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Business

Wie liberal ist die Türkei?

Im Interview mit dem Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul

In der Türkei sitzen knapp 150 Journalist*Innen im Gefängnis. Auch ein Mitarbeiter der Friedrich-Naumann-Stiftung wurde im Jahr 2018 angeklagt und verurteilt. Wie steht es mit Menschenrechten, Friedensprozessen und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei? Wir haben mit dem Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung gesprochen. Dr. Ronald Meinardus erzählt von seiner persönlichen Biografie, über zivilgesellschaftliches Engagement und über seinen Lieblingsort in Istanbul in Corona-Zeiten.

 

Merhaba Herr Dr. Meinardus! Können Sie uns kurz erklären, wie Sie persönlich dazu gekommen sind für die Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul zu arbeiten?

In Istanbul zu leben war immer ein Traum. Es gibt kaum eine Stadt, die mich so fasziniert, wie die Metropole am Bosporus. Das hat auch persönliche, biographische Gründe: ich bin in Ägypten aufgewachsen und habe dann Teile meiner Jugend in Griechenland verbracht.

Nirgends, so mein Eindruck, treffen Orient und Okzident in einer so faszinierenden Weise aufeinander wie hier. Und dann ist da natürlich die Politik.

Für einen Journalisten und Politologen ist die Türkei ein Dorado, immer interessant und spannend, auch wenn vieles in liberaler Sicht – und ich arbeite für eine liberale Stiftung – eher nicht erbaulich ist. Also kurz: Ich bin an meinem Traumstandort!

Inwiefern unterscheidet sich die Türkei hinsichtlich der Arbeitsweise, Arbeitsalltags, Arbeitsumfeldes und in der Arbeitsmentalität im Gegensatz zu Deutschland?

Das ist schwer zu sagen. Als Leiter einer politischen Stiftung, deren Geschäft die Erwachsenenbildung ist, sind meine Erfahrungen mit Sicherheit nicht repräsentativ. Ganz allgemein kann man wohl sagen, dass in diesem Teil der Welt der  persönliche Austausch, die Beziehung zu Menschen größeres Gewicht hat als in Deutschland, wo viele Vorgänge schriftlich vorangetrieben werden. Doch ich will die Unterschiede, wenn es sie denn gibt, nicht überbewerten. Ich habe es in der Türkei mit überwiegend sehr modernen und kreativen Menschen zu tun, mit denen ich genauso kommuniziere wie mit Partnern in Deutschland oder auch in anderen Teilen der Welt.

Im Oktober 2018 kam es zur Anklage und zur Verurteilung gegen einen Ihrer Mitarbeiter aufgrund eines Tweets gegen den Staatspräsidenten. Haben Sie hinsichtlich solcher Ereignisse Befürchtungen gehabt, in der Türkei politisch zu arbeiten?

In den zurückliegenden Jahren sind in vielen Teilen der Welt die Spielräume für zivilgesellschaftliches Engagement geschrumpft. Die Türkei ist da leider keine Ausnahme. Davon sind auch die politischen Stiftungen betroffen. Gleichwohl bin ich der Meinung, dass wir unsere Arbeit hier sinnvoll – das heißt im Sinne unseres Auftrages, über Bildungsprogramme mit unseren Partnern liberale Prinzipien zu verbreiten – betreiben können.

Wie beurteilen Sie den Einfluss der Friedrich-Naumann-Stiftung auf Prozesse zu Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit?

Ich habe über die Jahre im Dienste der Stiftung in unterschiedlichen Teilen der Welt gelernt, bescheiden zu sein. Das gilt auch für den Einfluss unserer Arbeit in der Türkei. Viel wichtiger als unser Einfluss ist der Einfluss der Menschen und Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten. Wir sind stolz auf unsere Partnerschaften, die teilweise in vielen Jahren vertrauensvoller Zusammenarbeit gewachsen sind. Und wir sind auch stolz darauf, dass einige unsere Partner wichtige Akteure in den von Ihnen angesprochenen Bereichen sind.

Wie liberal ist die Türkei?

Diese Frage kann ich nach einigen Monaten im Land nicht seriös beantworten. Ich will nicht ausschließen, dass wir zu dieser Fragestellung irgendwann mal eine Umfrage in Auftrag geben. Wichtig ist mir der Hinweis, dass Menschen durchaus liberale Prinzipien vertreten, ohne sich als „Liberale“ zu identifizieren. Also wichtiger als das Etikett ist, in meinen Augen, die Einstellung zu Grundwerten wie persönlicher Freiheit, Toleranz, sozialer Verantwortung. Wenn wir diese Messlatte anlegen, werden wir – so mein Eindruck – hohe Werte in der Türkei ermitteln.

In türkischen Debatten ist oft die Rede von „sosyal kutuplaşma“ (dt. soziale Polarisierung). Die Medien sind ein Sinnbild dieses Phänomens. Wie beurteilen Sie die Medienlandschaft in der Türkei?

Leider kenne ich sie nur in Ausschnitten, da ich die türkischen Medien wegen mangelnder Sprachkenntnisse (noch) nicht verstehe. Es gibt zahlreiche englischsprachige Medien – sowohl online wie in gedruckter Form-, die einen Eindruck geben. Die große Mehrheit der Publikationen hat nicht das Niveau, das wir von Qualitätsmedien in westlichen Demokratien kennen. Das ist jetzt keine besondere Erkenntnis, denn viele türkische Medienleute beklagen den Verfall des Journalismus in ihrem Land.

Die Friedrich-Naumann-Stiftung hält die Türkei aufgrund ihrer Geschichte, Kultur, Wirtschaft und geografischen Lage für einen unumgänglichen Partner für die europäische Union, auch wenn in den letzten Jahren diese Partnerschaft bröckelt. Für wie realistisch halten Sie eine Wiederannäherung der Gespräche über eine EU-Mitgliedschaft?

Für uns ist die Türkei ein sehr wichtiges Land – nicht zuletzt wegen der besonderen Qualität der türkisch-deutschen Beziehungen, die in gewisser Weise einzigartig sind.

Die europäische Perspektive ist wegen der vielen politischen Streitfragen beschädigt, für viele Beobachter kaum ein Thema. Ich sehe das anders. Wenn das Ziel eine liberale, bzw. liberalere und demokratische Türkei ist, muss die europäische Perspektive auf dem Tisch sein. Dies ist ein historisches Projekt, das nicht von einzelnen Regierungen und Parteien abhängig ist. Es lohnt sich, einen langen Atem zu haben. Wir steuern in unserem bescheidenen Maße dazu bei, dass die Brücken nicht ganz eingerissen werden und Menschen aus Deutschland und der Türkei sich in Dialogprojekten austauschen – und verstehen.

Zum Abschluss noch eine nicht so ernste Frage: Was ist Ihr Lieblingsort in Istanbul?

Mein Lieblingsort in Istanbul ist mein Zuhause in Gümüşsuyu. Das sage ich auch deshalb, weil ich im Zuge der Corona-Krise hier sechs Wochen quasi eingesperrt bin. Ich schaue raus und habe einen Blick auf eine wunderbare Stadt, die ich hoffentlich demnächst wieder in ihrer ganzen Vielfalt entdecken und genießen kann.

 

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