Wir leben in einer Zeit von Rauchverboten und sich häufenden, abschreckenden Tabakwarnungen auf Zigarettenschachteln, die den potenziellen Krebstod oder Impotenz ankündigen. Man kann sich heute kaum vorstellen, dass vor zwei Jahrhunderten die Tabakpflanze noch ein beliebtes Briefmarkenmotiv und die Genussdroge von immenser sozialer Bedeutsamkeit war. In den Kirchen Südeuropas soll damals wegen zu häufigem Niesen in den Messen der Schnupftabak sogar verboten worden sein, denn die Priester zählten zu den größten Schnupfern.
Geraucht wird heute auch noch, das ist klar. Beliebt ist neben Zigaretten vor allem der fruchtige Tabak der Wasserpfeifen, dessen Geruch im Sommer gerne mal durch die geöffneten Fenster der Nachbarn kriecht. Aber lassen wir den mal beiseite. Tabakpfeifen sieht man nur noch vereinzelt bei Opa und braune Zähne vom Kautabak hat wohl niemand mehr. In der frühen Blütezeit des Tabaks gab es verschiedenste Formen des Konsums: Kautabak, Schnupftabak, Tabakpfeife oder Zigarre. Darauf folgte im 19. Jahrhundert der Siegeszug der Zigarette. Diese entstand als Abfallprodukt, denn die Arbeiterinnen in Zigarrenfabriken wickelten Tabakreste in Papier, um sie zunächst selbst zu rauchen. Diese Papelitos (Papierchen) passten sehr gut zum schneller werdenden Lebensstil und als billige Alternative zu den teuren Zigarren verbreiteten sie sich schnell auch in den Unterschichten.
Aber wo hat die Nutzung der Tabakpflanze ihren Ursprung? Schuld am Genuss sind die Ureinwohner des amerikanischen Kontinents. Diese nutzten Tabak für medizinische Zwecke oder für Rituale. In Mittelamerika gab es schon Pfeifen aus Ton, Holz oder Stein und die Urform der Zigarre im Schilfröhrchen oder in Rollen aus Maispapier, als die Europäer den Kontinent noch gar nicht erahnten. Die Spanier brachten die Tabakpflanze mit nach Europa, wo unter anderem die Osmanen mit der Zeit ihre eigene Methode des Anbaus und der Nutzung entwickelten. Mit „türkischem Tabak“ (auch: Orient-Tabak) meint man heute den aus der Produktion der Osmanen stammenden Tabak, der zu Anfang des 20. Jahrhunderts mit zu den meist verbreiteten Tabakarten in Deutschland gehörte. Die ersten Zigarettenmarken verwendeten bis zu fünfzig Prozent türkischen Tabak. Angebaut wurde Tabak damals vor allem in den Regionen von Thrakien und Mazedonien während die Hauptvorkommen heute in Teilen Griechenlands, der Türkei, Bulgarien und Rumänien liegen. Der türkische Tabak hat recht wenig Nikotin und einen relativ milden Geschmack. Besonders ist auch seine geringe Blattgröße: je kleiner die Blätter, desto höher die Konzentration an Zucker und ätherischen Ölen, die darin enthalten sind. Daher kommt der umso süßere Geschmack.
Rauchen war populär und der enorme Konkurrenzkampf der Hersteller führte zur Tabakreklame. Die Hersteller rühmten sich mit der Verwendung von türkischem Tabak und gestalteten ihre Werbung dementsprechend. So zum Beispiel die Marke Murad, gegründet von einem in New York lebenden Griechen Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Werbeplakate zeigten Schmuck, Perlen und Federn. Männer in teuren Anzügen oder mit exotischem Turban neben Frauen in schicken Kleidern oder Haremshosen signalisierten Luxus mit einer orientalischen Note. Auch die deutsche Marke Türkenkost zeigte auf ihren beliebten Tabakdosen Bilder, die der damaligen Vorstellung der Deutschen von den Osmanen entsprach: ein Mann in anmutender türkischer Tracht, der sichtlich den Tabakgeruch genießt.
Vielleicht war seine Beliebtheit dem Sonnentrocknen zu verdanken, das dem türkischen Tabak ein besonderes Aroma verlieh. Heute findet er sich meistens in Tabakmischungen für Zigaretten, zum Beispiel im American Blend. Wer das Internet nach türkischem Tabak durchsucht, stößt nur noch auf Blogeinträge über Shishabar-Besuche in Istanbul und Onlineverkäufer von Wasserpfeifen. Und auch die Werbetafeln der großen Marken sind schlichter und digitaler geworden. Schon seit 1974 ist Zigarettenwerbung im deutschen Fernsehen und Hörfunk verboten. Die Zigarette ist längst kein Statussymbol mehr, aber die alten Reklamen aus der Zeit des populären Tabakkonsums haben ihren Charme dennoch nicht verloren.
Credits
Text: Regina Wiebe
Bilder: flickr, tobacco.stanford.edu, zazzle.at, barrynoa.blogspot.de, periodpaper.com
Willst du noch ein paar hundert Jahre zurückreisen? Lies hier mehr über Malerei für den Sultan.