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Gesellschaft & Geschichten

Vom Kulturförderer zum Staatsfeind

Der Fall Osman Kavala

Seit 2017 sitzt der türkische Unternehmer und Menschenrechtsaktivist Osman Kavala wegen seiner vermeintlichen Rolle bei den regierungskritischen Gezi-Protesten von 2013 in der Türkei in Untersuchungshaft. Letzte Woche wurde er im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten wegen versuchten Umsturzes der türkischen Regierung zu lebenslanger Haft ohne Möglichkeit der Bewährung verurteilt.

Daneben wird ihm auch eine Beteiligung am Putschversuch von 2016 sowie politische Spionage vorgeworfen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte schon 2019 seine Freilassung angeordnet, die nur für ein paar Stunden Bestand hatte. Der EGMR warf der türkischen Justiz vor, keine hinreichenden Beweise für vermeintliche Straftaten Kavalas vorgelegt zu haben. Im Nachgang wurden Ermittlungen gegen die beteiligten Richter eingeleitet, die für die Freilassung Kavalas gestimmt hatten. Die türkische Staatsanwaltschaft rechtfertigte die Inhaftierung Kavalas mit der haltlosen Anschuldigung, er würde im Rahmen seiner international agierenden Stiftungsarbeit die türkische Regierung ausspionieren.

Die deutsche Bundesregierung verurteilt den richterlichen Beschluss in der Türkei und fordert die sofortige Freilassung von Kavala. Vertreter*innen der türkischen Regierung wie beispielsweise der Außenminister reagieren gereizt und warnen den Westen, sich nicht in innerstaatliche Angelegenheiten einzumischen. Auch international wurde die Verurteilung Kavalas scharf kritisiert. Der türkische Botschafter wurde sogar für ein Gespräch ins Auswärtige Amt eingeladen, woraufhin die Türkei mit der Einbestellung des deutschen Botschafters Jürgen Schulz in Ankara reagierte. Bereits letztes Jahr hatte der Fall Osman Kavala für einen diplomatischen Eklat gesorgt, bei dem der amtierende Präsident der Türkei mit der Ausweisung von Botschaftern gedroht hat. Dazu ist es bis dato nicht gekommen.

Die türkische Regierung wirft den internationalen Botschaftern vor, die Grenzen der Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜK) überschritten zu haben. Zudem habe man die beteiligten Länder seinerzeit vor einer Wiederholung gewarnt. Artikel 41 der WÜK weist Diplomaten an, sich nicht in innere Angelegenheiten des jeweiligen Gaststaats einzumischen. In der internationalen Politik gibt es regelmäßig Diskussionen, was genau unter einer Einmischung zu verstehen ist. Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sind für die Türkei als Mitglied des Europarats rechtlich bindend. Deutschland ist ebenfalls Mitglied des Europarates. Insofern ist es eine Rüge von Mitglied zu Mitglied, keine Einmischung. Der türkische Außenminister erläutert nicht, weshalb das Urteil des EGMR in der Türkei nicht umgesetzt wird.

Dabei ist die Einmischung der EU und insbesondere Deutschlands als eine Anprangerung auf die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zu verstehen. Man ist auf Grundlage diverser Vorfälle in der Türkei überzeugt, dass es keine unabhängige Justiz mehr gibt, bei der die Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit etc. gewahrt wird.

Doch wie konnte es nur so weit kommen, dass die Verhaftung & Verurteilung des türkischen Philanthropen Kavala international für Empörung gesorgt und die Türkei in eine diplomatische Krise gestürzt hat? Um dies besser verstehen zu können, werfen wir einen Blick auf die Geschehnisse ab 2013 bis heute in der Türkei zurück und heben das gesellschaftspolitische Wirken von Osman Kavala als Person hervor.

Wer ist Osman Kavala?

Der in Frankreich geborene türkische Unternehmer, Menschenrechtsaktivist und Philanthrop Osman Kavala unterstütze schon in den 90ern zivilgesellschaftliche Organisationen in der Türkei. Als Kulturförderer gründete er in Istanbul die Stiftung „Anadolu Kültür“. Für den Schutz und Erhalt kultureller und ethnischer Vielfalt in der Türkei wurde er mit mehreren internationalen Preisen ausgezeichnet. „Ich stehe für kulturelle Vielfalt und dafür, gemeinsame Werte zu fördern“, – so Kavala über sich und seine kulturschaffende Arbeit in der Türkei. Mit seiner Stiftung setzt sich Kavala für den Erhalt der Kulturen in Anatolien – von den Armeniern über die Kurden bis zu den Jesiden – ein. Die kulturelle Zusammenarbeit mit Europa und der Dialog mit Armenien sind weitere Schwerpunkte seiner Stiftungsarbeit.

