Tan Çağlar kam mit der Krankheit Spina bifida (offener Rücken) auf die Welt. Der 35 jährige Profi-Basketballer kann seit ca. 10 Jahren nicht mehr laufen und ist an den Rollstuhl gebunden. Einige Jahre zuvor war er schon auf Krücken angewiesen. Nach einer etwa zwei Jahre andauernden Depression rafft sich Tan auf und wird nicht nur zu einem unglaublich erfolgreichen Basketballspieler bei den Baskets 96 Rahden, sondern modelt für diverse Magazine. Mittlerweile hält er Motivations-Seminare, um Menschen mit Behinderung zu unterstützen. Seinen Höhepunkt erreicht der Hildesheimer im Januar diesen Jahres, als er auf der Berliner Fashion Week als eines der ersten Handicap-Models im Vorprogramm glänzt. Im Interview verrät er uns, wie er mit seiner Behinderung umgeht und welche Auswirkungen sie auf sein Leben hat.
Wie veränderte der Rollstuhl deine Einstellung zum Leben?
Wenn man plötzlich eine Etage tiefer sitzt, ändert sich auch die Perspektive für das Wesentliche. Man sieht nicht mehr von oben herab. Das Kontoverse ist, dass ich das Leben viel intensiver und vielfältiger wahrnehme. Durch die neuen Herausforderungen weiß man Dinge zu schätzen, die vorher selbstverständlich waren. Wenn man beginnt das Wesentliche schätzen zu wissen, erhöht das enorm die Lebensqualität.
Wie ist die Idee entstanden andere bei ihrer Motivation zu unterstützen?
Ich habe mir früher nichts unter Depressionen und Demotivation vorstellen können, bis ich es selber erleiden und durchleben musste. Das ist eine sehr schwere und schlimme Erkrankung, da sie nicht greifbar ist. Einen gebrochenen Arm kann man in Gips packen und warten bis es heilt. Motivation ist ein grundlegendes Heilmittel für solche Situationen. Ich habe es geschafft mich von dieser Krankheit zu befreien und sehe es als persönliche Verpflichtung an, anderen Menschen ebenfalls aus diesem Loch heraus zu helfen.
Was ist der Inhalt einer solchen Sitzung?
Ich erzähle autobiographisches und von eigenen Erfahrungen. Zunächst beginne ich in Form von „Storytelling“. Ich versuche aber nicht einen reinen Monolog zu halten, sondern reflektiere zusammen mit den Teilnehmern. Im Gespräch entwickeln sich dann viele Fragen und Antworten ganz von selbst.
„Kommunikation trägt sehr viel Kraft und Lösungen in sich!“
Viele finden sich in den besprochenen Situationen wieder. Die Teilnehmer meines Seminars verlassen den Raum am Ende völlig verändert. Jedesmal aufs Neue ist diese Erkenntnis das schönste Gefühl für mich.
Wie bist du zu dem Model-Job auf der Berliner Fashion Week gekommen?
Ich bekam eines Tages direkt den Anruf vom Veranstalter der Fashion Week, ob ich mir vorstellen könnte als Model dabei zu sein. Vorerst habe ich aus terminlichen Gründen abgesagt. Dann folgte ein weiterer Anruf in dem es hieß, dass ich das erste Rollstuhl-Model in der Geschichte der Berlin Fashion Week wäre. Damit hatten sie mich dann. Der Erste sein zu dürfen war grandios! Zeichen setzten ist schon sehr geil.
Wie fühlte es sich an auf der Fashion Week zu modeln?
Ich glaube es hat sich so angefühlt wie für jeden anderen auch, der zum ersten Mal dabei ist. Ich war natürlich aufgeregt. Aber positiv! Ich durfte vorher etwas üben und mir wurde schnell klar, dass man einfach straight und konzentriert wirken muss. Der Rest war reine Lauferei, in meinem Fall Fahrerei. (lacht)
Was macht dir am meisten Spaß, das Basketballspielen oder das Modeln?
Das Modeln ist für mich eher ein Job und eine gute Möglichkeit viele Leute in einer Welt zu erreichen, die aus Perfektion besteht. Ich, der in der Gesellschaft als „unperfekter Mensch“ angesehen wird, sehe mich wie geschaffen dafür gegen das Klischee anzugehen. Basketball ist meine Leidenschaft. Der Sport holte mich damals aus dem tiefen Loch meiner Depression.
Worin siehst du deine persönliche Mission?
Ich möchte Menschen mit Handicaps zeigen, dass man sich nicht verstecken muss. Ich erwarte nicht, dass diese sich plötzlich ins Fernsehen trauen oder modeln. Ich denke eher, dass Menschen mit Behinderungen durch meine Arbeit immer mehr der „Normalität“ angehören. Wodurch sich viele mehr hinaus in die Gesellschaft wagen. Leider gibt es immer noch zu viele, die sich abschotten und das nur auf Grund der Tatsache, dass sie anders sind.
Als bestes Beispiel erzähl ich euch Folgendes: Ich habe mal eine Zeit lang in einer Serie bei rtl2 mitgespielt (Berlin Tag und Nacht). Da kam ein junger Mann auf mich zu und bedankte sich bei mir. Dafür, dass ich in der Serie mitspiele, die die Mitschüler und Freunde seines behinderten Bruders sehr mögen. Es habe ihm viel Selbstbewusstsein verschafft und er werde nun ganz anders angesehen und akzeptiert. Wie schade ist es, dass erst das Fernsehen diese Einsicht bringt?
Andererseits freut es mich, denn es ist eine schöne Erkenntnis zu sehen, was die reine Medien-Präsenz eines Menschen mit Behinderung erreichen kann.
Was müsste sich deiner Meinung nach für Menschen mit Behinderungen ändern?
Es sollte nicht immer nur darüber geredet werden. Inklusion ist reine Theorie, keine Praxis. Es muss mehr umgesetzt werden. Ich hasse das Wort Inklusion. Es ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, dass wir Synonyme für die Menschlichkeit erfinden müssen.
Es kann nicht sein, dass vor vierzig Jahren der erste Mensch den Mond betrat, ich aber in die Sparkasse gegenüber nicht rein komme.
Wenn du dir etwas wünschen könntest, was wäre das?
Dass mein Treppenlift mal schneller als gefühlte 0,2 km/h fahren würde. Da vergeht viel Lebenszeit in dem Teil. (lacht)
Credits
Text: Neslihan Aydin
Fotos: Volker Minkus