„Kleider machen Leute“, die berühmte Novelle des Schweizer Dichters Gottfried Keller erhält durch Ümit Benan eine wunderbare Neuinterpretation. Zu Beginn seiner Karriere als Modemacher aufgrund seines wuchernden Bartes von den Mailänder Beaus diskriminiert, ist sein Bart zu seinem unverwechselbaren Markenzeichen geworden. Denn es war genau diese Erfahrung, die ihn zu seiner ersten Kollektion 2009 motivierte und zum Symbol der Emanzipation seines Bartes und seiner Person wurde. Seine erste Kollektion war eine Kritik an jene Menschen, die Andere wegen ihrer äußeren Erscheinung verurteilen. Mittlerweile wird er als Hoffnungsträger der Mailänder Herrenmode betrachtet und international als rebellischer und interessanter Jungdesigner gefeiert.
Doch wer ist Ümit Benan und warum kennt ihn in Deutschland kaum jemand?
Ümit Benan kommt 1980 als Sohn türkischer Gastarbeiter in Stuttgart auf die Welt. Als Kind zieht die Familie wieder nach Istanbul, wo Ümits Vater eine Textilproduktionsfirma für Damenoberbekleidung aufbaut. Dort hilft er von klein auf mit. Anschließend ist er als Jugendlicher zehn Jahre fern seiner Familie in der Schweiz und den U.S.A.. Er besucht ein Internat in der Schweiz und studiert danach Wirtschaft in Boston. Mit 17 Jahren folgt der Schritt in die Modewelt: In Mailand und London absolviert er seine Ausbildung. Mithilfe Domenico Dolces von Dolce&Gabbana, fährt Ümit nach New York, um für Marc Jacobs zu arbeiten. Ab dem Zeitpunkt arbeitet er für viele renommierte Designer in New York und Mailand, wohin er schließlich 2006 zurückkehrt. Doch sein Bart wird ihm fast zum Verhängnis. Er ist permanent Vorurteilen ausgesetzt: selbst Kellner wollen erst Geld sehen, bevor man ihn bedient. 2009 gründet er sein eigenes Label und findet damit sein persönliches Sprachrohr.
Sein Modestil: lässig, bequem, unkonventionell
Seine Kindheit, seine Jugend und die Anfangszeit seiner Karriere als Modemacher: es sind Zeiten, in denen er Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen trifft. Diese Zeit prägt ihn bis heute und spiegelt sich in seinen Kollektionen wider. Er lebt und liebt den multikulturellen Lebensstil, plädiert für Meinungsfreiheit und bricht mit seinen Kontrasten alte Konventionen. Die Süddeutsche beschrieb seinen Modestil kürzlich als einen wilden Mix aus „traditionell türkischen, elegant italienischen und modernen New Yorker Einflüssen – lässig, bequem, unkonventionell“. Wenn man bedenkt, dass Ümit eigentlich Regisseur werden wollte, ist es nicht verwunderlich, dass jede Kollektion eine eigene Geschichte erzählt und seine Modeschauen die perfekte Inszenierung dieser Geschichten darstellen. Sie erzählen von Alltagshelden, vom jungen tätowierten Rebellen bis hin zum gestandenen Mann. Seine Mode spricht alle Altersklassen und Typen an: mal ist es der Army-Typ, mal der Bänker, der Graffiti-Sprayer oder auch mal der osmanische Pascha.
Die Frage nach der kulturellen Identität
Jede Kollektion mit ihrer eigenen Geschichte, bedeutet aber auch, dass sie gleichzeitig einen intimen Blick in die Gedankenwelt ihres Erzählers preisgibt. So wird die zentrale Frage nach seiner kulturellen Identität vor allem in seinen Kollektionen „Home sweet home“ und „Efendi“ deutlich. Bei den Pumphosen und Westen, als auch den liebevollen kleinen Details, wie dem Tesbih (Rosenkranz) wird man stark an die Ağas (den Großgrundbesitzern) aus alten türkischen Filmen der 70er Jahre erinnert. „Efendi“ ist nicht nur als eine Hommage an den osmanischen Fes zu sehen, diese Kollektion ehrt die Intellektuellen seiner Zeit und ihre Lebensfreude.
Ich liebte eine Frau, die Männerkleidung liebt
Den bislang intimsten Einblick in seine Gefühlswelt erteilt eine alte Liebesgeschichte. Ümit widmet seine Sommerkollektion 2013 seiner verschollenen Geliebten, die nicht nur ihn, sondern auch seine Kleidung geliebt hat. Die Kollektion heißt „I once loved a woman who loves menswear“ und wird von einer Frau präsentiert.
Ein Jungdesigner mit einer Vision
Nun bestätigt Ümit mit seiner aktuellen Kollektion erneut, dass Mode vielmehr ist als Kleidung oder eine Hommage an alte Zeiten. „Home Run“ ist inspiriert von und gewidmet an den afroamerikanischen Baseballspieler Jackie Robinson, der in den 1940er Jahren der erste schwarze Profispieler in den U.S.A. war und den Weg für viele andere öffnete. Somit setzt er gekonnt politische und soziale Themen in seinen Kollektionen um – und das in einer scheinbar pur oberflächlichen Modewelt.
Ümit Benans Weg zur Modeikone ist geebnet. Wer so liebevoll und leidenschaftlich jede seiner Geschichten erzählt und interpretiert, der hinterlässt gewiss Spuren.
Credits
Text: Saliha Kubilay
Fotos: Simone Falcetta – Quelle: www.umitbenan.com
Video: Youtube