Das Leitmotiv der kulturellen Vielfalt und Verständigung prägte den Lebensweg des Unternehmersohns von Anfang an. Seine Familie stammt aus dem Norden Griechenlands und er ist der Enkel muslimischer Tabakbauern, die beim Bevölkerungsaustausch von 1923 vertrieben wurden und nach der Umsiedlung in die Türkei den Namen ihrer griechischen Heimatstadt Kavala annahmen. Dort ging er zur Schule und studierte in Ankara und England. Nach dem Tod seines Vaters übernahm er das familiengeführte Unternehmen Kavala Companies. In den 80ern widmete es sich dem Schreiben und veröffentlichte etliche Schriften, die sich mit der historischen Vergangenheit der Völker in der Türkei beschäftigen. In den 90ern war er als politischer Aktivist bei der Weiterentwicklung von NGOs in der Türkei und international tätig. 2002 gründete er seine eigene kulturfördernde Organisation, die sich insbesondere für entwicklungspolitische Arbeit in benachteiligten Regionen der Türkei und dem Kaukasus mit der Unterstützung der Europäischen Union einsetzte.

Zusammen mit dem amerikanisch-ungarischen Milliardär George Soros gründete er die Open Society Foundations, die sich u.a. für die Förderung der Pressefreiheit, den Schutz der Menschenrechte, die Unterstützung wirtschaftlicher und sozialer Reformen sowie des Unternehmertums engagiert. Kavalas Zusammenarbeit mit Soros wird ihm später zum Verhängnis, da dieser mit seiner Stiftungsarbeit und seinen gesellschaftspolitischen & wirtschaftlichen Aktivitäten in Ländern wie den USA oder auch in Osteuropa (hier Ungarn) auf Kritik stößt. Man wirft Soros vor, dass seine Stiftungen in der Tradition kapitalistischer philanthropischer Stiftungen wie der Ford Foundation und der Rockefeller Foundation stehen, da diese Kontrolle über die Sozialwissenschaften ausübe und entpolitisiere sowie eine kapitalistische Sicht von Modernisierung bestärke. Sein neoliberaler Ansatz ist bei den Linken für die Unterstützung von Initiativen der Zivilgesellschaft und die Finanzierung politischer Aktivitäten sehr umstritten.

Politische Rechte aus den USA warfen Soros vor, seine Open Society Stiftungen dazu einzusetzen, gezielt Gesellschaften von Staaten zu untergraben, um damit die Errichtung einer sogenannten „neuen Weltordnung“ herbeizuführen. Auch in der Türkei kursieren im Zusammenhang mit Soros und Kavalas politischen Aktivitäten die antisemitische Theorie des Weltjudentums. Auf Grundlage dieser antisemitischen Verschwörungsideologie beschuldigt die türkische Regierung Osman Kavala, einen Umsturz im Land geplant zu haben, in dem er die Gezi-Proteste mit finanziellen Mitteln der Soros-Stiftungen unterstützte. Seine Aktivitäten beim Goethe-Institut in Gaziantep werden ebenfalls von dem Vorwurf, er solle Kontakte zur Gülen-Bewegung (FETÖ) haben, überschattet.

Warum ist Kavala in der Türkei für lebenslänglich verurteilt worden?

Osman Kavala wurde 2017 am Istanbuler Flughafen festgenommen, als er gerade von einer Projektbesprechung für die Unterstützung syrischer Geflüchteter zurückkam. Er ist seit knapp 5 Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Silivri nahe Istanbul inhaftiert. Im Februar 2020 sprach ihn ein türkisches Gericht in Istanbul frei. Kavala wurde jedoch wenige Stunden nach seiner Entlassung erneut festgenommen – mit der Begründung, mit dem Putschversuch gegen Erdoğan im Jahr 2016 und wegen Spionage in Verbindung zu stehen.

Später begründete das türkische Staatsoberhaupt die Verhaftung Kavalas mit den Worten: „Hinter der Person, die bei den Unruhen im Gezi-Park als Finanzquelle der Terroristen fungiert hat, steckt der berühmte ungarische Jude Soros.“ Zudem begann im Jahr 2013 die türkische Wirtschaft zu schrumpfen und damit einhergehend eine hohe Inflation und steigende Arbeitslosigkeit. Die Gezi-Proteste nahmen auf dem Taksim-Platz in Istanbul ihren Anfang und breiteten sich rasch über das ganze Land aus. Es wurde zu einem Aufstand der Millionen und der türkische Präsident war der festen Überzeugung, der Westen habe diesen Aufstand angezettelt, um ihn zu stürzen. Infolgedessen beschuldigte er Soros und bestrafte stellvertretend Osman Kavala.

Erdoğans Zorn sollte auch für die deutschen Stiftungen, mit denen Kavala zusammengearbeitet hatte, Konsequenzen haben. Selbst die Richter, die ihn freigesprochen hatten, wurden anschließend strafversetzt. Der mit neuen Richter*innen besetzte Gerichtshof verurteilte Kavala zu lebenslanger Haft und sieben weitere Angeklagte zu 18 Jahren Freiheitsstrafe. Als geistige Brandstifter wollte man mit Kavala und seine Mitangeklagten kurzen Prozess machen und hart bestrafen.

