Sinnsuche, Sehnsüchte und Knoblauchsauce. Çağan Okuyans Bildband „Kebab Project“ widmet sich universellen Themen. Aber auch der Frage, ob der Döner wirklich in Berlin erfunden wurde.
Teils soziologische Untersuchung, teils Autobiographie und teils Selbsttherapie. Kebab Project beleuchtet die Kultur um das allseits beliebte Gericht in ganz Europa, ergänzt Fotos mit Texten in türkischer und gebrochener Sprache, liefert Witze und Anekdoten von Kebab-Ladenarbeitern, die von Traurigkeit, Melancholie und Heimweh durchdrungen sind. Das Fotoprojekt des Künstlers Çağan Okoya ist eine beeindruckende Arbeit, eine Herzensangelegenheit. Die Bilder und Geschichten sind so lebendig, dass sie fast filmisch anmuten.
Sie stehen im Kontrast zum herzlosen Egoismus und der Selbstsucht des Pariser Alltags, denen Çağan mit seinem kreativen Drang etwas entgegensetzen möchte. In den gehetzten Mittagspausen seines Jobs in der Modebranche fand er ausgerechnet in Kebabläden eine warme, entschleunigte Zukunft. „Als ich mit diesem Projekt anfing, hatte ich das Gefühl, dass ein türkischer, anatolischer Junge in mir lebte und dass er gefüttert werden musste.“ erzählt Çağan.
Es ist ein lebhafter Oktoberabend in einem Café in Berlin-Kreuzberg, nur einen kurzen Steinwurf vom Kottbusser Tor entfernt. Es wird wegen seiner vielen türkischen Läden und Bistros manchmal als „Little Istanbul“ bezeichnet. Çağan trägt einen schwarzen Mantel über einem orangefarbenen T-Shirt mit der arabischen Aufschrift „Helal“. Sein Haar ist lang, seine Hände tätowiert.
„Anfangs war es nicht einfach“, erinnert sich Çağan an seine ersten Versuche, mit den Kebab-Ladenarbeitern in Paris ins Gespräch zu kommen. „Schau mich an, mit meinen Tattoos, den bunten Haaren, der Kamera. Diese Typen finden mich strange. Ich ging einmal, zweimal, fünfmal in den Laden. Nach zehn Malen konnte ich endlich meine Kamera herausholen und Fotos machen.“ Niemand konnte seine anfängliche Besessenheit verstehen. „Meine Freunde sagten‚ Was zum Teufel machst du? Warum denn bitte Kebab? “
Sogar die Verkäufer selbst sagten Çağan, er würde seine Zeit verschwenden. „Wer zum Teufel interessiert sich dafür, was ich zu erzählen habe?“, blaffte einer von ihnen. „Mann, such dir einen richtigen Job, okay? Es gibt Jungs in deinem Alter, die bereits einen Porsche besitzen. Ich bin nur ehrlich zu dir, Mann. Dein kleines Projekt klingt für mich beschissen. “
Aber Çağan blieb unerschrocken. Er kam mit Kamera und ohne, auf Rollerblades oder mit seinem Klapprad. Oft tauchte er kurz vor Geschäftsschluss auf. Bei einem Kaffee oder eben Kebab stellte er Fragen. Ihm wurde bald klar, dass die Arbeiter es mochten, jemanden zum Reden zu haben. Er fragte nach den Anfängen der Kebabläden und erfuhr nebenbei von persönlichen Schicksalen der Verkäufer.
Die wildeste Geschichte erzählte ihm ein Ladenbesitzer, der die Türkei verlassen wollte, aber weder Visum noch Papiere hatte. Mit zwei Neffen, einem Bruder und einem türkischen Teppich fuhr er in einem alten Fiat nach Frankreich. Kurz vor dem Grenzübergang rollten ihn seine Neffen in jenen türkischen Teppich, hievten ihn in den Kofferraum und fuhren schnurstracks weiter. Und so kam er nach Paris.
„Alle Kebab-Läden, die ich dokumentiert habe“, sagt Çağan, „servieren mehr als nur Döner. Sie servieren Geschichten.“
Çağans eigene Kebab-Geschichte begann 2003, nach der Einwanderung seiner Familie nach Frankreich. Während der Schulzeit entdeckte Çağan die Kebabläden von Paris. „Wir wollten uns ein bisschen zuhause fühlen und gingen in ein türkisches Lokal. Es war wie eine plötzliche Rückkehr, mitten in einem fremden Land. Aus allen Ecken türkische Gespräche, Gerüche, Gebäck.“ Nach der Schulzeit verschlug es ihn beruflich zurück nach Istanbul, wo er Grafikdesign und Bildende Kunst studierte und in großen Studios arbeitete. Heute arbeitet und lebt er in Berlin.
