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Musik & Tanz

Punk is not dead

Auf den Spuren der türkischen Punkszene

Punk is not dead – auch nicht in der Türkei. In Istanbul, Izmir und Ankara pogen Systemverweigerer zu Gitarrenriffs und schreien gegen die Politik, gegen das System, gegen das Establishment. Doch in der Türkei ist es nicht leicht eine Gegenkultur zu etablieren: Vor allem dort muss sich der Punk ständig neu erfinden.

Wir erinnern uns an den vergangenen heißen Sommer: Es ist Mitte August in Istanbul, der Asphalt glüht und auch der Rhythmus der Stadt wirkt wie in Slow-Motion. Eigentlich ist es die ungünstigste Zeit sich auf die Suche nach der türkischen Punkszene zu machen. Es gibt keine Konzerte, es ist komplette Dead-Season. Sommerloch. Doch wer nicht in Antalya oder Bodrum am Strand unter der Sonne brät, lungert in den Gassen von Istanbul rum. Und dort finden sich auch ein paar Rock ’n’ Roller, Skatepunker und kreative Querdenker, die sich irgendwo im Punk wiederfinden.

Arda (Bass) und Orhan (Schlagzeug) von der Band „Padme“

Das war nicht Großes am Anfang

Unweit der Boğaziçi Üniversitesi in Istanbul hocken Orhan und Arda im Schatten auf einer Treppe. Hinter ihnen Panoramablick: Die Fatih Sultan Mehmet Köprüsü überm Bosporus. Orhan ist hochgewachsen, trägt ein ausgewaschenes T-Shirt und einen silbernen Ring in der Augenbraue und im rechten Nasenflügel. Die Haare sind kurz geschoren. Arda ist gut einen Kopf kleiner als er, hat einen strubbeligen Lockenkopf und über seinem Kinn schimmert ebenfalls ein silbernes Piercing. Die beiden Jungs spielen in der Streetpunkband Padme: Arda den Bass und Orhan die Drums. Der Leadsänger und Gitarrist Toprak ist heute nicht dabei.

„Das war nicht Großes am Anfang. Wir wollten einfach nur zusammen Musik machen“, erzählt Orhan. 2015 haben sie sich zusammengefunden und 2017 ihr erstes Album „Bugün“ (dt. „Heute“) mit Arda als neuen Bassisten rausgebracht. Die drei sind Anfang Zwanzig, studieren und jobben ab und zu in einer Kneipe.

„Wir haben nicht alle die gleichen Ansichten in der Band. Während ich die Gesellschaft verändern möchte, ist Toprak eher der Anarchist unter uns und geht da seinen eigenen Weg“, erzählt Orhan. Arda ist dagegen komplett politikverdrossen: „Sobald Politik zum Thema wird, geht alles nur schief.“

In ihren Songtexten verarbeiten sie ihren Missmut über die heutige Türkei und das geht am besten mit Punk. In einem Song singen sie zum Beispiel auch humorvoll darüber, dass man sich in Berlin nicht mal mehr die Toilette leisten kann, so Orhan:

„Als ich einmal Berlin war, kostete die Toilette am Bahnhof einen Euro. Das sind mittlerweile fast sieben türkische Lira. Wenn wir also eine Stunde in der Kneipe arbeiten, können wir davon nur pissen gehen.“

Aus dieser Idee entstand ihr Song „Gotta pee“. Doch ihre Ironie spiegelt gleichzeitig die derzeitige Lage wieder: Die Türkei schlittert zurzeit in eine Wirtschaftskrise. In anderen Liedern werden sie dann ganz konkret und klagen die Regierung an, singen über Freunde, die unter Terrorverdacht im Gefängnis sitzen:

„Die Themen unserer Songs sind total unterschiedlich“, so Arda. „Manchmal geht es darum nicht pissen zu können und manchmal eben um Freunde, die aufgrund der politischen Situation in der Türkei im Knast sitzen und gefoltert werden“.

Ich hab keine Kohle, aber ich weiß es.

Die Wurzeln des Punks: Irokesenschnitt in Europa, Militärputsch in der Türkei

Punk hat sich in der Türkei bisher nicht als flächendeckende Jugendkultur etabliert. Vielmehr ploppte mal hier und da eine Punkband auf, verschwand aber schnell wieder. Auch bunte Iros und Leute in Punkerkutten sieht man hier eher selten.

Die Wurzeln des Punks liegen ursprünglich in dem London und New York der 70er Jahre. Die Subkultur, die sich daraus entwickelte, zeichnete sich vor allem durch Provokation, Antihaltung, lauter, agressiver Musik und einer DIY-Attitüde aus. In den 80ern schwappte der Punk als Gegenkultur zum Mainstream auch auf den Rest der Welt über. Allerdings nicht in die Türkei.

Die goldenen Jahre der türkischen Rockmusik waren die 60er und 70er Jahre. Der Anadolu Rock, eine Mischung aus Rockmusik und traditioneller Volksmusik, entwickelte sich und wurde unter anderem von Musiklegende Bariş Manço repräsentiert. Es entstanden weitere Ableger wie Psychedelic Rock, doch die florierende Musiklandschaft fand ihr abruptes Ende im Jahre 1980.

