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Gesellschaft & Geschichten

Vom Naziboss zum Deradikalisierungstrainer

Im Portrait: Philip Schlaffer

Vor vielen, vielen Jahren: Wir befinden uns in einer Kleinstadt im Norden Deutschlands. Von meinem Plattenspieler ertönt die Stimme des türkischen Sängers Barış Manço.

Einige Straßen von mir entfernt wohnt der damals 15-jährige Philip Schlaffer und entdeckt rechtsradikale Rockmusik für sich. Er und ich wissen zu der Zeit nichts voneinander. Für ihn beginnt gerade der Aufstieg im rechten Milieu, eines dessen gefährlichsten Gesichter er wird.

Heute weiß Schlaffer, dass Ausgrenzungserfahrungen und Mobbing junge Menschen dazu verleiten können, sich extremen Gruppierungen anzuschließen. Um dagegen aktiv zu werden, hat er der rechtsextremen Bewegung den Rücken gekehrt und arbeitet jetzt als Sozialarbeiter. Unsere Wege kreuzen sich und er gibt mir einen Einblick in seine vergangene Zeit als Neonazi und auf sein gegenwärtiges Leben.

Philip Schlaffer im August 2020.

Vom Ausgegrenzten zum Diskriminierenden?

Ich frage Schlaffer, ob er persönlich je aufgrund seiner Nationalität als Deutscher mit Vorurteilen konfrontiert wurde. Hat er selbst Diskriminierung erfahren, die ihn vielleicht sogar motivierte, sich der rechten Szene anzuschließen?

„Nein, ich habe aufgrund meiner Hautfarbe oder meiner Nationalität noch nie Diskriminierung erlebt. Natürlich sind mir Vorurteile gegenüber Deutschen begegnet. Als ich zehn Jahre alt war, habe ich mit meinen Eltern drei Jahre lang in Newcastle gelebt. Dort wurde ich mit dem Vorurteil konfrontiert, alle Deutsche wären Nazis und Verbrecher. Es hieß, Deutsche wären ein Verbrecher-Genpool und würden weiterhin Kriege anstiften. Natürlich auch die Klassiker: biertrinkende und krautsalatessende Menschen in Lederhosen, penibel und pünktlich.

Einige Klischees kommen ja nicht von irgendwo her, da steckt wahrscheinlich ein Fünkchen Wahrheit drin. Ich finde es natürlich gut, als überpünktlich, verantwortungsbewusst und ordentlich dargestellt zu werden. Das sind für mich jedoch nicht unbedingt deutsche Tugenden, das sind einfach gute Tugenden, die sich jeder unabhängig von seiner Nationalität aneignen sollte.“

Keine diskriminierenden Ausgrenzungserfahrungen also – seinen Grund, sich der rechtsradikalen Bewegung anzuschließen, erfahre ich später im Gespräch. Wer ist denn überhaupt Deutsch? „Nationalität als Deutscher“ – bei diesem Ausdruck kratze ich mich nervös am Kinn. Allein das Gespräch über Nationalität löst in mir Unbehagen aus. Ich will von Schlaffer wissen, wann man denn seiner Ansicht nach überhaupt als Deutsch gilt.

„Für mich ist dann jemand ein Deutscher, sobald er willens ist, die Sprache zu lernen und Wert auf ein soziales Miteinander legt. Ich finde das deshalb so wichtig, weil es ausschlaggebend ist, um in Deutschland zurechtzukommen. Erst durch die Sprache kannst du dich vollständig mitteilen und kommunizieren.

Ich muss mich aber nicht zwangsläufig als Deutscher definieren. Ich bin mittlerweile einfach ein Lokalpatriot und gerne ein Hanseat.

Der „alte“ Philip: Brutal, rücksichtlos, rechts.

Mit 13 Jahren kehrt Schlaffer mit seiner Familie aus Newcastle zurück nach Schleswig-Holstein. Er hat aber den Anschluss zu seinem alten Freundeskreis verloren und auch das Verhältnis zu seinen Eltern wird schlechter. Rechtsradikale Musik gewährt ihm in der Zeit den Einstieg in eine neue Szene. Dort gewinnt er neue Freunde und einen Familienersatz.

In der Szene steigt er auf: Mit 19 wird er zu einem gewalttätigen NPD-Mitglied, später sogar zum Chef eines heute verbotenen Rockerclubs. Er handelt mit Drogen und ist in Geldgeschäften im Rotlichtmilieu aktiv. Schon bald vertreibt und produziert er illegalen Rechtsrock und untermauert damit seine Popularität im rechtsextremen Milieu Norddeutschlands. Auf rechtsextremen Konzerten und Veranstaltungen rekrutierte er junge Menschen für die Szene. In Wismar gründet er, neben einem Szeneladen und Tattoo-Studio, ein sogenanntes „nationales Wohnprojekt“ mit rechtsradikalen Kneipen und Bars.