Sein Kebab-Projekt ist mittlerweile mehr als eine fotografische Dokumentation. Çağan erforscht die Geschichte des Kebabs auch, um ein Zeichen gegen die zunehmende Gentrifizierung, die großen Kebab-Ketten zu setzen. Denn alles fing doch eigentlich so klein an. Mit dem Zustrom türkischer Arbeiter bekam Paris in den sechziger Jahren erstmals einen Vorgeschmack. Sie servierten Kebab zunächst auf einem Teller, in westlicher Manier mit Pommes. Es wurde schnell zum Lieblingsgericht für nordafrikanische Einwanderer auf der Suche nach Halal Food und bot eine Alternative zu den algerischen Merguez.
„In den 90er Jahren war Kebab das inoffizielle Essen für Studenten und die Arbeiterklasse“, erklärt Çağan. Doch heutzutage werden diese Gruppen immer mehr von Kebab-Ketten mit günstigen Preisen geködert – alteingesessene Läden bleiben auf der Strecke. Fastfood-Kolonialismus nennt Çağan das.
Im Laufe seiner Recherche begann Çağan , Crowdfunding für sein Projekt zu betreiben. Kaum zwei Wochen nach Kampagnenstart klopften bereits die Lyo-Universität, Arte, die UNESCO und National Geographic bei ihm an. Erst zu diesem Zeitpunkt erfuhr Çağan , dass die Europäische Union den Döner Kebab als ihr offizielles Gericht gekührt hatte.
„Ich dachte nur: Wie konnte mir das entgehen? Mir wurde klar, dass das Projekt nicht mehr nur eine persönliche Auseinandersetzung war. Es sollte gleichzeitig eine Untersuchung darüber sein, inwieweit Kebab als Metapher der Integration darstellt.“ Trotzdem, das betont Çağan immer wieder, sieht er sich nicht als Forscher. Er ist eher ein Dilettant mit fotografischem Background, der sich für die Ästhetik des Kebabs und seinen Produktionsstätten interessiert.
Als ihm klar wurde, dass sein Projekt die Grenzen von Paris längst gesprengt hatte, zog er letztes Jahr nach Berlin, angeblich die Geburtsstätte des Döner Kebabs. Kreuzberg, Neukölln, Wedding… er aß sich durch sämtliche Kieze und bemerkte, wie fremd der Berliner Döner Kebab dem französischen war. Andere Salate, andere Saucen, andere Fleischportionen. Bei Mustafas Gemüse Döner, dem vielleicht berühmtesten Kebab-Laden Berlins, wurde das Gericht sogar mit Feta-Käse bestreut.
Als Nächstes fokussierte er sich auf die Namen der Läden. Es gab Antalia Döner Kebab oder Bodrum Döner Kebab.
„Namen, die sie an zu Hause erinnerten, und daran, dass sie nicht zu Hause waren.“
In der Türkei benennen die Besitzer ihre Läden mit ihren eigenen Namen. Gökhans Kebab. Oder Tariks. Und was ist mit der Behauptung, dass der Döner Kebab in Berlin erfunden wurde? Der erste Kebabladen Berlins eröffnete 1968 am Bahnhof Zoo und wurde von einem Ahmed soundso geführt, den die Geschichte bereits vergessen hat. Sein Geschäftspartner Mehmet Durmuş überlebte diesen Laden und ist heute ein steinreicher Mann. Die beiden führten das deutsche Publikum nach und nach an Kebab heran. Sie servierten das Fleisch im Sandwich, garniert mit Knoblauchsauce. Eine Kombination, die sich heute europaweit durchgesetzt hat.
Der Berliner Prototyp des Kebabs hat wenig mit seinem türkischen Original gemeinsam. Es handelt sich dabei um einen Spieß aus Hackfleisch, der vor allem in einer Stadt noch Bedeutung findet: Adana im Südosten der Türkei, eine weitläufige Mini-Metropole, die für ihre intensive Hitze und scharfe Küche bekannt ist. Adana also als Ursprung des Kebab-Fleisches, Berlin als Wiege des fertigen Döners? Einen konkreten Anfangspunkt konnte Çağan auf seiner Reise nicht finden. Aber wo auch immer der Ursprung des Döner Kebabs nun liegt, wichtiger ist Çağan folgende Erkenntnis:
„Jeder isst Kebab. Ich dachte, ich könnte es auf ein paar Typen eingrenzen. Aber nein. Nach zwei oder drei Wochen Forschung habe ich das aufgegeben. Der konservative Politiker. Die Prostituierte. Der Taxifahrer. Wirklich jeder.“
Bilder: The Kebab Project/Tchane OK
Übersetzung: Hannah Nieswand