Am 4. November 2021 jährt sich die Selbstenttarnung des NSU zum zehnten Mal.
Aktuell widmet sich das Ausstellungsprojekt „Offener Prozess“ von Ayşe Güleç und Fritz Laszlo Weber der Thematik des NSU Komplexes.
Die Ausstellung wandert bundes- und europaweit mit dem Ziel des Schaffens eines angemessenen und würdevollen Gedenkens und Erinnerns an die Opfer rechtsextremistisch motivierter Taten. Außerdem werden die Umstände diskutiert, die rechter Gewalt zugrundeliegen.
Erinnern? Aber an was eigentlich?
Erinnern meint in diesem Kontext das historische Erinnern. Das bedeutet, Vergangenes wird vergegenwärtigt und somit erneut und immer wieder in den Fokus gerückt. Ob persönlich erlebt oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Vielmehr geht es darum, bedeutende Persönlichkeiten oder einschneidende Ereignisse, mit schweren gesellschaftlichen und politischen Folgen wieder ins Bewusstsein zu rücken und somit aktiv gegen ein Vergessen beizutragen.
Erinnerungskultur umfasst dabei verschiedene Formen der Aufbereitung eines kollektiven Gedächtnisses in der Öffentlichkeit. Kollektives Gedächtnis steht für das gebündelte Erinnern Einzelner in einer Gruppe und ein daraus resultierendes gemeinsames Statement. Dies kann sowohl aus zivilgesellschaftlicher als auch aus staatlicher oder internationaler Perspektive nach außen getragen werden.
Erinnert werden kann z.B. unter anderem durch das Medium der Gedenktafeln, Bilder, Dokumentationen oder Kundgebungen.
Aber was macht das Erinnern so wichtig?
Erinnern stellt eine persönliche als auch kollektive Ressource dar. Erinnern kann das Gefühl des Zusammenhaltes stärken und dazu beitragen, dass Menschen mit gleichen Ansichten sich Problematiken widmen, deren Aufarbeitung im gesellschaftlichen Kontext von Relevanz sind. So können die Umstände und vor allem Missstände thematisiert werden, die dazu führen, dass es zu bestimmten Ereignissen kommt.
Eines dieser Problematiken ist der institutionelle und strukturelle Rassismus in Deutschland.
Das Erinnern an die Opfer und Umstände rechter Gewalt ist unabdingbar im Prozess des Sichtbarmachens.
Im besten Fall werden dadurch Prozesse angeregt, die dafür sorgen, dass eine sensibilisierte Einschätzung der Gewalttaten gewährleistet wird und eine angemessene Strafverfolgung daraus resultiert.
Spricht man von rechter Gewalt in Deutschland, erinnern sich die meisten an die Verbrechen des NS-Regimes und den Holocaust. So hat sich hier in den letzten Jahrzehnten eine globale Gedenkpolitik entwickelt, die über die Grenzen Deutschlands hinaus geht. Und genauso sollte es sein.
Um rechte Gewalt in Form rassistisch motivierter Taten aufzuzeigen muss allerdings nicht weit in die Vergangenheit gereist werden.
Die junge und aktuelle Geschichte Deutschlands ist geprägt von rechtsterroristischen Anschlägen.
Aus Recherchen der Amadeu Antonio Stiftung gehen seit 1990 mindestens 213 Todesopfer rechtsmotivierter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten hervor. Hierzu werden unter anderem die Attentate in Mölln, Solingen, die Morde der NSU, Halle und Hanau gezählt. Auffällig ist, dass diese Zahl sich in einer hohen Diskrepanz zu der Zahl befindet, die in offiziellen Statistiken der Sicherheitsbehörden registriert ist. Zugrunde liegt diesem Umstand die fehlende Sensibilität von Polizei und Justiz, die schon lange einen Teil der Kritik an diesen Institutionen ausmacht.
Da sich die öffentliche Anteilnahme von Seiten der Politik oft als unzureichend erweist, bildet sich das Fundament des Erinnerns an jüngere rechte Gewalttaten besonders aus der marginalisierten Perspektive von Betroffenen. Diese ermöglichen einen Diskurs, der nicht ausbleiben darf um eine der wichtigsten Säulen im Kampf gegen Rechtsextremismus zu stützen – Aufklärung, Aufarbeitung und Auseinandersetzung.
Erinnern bedeutet Handeln.
Say Their Names.
Kein Schlussstrich.
Kein Vergessen.
Mehr dazu: www.offener-prozess.de
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Text: Dila Oktar