Während rebellische Jugendliche in Europa bunte Irokesenschnitte, Lederkutten und zerrissene Jeans trugen, wurde in der Türkei geputscht. Der Militärputsch vom 12. September 1980 krempelte das Land komplett um: Säuberungsmaßnahmen, Verhaftungswellen, Folterungen, Todesstrafen… Das öffentliche Leben lag komplett lahm. Es war nicht die Zeit, um Musik zu hören.

Erst Mitte und Ende der 80er setzten Metal Heads und Punks einen Gegenpol zur wiederaufkeimenden türkischen Popmusik. Es entwickelte sich ein Individualismus in der Jugend, der sich auch immer mehr über das Aussehen ausdrückte: Nasenringe, lange Haare und kaputte Hosen. 1987 brachten die Headbangers ein Punk-Album raus und gelten heute als Pioniere der türkischen Punkmusik. Auch die Band Rashit, die von Tolga Özbey 1993 in Istanbul gegründet wurde, gilt heute als wegweisend für die türkische Punkkultur. Für ihre Auftritte auf großen Festivals wie dem Rock’n’Coke wurden sie jedoch scharf von der Szene kritisiert. Daneben machten sich bis heute Bands wie The Raws, Tampon und auch Poster-Iti einen Namen und halten die kleine Szene lebendig

Dem Punk fehlt die Bühne

Punkbands haben es immer wieder schwer in der Türkei eine Bühne zu finden. Einige der wenigen Läden, wo man ab und zu Punk hört sind der Club Peyote nahe Taksim und die Karga Bar in Kadıköy.

„Die Orte, wo man ein Konzert veranstalten kann, sind oft nicht im Zentrum der Stadt. Oft sind die Inhaber leider nicht sehr offen. Bei uns gibt’s alles: Unsere einzige Voraussetzung, ist, dass sie ihre eigene Musik machen, also keine Cover”, erzählt Murat Seçkin, Inhaber der Karga Bar, und krault vor dem Eingang eine schläfrige Straßenkatze. Der Anfang 40-Jährige trägt ein verwaschenes Band-Shirt und im linken Nasenflügel steckt ein Nasenring. In seinen dunklen Haaren mischen sich graue Strähnen. Punk spielt für ihn seit seiner Jugend eine große Rolle.

Murat Seçkin, Inhaber der Karga Bar

„Ich habe damals fast komplett Punk oder Post-Punk gehört, und deswegen wurde meine Weltanschauung durch diese Inhalte geprägt.” Die Karga Bar gibt es seit 20 Jahren und ist fast schon ein Urgestein für die eher junge Undergroundszene. Punk musste schon immer mit vielen Vorurteilen kämpfen und es ist vor allem schwierig als Amateurband eine Bühne zu finden.

“Punk ist rebellisch, also haben die Inhaber der Clubs Angst, dass es danach im Laden Schäden geben wird. Sie würden viel trinken und klauen. Diese Vorurteile müssen dekonstruiert werden, damit die Kids ihre Mucke machen können”, so Murat.

Doch die gesellschaftlichen Traditionen sind bis heute stark in der Türkei und somit schaffte es der Punk nicht sich als eigene Subkultur zu etablieren. Jugendliche haben es schwer zu rebellieren und bunte Vögel in Punkerkutten werden sehr argwöhnisch betrachtet und als Randalierer eingestuft, während der Punk in Europa mittlerweile weitestgehend kommerzialisiert ist.

Auch Padme kämpfen um ihr Publikum. Minderjährig kommen die Kids nicht in die Clubs.

„Wir wollen für unsere Publikum spielen, aber unser Publikum darf nicht rein“, beklagt sich Orhan.

Reptilians from Andromeda

Wiedergeburt aus dem Schlamm

Direkt gegenüber der Karga Bar lehnen Tolga und Aybike Özbey an der Wand und trinken Bier. Sie haben 2013 die Band Reptilians from Andromeda gegründet uns spielen rauen Rock ‘n’ Roll. Tolga ist gleichzeitig der Gründer der Pionier-Punkband Rashit aus den 90ern. „Wenn man sich als Punk in einem Land wie der Türkei bezeichnet, ist das schon politisch. Wenn du einen alternativen Lebensstil hast, hassen sie dich sowieso und wollen dich zerstören“, so Tolga. Dagegen rebellieren sie – mit Musik. Auch junge Bands wie Padme finden so einen Weg ihren Unmut auszudrücken.

Ihr Bandname „Padme“ bedeute im Sanskrit „Lotus“, erklärt Orhan und sagt weiter: „Die Türkei ist wie ein Schlammloch. Die Lotusblume symbolisiert die Wiedergeburt daraus.“

 

Bühnenbilder: Reptilians from Andromeda
Titelbild: Shutterstock.de von Ljupco Smokovski

 

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