Die Aufmerksamkeit, welche die Krise in der Ukraine erlangt, ist richtig und wichtig. Jedoch sollten Bedürftige unabhängig von Hautfarbe, Religion oder Herkunft gleichwertig behandelt werden.
„Das ist nicht Irak oder Afghanistan. Hier war es zivilisiert“
CBS-Korrespondent Charlie D ́Agata, in Bezug auf den derzeitigen Krieg in der Ukraine.
Nach jahrelanger Abschottungspolitik erklären sich Deutschland sowie viele andere europäische Staaten dazu bereit, unbegrenzt ukrainische Geflüchtete aufzunehmen. Im Jahre 2015, als in Folge der Kriege in Syrien mehr als eine Millionen und aus dem Irak zehntausende Menschen nach Europa flüchteten, sah es allerdings noch etwas anders aus. Diesbezüglich äußerten sich 2021 Armin Laschet und andere Politiker*innen der CDU und AfD, dass sich 2015 nicht wiederholen darf. Doch was unterscheidet 2015 zu jetzt?
2015 | 2022 |
Es können nur Asylbewerber*innen hinzuziehen, die seit Januar 2013 Verwandte in Deutschland haben, die über eine reguläre Aufenhaltsgenämigung verfügen oder einen deutschen Pass haben. | Die EU will unbegrenzt Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen. |
Die Zustände der Geflüchteten an den griechischen Lagern werden von Deutschland in Kauf genommen. | Es werden Unterkünfte von nicht ukrainischen Geflüchteten geleert, um Platz für ukrainische Geflüchtete zu schaffen und neue Geflüchtetenheime eingerichtet. |
Für Studienbewerber*innen, die fluchtbedingt den Nachweis der im Heimatland erworbenen Hochschulzugangsberechtigung nicht erbringen können, ist der Beschluss der Kultusministerkonferenz von 2015 unverändert gültig. Der Beschluss sieht ein dreistufiges Plausibilisierungsverfahren bei fehlenden oder unvollständigen Nachweisen vor. | Geflüchtete Schüler*innen aus der Ukraine können sich auch ohne Sekundarschulabschluss in Deutschland für ein Studium bewerben. Auch wenn das Studienjahr nicht abgeschlossen wurde, ist die Aufnahme des Studiums an einer deutschen Hochschule möglich. |
Es wird zwischen Geflüchteten unterschieden – eine Klassifizierung entsteht. Aber warum ist das so?
Personen der deutschen weißen Mehrheitsbevölkerung sehen es einfacher, sich mit weißen christlichen Ukrainer*innen zu solidarisieren als mit außereuropäischen Geflüchteten. Auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen, ist internalisierter Rassismus und Stigmatisierung gegen Schwarze und andere BIPoC Menschen Alltag. Es wird ein Konstrukt des „Wir“ und „der Anderen“ aufgestellt. Daraus resultiert „Othering“, die Abgrenzung einer Gruppe oder Person von einer jeweils anderen, für sie andersartigen oder fremden Gruppe.
In den Medien kursieren aktuell Videos von Politiker*innen und Journalist*innen, die hierarchische Strukturen zwischen den Geflüchteten festlegen.
- In der Sendung von Hart aber fair beurteilten Expert*innen den Krieg in der Ukraine im Gegensatz zu Kriegen in anderen Ländern als besonders schlimm und begründeten es mit Aussagen wie „unser Kulturkreis“ und „Es sind Christen“.
- Der Ex-Generalstaatsanwalt David Sakvarelidze berichtet bei der British Broadcasting Corporation (BBC), dass es besonders emotional für ihn sei, weil „Europäer mit blauen Augen getötet werden“.
- Auch ein ZDF-Moderator berichtet über Geflüchtete, die sich an der polnischen Grenze aufhielten. Er bezeichnet sie dabei als „arabisch aussehend“ und mutmaßt eine „neue Flüchtlingswelle aus dem Nahen Osten“.
Also gibt es gute und schlechte Geflüchtete?
Aus diesen öffentlichen Geschehnissen der letzten Wochen resultiert, dass Kriege in Ländern, bei denen weiße betroffen sind, schlimmer seien und diesen Geflüchteten mehr Akzeptanz entgegenkommen sollte. Dies ist für viele nichts Neues und weist Muster von White Supremacy auf. Die Bezeichnung White Supremacy ist ein Ausdruck für die weiße Vorherrschaft und beschreibt weiße Menschen mit europäischen Vorfahren, welche die Ansicht haben, anderen Menschen aufgrund ihrer privilegierten Stellung überlegen zu sein.
Kommentar
In diesen Zeiten, wo eigentlich zusammengehalten werden sollte und versprechen wie „wir sind alle gleich“ nicht nur gesagt, sondern auch gezeigt werden könnten, wird die hierarchische Differenzierung aufgrund von Hautfarbe, Religion oder Herkunft wieder einmal sehr deutlich. Nicht nur in Medien fallen Äußerungen, auch Kommentare von Bekannten wie „Das ist so krass, ich muss was tun. Zum ersten Mal mache ich mir Gedanken über Krieg“, können bei vielen Unverständnis hervorrufen.
So harmlos erscheinende Kommentare bagatellisieren Kriege wie die im Jemen, im Irak oder Afghanistan, die für diese Menschen dem Anschein nach zu weit weg sind, um wichtig genug zu sein. Mit der Art, wie in den in letzter Zeit aufgetauchten Videos, in denen rassistische Äußerungen fallen, werden Syrer*innen, Afghan*innen, Somalier*innen und Geflüchtete aus der Ukraine mit anderer Herkunft oder Hautfarbe degradiert.
Um diese Scheinheiligkeit wahrzunehmen, braucht es eine Selbstreflexion der Privilegien und des verinnerlichten Rassismus. Denn solche Verhaltensmuster gewährleisten eine Marginalisierung von Personen mit afrikanischer oder westasiatischer Herkunft.
Text: Rojda Çomak