Warum besuchten täglich sechs Monate lang viele Deutsch-Türken, vor allem aus Berlin, das „Brandenburg-Preußen-Museum“ im kleinen, brandenburgischen Ort Wustrau? Um etwas über die Geschichte der Türken in Brandenburg zu erfahren.
Die Sonderausstellung „Türken, Mohren und Tartaren. Muslime in Brandenburg-Preußen“ zeigt unter anderem das Miteinander von Türken und im 16. Jahrhundert ansässigen Brandenburgern. Wie es zu der ersten Einwanderung kam und wie sehr die Türken in die brandenburger Gesellschaft integriert waren, erzählt uns Museumsleiter Dr. Stephan Theilig.
Türken in Brandenburg: Das ist eine Seltenheit, aber geschichtlich fest verankert. Wer war der erste Türke in Brandenburg?
Dr. Theilig: Der erste nachweisliche Türke, der aus dem Osmanischen Reich stammte, kam um 1574 nach Magdeburg, also ins heutige Bundesland Sachsen-Anhalt und wurde dort zwangsgetauft. Er ist dort geblieben. Es gab aber auch vorher einzelne Gesandtschaften, die bis nach Brandenburg gekommen sind. Diese Muslime waren die ersten Migranten, so wie wir sie heute nennen würden.
Türken wurden als „Vernichter der abendländischen Kultur“ angesehen. Wie verhielten sich die Deutschen gegenüber den Türken nach der Ankunft?
Dr. Theilig: Am Anfang gibt es immer eine Distanz; eine Distanz aufgrund der Fremdheit, anderer Religion, anderer Gewohnheiten. Allerdings gab es gerade in der frühen Neuzeit kein bestimmtes nationales Charakteristikum, d.h. es ist alles miteinander vermischt worden. Darum ist es gar nicht so unüblich, dass auch Leute mit Migrationshintergrund relativ schnell in der ersten oder zweiten Generation in den Adel aufsteigen konnten.
Das bedeutet, dass die Türken in der brandenburgischen Gesellschaft sozial akzeptiert wurden?
Sofort. Wir haben keine Hinweise auf Diskriminierung von Muslimen. Sie mussten aber zwangskonvertieren. Die Zwangskonversion war eine Art Einbürgerung, nur um zu zeigen, dass die Türken zur deutschen Gesellschaft gehörten. Gerade im 16. und 17. Jahrhundert gab es immer noch diesen Konflikt bzw. den Heiligen Krieg zwischen Moslems und Christen.
Können wir folglich festhalten, dass die Brandenburger mit dem Islam nicht umgehen konnten, weshalb die Türken zwangsgetauft wurden?
Dr. Theilig: Diese Zwangstaufe muss eigentlich als eine Art Einbürgerungstest verstanden werden. Das war ein Einbürgerungstest in der Form: „Ich gewöhne mich an eine neue Gesellschaft, ich lerne die Grundzüge dieser Gesellschaft kennen und durch den Religionsunterricht lerne ich auch die deutsche Sprache.“
Der Islam an sich verlor zusehends seinen Schrecken, als man mitkriegte, dass die Türken besiegbar sind. Denn gerade im 16. Jahrhundert hatte das osmanische Heer den Nimbus der Unbesiegbarkeit.
Die Schlacht bei Lepanto 1571 oder der Zug nach Wien 1529 zeigten, dass das osmanische Heer auch geschlagen werden konnte. Das sind Momente, in denen man feststellte: es sind nur Menschen. Das hört sich für uns zwar seltsam an, aber es ist der erste Schritt dahin, sie als menschliche Gegner und nicht mehr als den Antichristen zu sehen. Danach baute sich eine neue Form von Neugier und Interesse auf. Das sehen wir gerade dann mit Beginn des 17. Jahrhunderts und in der Aufklärung, als man sich mit fremden Kulturen und Religionen auseinandersetzte.
Welche Schwierigkeiten hatten die Türken?
Dr. Theilig: Die Schwierigkeiten waren nicht bedingt durch die fremde Religion oder durch die Sprache, sondern durch die Kriegstraumata. Sie sind verschleppt worden. Sie haben Kriegsgräuel gesehen, sie sind von ihrer Familie und von ihren Freunden getrennt worden. Sie mussten auf einmal ein neues Leben anfangen, völlig isoliert in einer neuen Umgebung. Das ist schwierig.
Viele sind damit nicht klar gekommen. Das kennen wir aus Kirchenbüchern. Darin steht, dass sie tief depressiv seien, sich nach ihrer Heimat gesehnt haben oder heimlich ihren muslimischen Namen beibehalten hätten.
Es gibt kein Schema, wie eine Integration läuft. Es hängt immer von den Umständen ab, wie die Leute hierher gekommen sind. Gerade bei Frauen ist es so, dass sie als sexuelle Lustobjekte entführt wurden. Da kann man sich vorstellen, dass diese sexuell ausgebeuteten Frauen sich nicht mit ihrer neuen Umgebung anfreunden konnten.
Friedrich der Große sagte einst im Zuge des aufgeklärten Absolutismus: „Wenn Türken kämen, so wollen wir Moscheen bauen.“
Inwieweit haben Muslime die brandenburgisch-preußische Kultur geprägt?
Dr. Theilig: In vielerlei Hinsicht. Zum einen sieht man das in einzelnen Traditionen, was z.B. den Kaffee angeht. Um 1800 entstehen in Brandenburg Kaffeehäuser. Zum anderen werden Musik und Kostüme übernommen. Auch Kampftaktiken übernehmen die Ostpreußen von den Tartaren, auch Muslime, aber keine Türken. Diese Tartaren haben eine ganz besondere Art zu kämpfen: auf kleinen Pferden mit Lanzen. Sie revolutionieren die preußische Armeetaktik.
Wir sehen eine weitere Beeinflussung durch die Literatur. Die ältesten Islamübersetzungen ins Deutsche stammen aus dem Jahr 1616. Das setzt sich fort in die 1670er Jahre, als Berliner Hofbedienstete ein Wörterbuch Persisch-Osmanisch-Lateinisch-Deutsch schreiben und herausgeben. Das war 140 Jahre bevor in Wien Joseph von Hammer-Purgstall anfängt, daran zu arbeiten.
Weiterhin denken wir an Lessings Stück „Nathan der Weise“ oder an Goethes „West-östlicher Divan“. Wir sehen den Einfluss in der Architektur, in der plötzlich orientalische Stile nachgeahmt werden. Die enorme Aufnahme orientalischer Elemente wird heutzutage gar nicht mehr wahrgenommen.
Welche abschließenden Worte können Sie uns über Türken mitgeben?
Dr. Theilig: Es gibt ein Zitat von Voltaire: „Die Türken leben uns nah genug, aber wir kennen sie nicht hinlänglich genug. Fast alles, was man über ihre Sitten und über ihre Religion sagt, ist falsch.“
Das ist ein schöner Sinnspruch, weil er nämlich sagt, dass wir so lang miteinander leben, aber immer noch in diesen Kategorien von Vorurteilen denken.
Credits
Text: Nur Şeyda Kapsız
Fotos: Ferhat Topal
Brandenburg-Preußen Muesum