen sind. Das Bild mit der Seifenblase über dem begradigten Fluss ist eines meiner Lieblingsbilder – in Kombination mit Sibel auf dem Klo sitzend und den Kopf an die Wand gestützt. Auch das Bild mit den verwelkten Tulpen und den Frischen, die allerdings nur als Abbild auf einem der Blumentöpfe zu sehen sind, gefällt mir sehr. Hinter dem Herzbild steckt auch eine meiner Lieblings-Metaphern innerhalb der Serie.

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Gab es einen zentralen Leitgedanken, der dir die Fotoauswahl erleichtert hat? Und wenn ja, welcher?

Schwer zu sagen. Da sich die Arbeit auch nach dem Diplom immer weiter entwickeln konnte, gab es nicht den einen zentralen Leitgedanken. Sie wurde mit dem Projekt „Hijacked Vol.2“, australische und deutsche zeitgenössische Fotografie, nach Australien gebracht. Dabei war es besonders schwer, die Arbeit auf ein paar wenige Fotografien zu beschränken. Auf dem Fotofestival in Lodz 2011 wurde sie im Hauptprogramm gezeigt und ich bin nochmal längere Zeit ins Labor gegangen und habe einige neue Bilder und neue Kombinationen entdeckt. In der Stadt-Galerie in Mannheim wurde sie ausgestellt, als Mannheim und Beyoğlu eine Partnerschaft eingingen. Ich freue mich immer wieder darüber, dass die Arbeit mittlerweile schon einige unterschiedliche Formen erreichen konnte.

Wann ist für dich eine Fotoserie abgeschlossen?

Generell kann ich das bei meiner Arbeitsweise nicht beantworten. Bezogen auf diese Arbeit denke ich, dass es aufgrund der Fülle an Bildmaterial zu einem zweiten Band kommen könnte.

Lieber Karsten, ich danke für deine Antworten und freue mich darauf, weitere Projekte von dir zu verfolgen.

Mehr Informationen zu dem Buch von Karsten Kronas gibt es hier.

Credits
Interview: Melisa Karakus
Fotos: Karsten Kronas

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