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Gesellschaft & Geschichten

Und woran soll ich glauben?

Eine Kritik an Menschen, die Religionen folgenschwer auslegen
no offence

Wer bin ich, wo komme ich her und woran soll ich glauben? Entscheidende Fragen für ein junges Mädchen auf der Suche nach ihrer Identität. Für meine Eltern war es einfach. Sie sagten: “Du bist Türkin, Muslimin und Alevitin. Aber erwähne am besten nicht, dass du Alevitin bist.” Auf meine Frage “Warum?” hieß es nur: “Es ist besser so. Wir wollen nicht, dass du verletzt und ausgegrenzt wirst.” Ich verstand es damals natürlich nicht und entschied mich, meine Herkunft nicht zu verstecken. Ich hatte ja nichts verbrochen.

Ausgeschlossen unter Ausgeschlossenen

Im Laufe der Jahre wurde ich immer häufiger mit diesem Thema konfrontiert, ob ich wollte oder nicht. Muslime sagten mir: “Aleviten feiern schmutzige Inzest-Orgien.” und: “Du bist nicht würdig meinen Sohn zu heiraten, weil du Alevitin bist.” und: “Wenn du Alevitin bist, kannst du keine Muslimin sein.” Ich recherchierte viel und las den Koran, um herauszufinden, warum es so problematisch war, Alevitin zu sein, fand jedoch keine Antwort. Der Identitätskonflikt, der sich daraus entwickelte, war so groß, dass mir nichts anderes übrig blieb, als mich vom Islam abzuwenden, um nicht den Verstand zu verlieren. Auf der Suche nach Identität war ich, wie viele andere auch, mehrfach belastet: Fremd in dem Herkunftsland meiner Eltern, fremd in meinem Geburtsland Deutschland und dazu auch noch fremd in meiner eigenen religiösen Community.

Warum war es so problematisch Alevitin zu sein?

Erleuchtung? Weit gefehlt.

So ganz ohne Glauben konnte ich jedoch nicht sein. Das Christentum empfand ich als dem Islam zu ähnlich, deshalb setzte ich mich viel mit dem Buddhismus auseinander und fand mich darin wieder. Der Buddhismus tat mir gut. Paradoxerweise versöhnte er mich mit Gott. Ich meditierte täglich, machte wunderschöne spirituelle Erfahrungen und ich konnte Gott wieder spüren. Auch Sex vor der Ehe war in Ordnung. Ich eiferte einem buddhistischen Mönch nach, der die Erleuchtung erlangte, während er das erste Mal Sex hatte.

Ich tauchte immer tiefer in die Materie ein und begann schließlich, die Lehrreden des Siddhartha Gautama zu lesen, mit der festen Überzeugung, eines Tages die Erleuchtung zu erlangen. Pustekuchen. Auch der Buddhismus diskriminierte mich. Als Buddhistin konnte ich alles sein, was ich wollte. Es spielte ja eh keine Rolle, da es das Ziel war, sein ICH auszulöschen. Ich durfte allerdings keine spirituelle Lehrerin sein. Das war allein den Männern vorbehalten. Meine Enttäuschung war groß und meine Distanzierung vom Buddhismus war nicht abzuwenden. Ich hatte gar nicht vor, eine buddhistische Meisterin zu werden, um andere Menschen spirituell zu führen. Aber ich wollte, dass es prinzipiell möglich wäre.

Als Buddhistin konnte ich sein was ich wollte – nur keine Feministin.

Religion? Lieber oberflächlich.

Es folgten Jahre ohne Religionsbezug und mir ging es gut damit. Ich dachte, vielleicht ist es besser, nicht zu tief in die Substanz von Religionen einzutauchen, da es unvermeidlich schien, auf etwas zu stoßen, das mich irritierte und wieder vom Glauben entfernte. Ich meditierte weiterhin, spürte Gott und betete so, wie es mir gefiel und wo es mir gefiel – in der Moschee genauso wie in einem Cemevi (dt. alevitisches Versammlungs- und Kulturhaus). Hin und wieder zündete ich im Dom eine Kerze an und sprach mit Jesus.

Bei den Christen

Zufällig landete ich Jahre später in einer evangelischen Gemeinde. Ich wollte die Sache locker angehen, also ab und an mal einen Sonntag zum Gottesdienst und hinterher mit der Gemeinde zusammen essen. Mein Wunsch war es einfach, mit anderen Menschen zusammen Gott zu begegnen. Ich fiel allerdings schnell in mein altes Muster zurück und begann, das Christentum tiefer zu ergründen. Ich ging jeden Sonntag zum Gottesdienst, jeden Donnerstag zum Bibelstudium und darüber hinaus regelmäßig zu Hauskreisen, insgesamt ein ganzes Jahr.

Ein halbes Jahr später wurde ich im Rhein getauft.

Da ich auch schon immer ein Gesangstalent war, stand ich relativ schnell mit der Gemeindeband auf der Bühne und trällerte leidenschaftlich Lobpreis ins Mikrofon. Das hieß auch, dass ich jeden Samstag zur Musikprobe in die Gemeinde ging. Meine große Motivation kam auch ein wenig daher, dass ich mich ein bisschen in den Sohn des Pastors verknallt hatte. Er war gutaussehend, charismatisch, spielte hervorragend Gitarre und hatte eine Engelsstimme. Aber auch die anderen jungen Leute aus der Gemeinde schloss ich schnell ins Herz. Als der Pastor mich fragte, ob ich getauft werden möchte, sagte ich “JA!” Ein halbes Jahr später taufte er mich im Rhein. Die Zeremonie und die anschließende Feier waren wunderschön. Meine Familie wusste Bescheid und meine engsten Freunde waren eingeladen. Jedoch begann meine heile Welt in der Gemeinde schon einige Monate vorher zu bröckeln.