Jede*r Polizist*in kennt seinen Namen und schließlich kommt Schlaffer mit 19 Jahren ins Gefängnis. Als er entlassen wird, überfallen ihn seine alten Kameraden in seiner eigenen Wohnung. Er erfährt, dass sie einen Menschen ermordet hatten. Das ist der Moment, in dem Schlaffer sich entscheidet, komplett aus der rechten Szene auszusteigen.

Nazis im neuen Gewand

Ich möchte von ihm wissen, wie er zu der aktuellen Entwicklung der rechtsradikalen Szene als früheres Mitglied steht.  „Seit ca. 20 Jahren ist die Szene zu einer wachsenden Bewegung geworden. Die moderne Rechte möchte Stimmen aus der Mitte der Bevölkerung gewinnen, deshalb sind Nazis nicht mehr die glatzköpfigen, gewaltbereiten Menschen. Sie sind inzwischen gebildeter und teilweise aus den oberen Gesellschaftsschichten. Sie zeigen sich oft moderner, angepasster und freundlicher und sind so auch für die Mitte der Gesellschaft attraktiver. Dahinter steckt aber noch immer dieselbe gewaltbereite braune Suppe wie von damals. Die Zeit von 1933 bis 1945 wird inzwischen auch von den Nazis als dunkle Zeit bezeichnet. Sie sind nicht mehr stolz auf den ersten Weltkrieg und leugnen den Holocaust größtenteils nicht mehr.
Rassismus ist der kleinste gemeinsame Nenner, den Rechtsextremist*innen teilen.“

Rassistisch sein ist einfach: Du brauchst keine Bildung dafür. Leute aufgrund ihrer Optik kleinmachen ist wirklich keine hohe Kunst. Für gewöhnlich beschäftigen sich Nazis also nicht mit den Formen von Rassismus, sie sind einfach nur rassistisch.

Heute leistet Schlaffer als Sozialarbeiter Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus. An Schulen sensibilisiert er Jugendliche und lehrt Gewaltprävention. Dabei beobachtet er weiterhin, wie ein undichtes soziales Netz junge Menschen dazu verleitet, sich gewaltbereiten Gruppen anzuschließen. Er erzählt, dass er heute auch mit vielen jungen Migrant*innen zusammenarbeitet.

Heute arbeitet Philip aktiv mit Jugendlichen jeder Herkunft. Meistens brauchen sie vor allem ein offenes Ohr.

„Als Außenstehender konnte ich beobachten, dass die Migranten aus der ersten und zweiten Generation sich der deutschen Kultur anpassen wollten. Sie haben stückweise ihre kulturelle Identität abgelegt, um sich in Deutschland zurecht zu finden. Die dritte Generation ist weitaus selbstbewusster und äußert Stolz auf ihre Nationalität und ihre kulturellen Wurzeln. Sie bezeichnen sich selber ungern als Deutsche oder Europäer und freunden sich mit Kids aus einem ähnlichen Kulturkreis wie ihrem an.

Sie zeigen ihren Stolz anhand ihrer Kleidung wie durch türkische Fußballtrikots, manchmal aber auch durch Aussagen, die politisch ganz klar pro-Erdoğan sind. Jugendwörter aus dem Arabischen und Musikgenres wie Rap haben die Kultur auch für Europäer irgendwie hipper gemacht.“

Ich nicke und applaudiere innerlich für die Community, die stolz auf ihre Muttersprache ist. Schlaffer fügt hinzu: „Wenn wir realistisch sind, wissen wir, dass Integration und Veränderung nicht innerhalb von wenigen Jahren stattfinden kann.

Gemeinsamkeiten erkennen

Damit unsere Gesellschaft sich in eine positive Richtung verändert, muss die kommende Generation verstehen, dass Hautfarbe und Religionszugehörigkeit keine Gründe für Ausgrenzung sind. Es ist demnach wichtig, sich für die Rechte einzusetzen, indem man Gleichheit lehrt.“ Er appelliert für Solidarität und Empowerment.

Nach unserer Unterhaltung sitze ich am Bahnhof und beobachte Menschen, die an mir vorbeigehen. Auf den Zeitungen am Kiosk ist das Gesicht George Floyds abgedruckt. Rassismus trennt Menschen immer noch, Rassismus benachteiligt systematisch, Rassismus tötet.

Es gibt viele Wege, um die kommende Generation für rassistische Diskriminierung zu sensibilisieren. Selbstkritische Auseinandersetzung mit Ideologien der Ungleichwertigkeit anzuregen, um der Reproduktion von Klischees und rassistischen Denkmustern entgegenzuwirken, ist einer davon. Stärken wir also das Wir-Gefühl und ermöglichen diversere Begegnungen, indem wir lehren, dass jeder Mensch gleichwertig ist.

Fotoscredits @Philip Schlaffer

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