Eine Woche ist nun seit der verheerenden Silvesternacht vergangen, die eine erneute Debatte zur Integration von Migrant*innen in Deutschland auslöste. Während es zur Polarisierung zwischen der Forderung nach Integration und Antirassismus-Arbeit auf der anderen Seite kommt, meldet sich der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, mit dem Vorschlag einer sogenannten Migrationsquote an deutschen Schulen. Der „Bild“-Zeitung sagte Meidinger, dass Integration nicht gelingen würde, wenn zum Beispiel in Klassen an Brennpunktschulen zu 95 Prozent nicht-deutsche Schüler vertreten seien. Ein fataler Weg. Es kann nicht sein, dass die Herkunft der Schüler*innen ausschlaggebend dafür ist, ob man Teil einer Klasse ist oder nicht. Eine Quote wird nicht zur Integration beitragen, im Gegenteil, diese würde die Benachteiligung und Ausgrenzung an Schulen verstärken.
Rassismus und Diskriminierung an Schulen
Betrachtet man die aktuelle Situation an deutschen Schulen genauer, dann wird schnell deutlich, dass bereits ohne eine Quote, Schüler*innen mit einem Migrationshintergrund Benachteiligung erfahren. Die ersten prägenden Erfahrungen mit Rassismus machen Menschen in der Schule. In 2017 gab es einen Social Media Trend mit dem Hashtag #MeTwo in dem Schüler*innen von ihren Rassismuserfahrungen berichteten. Der Name, die Herkunft oder Religion waren unter anderem Gründe, die zu Hänselei in der Schule führten. Auch ich, als Tochter von Einwanderern und muslimische Person, habe bereits in der Grundschule ähnliche Erfahrung gemacht. Hinzu kommt, dass Lehrer*innen einem nicht zutrauen, dass man in der weiterbildenden Schule trotz guter Noten auf das Gymnasium kann. Oder später einen akademischen Grad erwirbt. Im Deutschunterricht kam es oft dazu, dass ich trotz gleicher Leistung wie meine deutsche Sitznachbarin, die schlechtere Note erhalten habe. Eine plausible Begründung gab es nicht. Die Tatsache, dass Deutsch nicht meine Muttersprache sei, reichte aus.
Bildungsarbeit in Deutschland
Das diese gefühlte Wahrheit nicht auf Subjektivität beruht, zeigen die PISA-Studien schon seit Jahrzehnten. Das deutsche Bildungssystem schafft keinen Ausgleich, sondern reproduziert soziale Ungleichheit und vertieft sie. Das ist kein neues Phänomen und ist der deutschen Politik seit mindestens 20 Jahren bekannt. In keinem der getesteten OECD-Länder ist der Bildungserfolg von Schüler*innen so eng mit dem sozialen Status der Eltern zusammenhängend wie in Deutschland. Der sogenannte „Pisa-Schock“ blieb dennoch ohne Folgen, die Lage hat sich bis heute kaum verbessert. Eine „Migrationsquote“ würde die Jahre lange Arbeit von etlichen Initiativen gegen Rassismus und Diskriminierung an Schulen zunichte machen. Die Gräben der Spaltung in unserer Gesellschaft würden sich dadurch nur vertiefen.
Mittlerweile nehmen bundesweit rund 3.800 Schulen an dem Projekt „Schule ohne Rassismus“ teil. Sie treten für Gleichwertigkeit aller Menschen und gegen jede Form von Diskriminierung ein. Gleichzeitig fordert nun der deutsche Lehrerverband, eines der größten Lehrerorganisationen im Land, eine Begrenzung von Schüler*innen auf Grund ihrer Herkunft. Wir können keine Rassismuswochen an Schulen veranstalten, über Menschenrechte und Courage sprechen und gleichzeitig unter dem Deckmantel der Integration weiterhin systematische Diskriminierung und Benachteiligung fördern.
Die Forderung nach Integration
Neben der Absurdität dieser Forderung kommt die absolute Realitätsferne. In einem Land in dem gut jede vierte Person einen Migrationshintergrund hat, frage ich mich wie Integration genau aussehen soll? Respekt und Achtung vor dem Gesetz sind keine „deutschen“ Werte. Sie binden sich nicht an Herkunft und Milieu. Als Gesellschaft sollten wir Kriminalität nicht kulturalisieren. Jeder Angriff auf Einsatzkräfte ist einer zu viel. Überall in Deutschland gab es Brände, verletzte Kinder, frühzeitiges Böllern, Schwerverletzte und Tote. Das Problem auf Neukölln und Migrant*innen zu reduzieren heißt Rassismus. Ein kurzer Realitätscheck zeigt uns: Kriminelle Handlungen sind nicht an Hautfarbe und Herkunft gekoppelt.
Rechtsextremismus erkennen
Es ist durchaus verwunderlich, dass die sogenannte „gesellschaftliche Mitte“, die nun darüber spricht, dass über die „Verachtung gegenüber der Exekutive durch junge Männer mit einem Migrationshintergrund“ gesprochen werden muss, den Extremismus durch rechte Gruppen, wie die Reichsbürger, komplett verharmlost. Eine Woche nach Silvester wird deutlich, die deutsche Öffentlichkeit findet Migrant*innen gefährlicher als Reichsbürger!
Obwohl die kürzlich erfolgte Razzia, als größte gegen eine rechte Terrorgruppe in der Geschichte der Bundesrepublik gilt und Experten solche Bewegungen als „Gift für unsere Demokratie“
einstufen, sprechen eben jene Leute von „ein paar Rentnern“, die sich einen „Staatsstreich zugetraut haben“. 2021 gab es 88600 Übergriffe auf Polizisten. 70 Prozent der bekannten Täter waren deutsch. Von 2012-2018 gab es 23 Brandanschläge durch Rechtsextremisten und 50 weitere rechte Straftaten allein in Berlin-Neukölln. Wo war der gesellschaftliche Aufschrei?
Die FAZ titelt in der letzten Sonntagsausgabe mit der Frage: „Nimmt die Gewalt in Deutschland zu?“. Eine berechtigte Frage, die wir aber auch außerhalb des Rahmens der Silvesternacht beantworten müssen. Wieso brennen Flüchtlingsunterkünfte? Wieso erfolgte immer noch keine lückenlose Aufklärung in dem Fall Oury Jalloh ?
Die aktuelle Debatte zeichnet sich nicht durch die Empathie mit Rettungskräften aus, vielmehr geht es um die Stigmatisierung einer ganzen Gruppe von Menschen wegen einer vermuteten Herkunft. Eine „Migrationsquote“ an Schulen einzuführen, nach Vornamen der deutschen Tatverdächtigen im Bundestag zu fragen, arabischstämmige Migranten als „kleine Paschas“ zu bezeichnen, das alles verstärkt nur die Spaltung in unserer Gesellschaft. Die Folgen dessen können dramatisch sein und Leben kosten, das sahen wir bereits in Hanau und Halle.
Autorin: Rameza Monir