Reaktionen im In- und Ausland

Es kam nach der Verurteilung Kavalas zu lebenslanger Haft in Istanbul zu Protesten. Der türkische Oppositionsführer der CHP Kemal Kılıçdaroğlu verurteilte den Beschluss aufs Schärfste und prangerte außerdem den politischen Einfluss der AKP auf die türkische Justiz an. Laut dem Sprecher des Auswärtigen Amtes stellt der Fall Kavala eine schwere Belastung für die Beziehungen der EU zur Türkei wie auch zu deren bilateralen Beziehungen dar. Der türkische Justizminister Bekir Bozdağ verurteilte die Einmischung der EU bei Twitter scharf. Die Interventionsversuche aus dem Westen werden bis heute abgelehnt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, verurteilte die Entscheidung, weil die türkische Justiz die Anordnungen des EGMR zur Freilassung Kavalas missachtet hat. Dieser hatte deshalb erst im Februar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Türkei eingeleitet. Auch der Europarat hat wegen der unrechtmäßigen Inhaftierung ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, an dessen Ende die Türkei ihr Stimmrecht oder sogar ihre Mitgliedschaft verlieren könnte.

Prominente Stimmen zu Kavalas Fall

Neben internationalen politischen Institutionen werden auch prominente Stimmen aus der deutschen Politik, Kunst- und Kulturszene zu Osman Kavalas Fall laut. Unterstützende Worte wurden schon im Jahre 2018 vom deutsch-türkischen Politiker Cem Özdemir und Journalist Deniz Yücel via Facebook zum Ausdruck gebracht:

„Seit einem Jahr ist Osman Kavala in Einzelhaft. Wir fordern die sofortige #Freilassung von Osman Kavala aus Erdogans Kerkern. Demokrat zu sein ist kein Verbrechen.“

Die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nimmt wie folgt Stellung: Das von einem Istanbuler Gericht gefällte Urteil stehe „in krassem Widerspruch zu den rechtsstaatlichen Standards und internationalen Verpflichtungen, zu denen sich die Türkei als Mitglied des Europarats und EU-Beitrittskandidatin bekennt.“

Auch die Kulturstaatsministerin Claudia Roth bezeichnete das Urteil als „absurd, in jeder Hinsicht ungerechtfertigt und offenkundig politisch motiviert.“ Es handele sich um eine „Mischung aus persönlicher Rache an Osman Kavala und einer Kampfansage an jegliche Formen einer möglichen Kultur der Demokratie in der Türkei.“ Mit dem Urteil sei nun „amtlich, dass Osman Kavala stellvertretend für die Kultur der Demokratie und die türkische Zivilgesellschaft im Gefängnis sitzt“, erklärte Roth. Der Unternehmer sei unschuldig und müsse freigelassen werden.

Amnesty International bezeichnete das Urteil gegen ihn am Montag als „reinste Willkür.“

2020 initiierten die Intendantin des Berliner Maxim Gorki Theaters, Shermin Langhoff, und der Regisseur Fatih Akin die Kampagne What did Kavala do? zur Freilassung des Philanthropen. Die Artists United for Osman Kavala veröffentlichten jeden Tag ein Video in den sozialen Medien, um von der Arbeit Kavalas zu erzählen. Beide Künstler*innen äußern sich zu Kavalas Fall wie folgt:

Shermin Langhoff: „Der Fall Osman Kavala führt uns vor Augen, wie die türkische Regierung jeden Tag ein entsetzliches Justizverbrechen begeht. Es gibt ein bindendes Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, das seine sofortige Freilassung fordert. Es gibt ein türkisches Gesetz, wonach Beschuldigte nach zwei Jahren aus der Untersuchungshaft freigelassen werden müssen. Aber nichts geschieht. Es ist die Verzweiflung darüber, dass Recht in der Türkei sowie auf europäischer Ebene gebrochen wird, die uns zu dieser Kampagne veranlasst hat.“

Fatih Akin:

Osman Kavala hat Räume für Künstler geschaffen. Er ist Symbolfigur für eine liberale, freiheitsgewandte, fortschrittliche Türkei. Heutzutage macht man sich mit so einem Verhalten ja weltweit verdächtig, also wenn du dein Geld nicht in gewinnbringende Aktien investierst, sondern wenn du damit für die gute Sache streitest.“

Alle Akteuer*innen appellieren beim Fall Osman Kavala an die türkische Regierung und weisen darauf hin, dass die politische Justiz und Menschenrechtsverletzungen in der Türkei keine „inneren Angelegenheiten“ eines einzelnen bestimmten Landes sind, sondern die universalen Menschenrechte betreffen.

Im Juni 2023 wird in der Türkei gewählt. Gleichzeitig jähren sich die Gezi-Proteste in Istanbul zum zehnten Mal. Mit der Entscheidung des Gerichts, Osman Kavala zu einer lebenslangen Haftstrafe zu verurteilen, versucht der türkische Präsident die Gesellschaft und seine Gegner*innen einzuschüchtern, indem er durch politische Einflussnahme auf den Rechtsstaat und unter Missachtung internationaler Vereinbarungen seine Macht demonstriert. Ob er damit die Wahlen für sich entscheiden wird, bleibt abzuwarten.

Bild: Wikimedia

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