Gottes Wörter

Die eingehende Beschäftigung mit der Bibel brachte mich genau dorthin, wo ich schon mit dem Koran und dem buddhistischen Kanon war – ein Ort der Irritation. Die Erbsünde zu schlucken, war schon eine große Herausforderung, aber zu erfahren, dass ich nach meiner Taufe die Chance auf den Himmel habe, meine Eltern jedoch nicht, da sie ja an den Islam glauben, triggerte ein bekanntes Gefühl in mir, das Gefühl ausgeschlossen zu sein.

Ich durfte in den Himmel, meine Eltern aber nicht.

Konfessionen

Dieses Gefühl spitzte sich dann zu, als mich eine Freundin fragte, ob ich ihre Trauzeugin sein möchte. Die Hochzeit fand in einer syrisch-orthodoxen Kirche statt. Kurz vor der Trauung teilte man mir mit, dass ich doch keine Trauzeugin sein konnte, weil ich evangelisch getauft war. Katholisch wäre noch okay gewesen, aber evangelisch ging gar nicht, geschweige denn muslimisch oder buddhistisch. Der Pastor fragte mich weder wie stark mein Glaube zu Gott war noch wie viel mir meine Freundin bedeutete und was es mir bedeutet hätte, ihre Trauzeugin sein zu dürfen. Der Trauzeuge des Bräutigams war übrigens schwul, aber das wusste der Pastor nicht.

Der einzig richtige Weg

Der Knackpunkt an Religionen und jeglichen anderen Glaubenssytemen ist folgender: Jeder einzelne Glaube beansprucht für sich, der einzig richtige Weg zu sein. Erlösung, Erleuchtung, oder das Paradies kann man nur dann erfahren, wenn man alle Aspekte seiner Identität in Einklang mit dem jeweiligen Glauben bringt. Das bedeutet schlicht: Wenn ich Muslimin sein will, muss ich mich vom Alevitentum abwenden, wenn ich Buddhistin sein will, muss ich mich vom Feminismus abwenden und wenn ich Christin sein will, muss ich mich vom Islam bzw. von jeglichen anderen Glauben abwenden. Und schon gar nicht darf ich homosexuell sein.

Am Anfang ist jeder willkommen, doch irgendwann kommt das “aber nur wenn” dazu.

Glaube gegen Identität

Was also mache ich mit all den Teilen von mir, die zu mir gehören und die meine Identität ausmachen, die aber von meinem Glauben bzw. von meiner Gemeinde nicht akzeptiert werden? Einiges kann ich vielleicht abstreifen und begraben, aber was ist mit den Aspekten, auf die ich keinen Einfluss habe, wie z.B. meine familiären Wurzeln oder meine sexuelle Orientierung? Leugnen kann ich diese Aspekte bestenfalls vor mir selbst und vor meiner Gemeinde, nicht aber vor Gott. Wie kriege ich mich selbst, meine Gemeinde und Gott unter einen Hut?

Leugnen kann ich meine sexuelle Orientierung vor mir selbst und vor meiner Gemeinde, aber nicht vor Gott.

Höre ich auf zu glauben, verliere ich Gott und die Gemeinde. Erfinde ich meinen eigenen Glauben, behalte ich zwar Gott, aber werde aus der Gemeinde verstoßen. Eventuell könnte ich es meiner Gemeinde gleichtun, indem ich Gottes Wörter an mich reiße und so uminterpretiere, dass ich selbst fein raus bin und allen anderen Menschen meine Sicht der Dinge überstülpen kann. So werde ich zumindest von der Ausgeschlossenen zur Ausschließenden.

Die Anmaßung

In diesen Punkten sind Gläubige sich einig: Vor Gott sind alle Menschen gleich. Gott ist größer als der Mensch und am Ende ist es Gott, der über die Menschen richten wird. Angenommen ein Mensch hat alevitische Wurzeln und ist homosexuell, oder bisexuell. Dazu möchte sie Muslimin, Buddhistin, Feministin, religiöse/spirituelle Führerin und Christin sein. Sie möchte all das zusammen sein. Oder sie will zum Beispiel gar nicht an Gott glauben. Was spricht denn dagegen, dass man das respektiert und diesen Menschen mit offenen Armen empfängt? Einschließlich (und das ist das Zauberwort) aller Wesenszüge, die diesen Menschen ausmachen.

Verschiedene Identitätsmerkmale tun niemandem weh und sind, ganz im Gegenteil, eine Bereicherung. Wenn ich über Identitätsmerkmale anderer Menschen richte und sie daraufhin diskriminiere, ausschließe, oder verstoße, erhebe ich mich nicht nur über diese Menschen, ich erhebe mich damit über Gott. Wenn ich mich allerdings größer mache als Gott, wie kann ich mich dann noch als gläubig bezeichnen?

Text: Vildan Cetin
Illustration: Yasmin Anılgan

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