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Musik & Tanz

Zwischen Ostfriesland und Anatolien

Wie zwei norddeutsche Brüder zu Bağlama-Virtuosen wurden

Zwei Brüder mit ostfriesischen Wurzeln, aufgewachsen in Osnabrück, verlieben sich in ihrer Jugend in die türkische Volksmusik – mit Mitte dreißig gehören sie zu den festen Größen der türkischen Musikszene in Deutschland. Nilgün, Malte und Benjamin Stück spielten bisher als „Talipler“ zu dritt oder mit weiteren türkischen Musikern Konzerte in Deutschland, Europa und der Türkei. Der Name ist eine Hommage an ihren Lehrer Talip Özkan– „Talipler“ bedeutet „Die Schüler“. Wie Benjamin und Malte quer durch Anatolien reisten, Malte seine spätere Frau Nilgün Aksoy kennenlernte und die drei zu den fleißigsten Schüler*innen des Großmeisters Talip Özkan wurden, erzählen sie uns beim Klönschnack a.k.a. Sohbet (auf deutsch:“Gespräch unter Freunden“) in Benjamins Wohnzimmer in Hamburg-Altona.

Ein alter Kauz mit einer Cura in der Alditüte

Warum spielt ihr Bağlama und nicht etwa Klavier oder E-Gitarre?

Malte: Unsere Eltern waren Musiker, es gab zuhause ein Klavier. Mit sieben wurde ich zum Klavierunterricht geschickt, hatte aber keine Lust auf Notenlernen. Stattdessen habe ich mit dem Schlagzeugspielen angefangen.

Benjamin: Ab und zu waren wir mit unseren Eltern auf Weltmusik-Festen in Osnabrück. Es gab beispielsweise griechische und türkische Musik oder kurdische Newroz-Feiern. Wir kamen also sehr früh schon mit Klängen aus Anatolien in Berührung, das hat eindeutig Spuren hinterlassen.

Nilgün: Ich habe in Istanbul gelebt bis ich 17 war. Dann zogen wir nach Holland und erst dort habe ich mit dem Bağlamaspielen und dem Singen angefangen. Ich wurde an der Universität in Rotterdam für das Programm für türkische Musik angenommen. Dort habe ich dann Malte und Benjamin kennengelernt. Die beiden waren auch nach Rotterdam gekommen, um bei Talip Özkan, einem der bekanntesten Bağlama-Virtuosen, Bağlama zu studieren.

M: Zu dem Zeitpunkt hatten wir uns schon länger mit türkischer Musik beschäftigt. Aber die Anfänge gehen viel weiter zurück. Es gab bei uns in Osnabrück so einen alten Kauz, der immer eine Cura [eine Art kleine Bağlama] in seiner Alditüte mit sich herumtrug und auf der Straße spielte. Wir sahen ihn andauernd und wunderten uns über das Instrument. Da wurde ich zum ersten Mal auf die Eigenarten der Bağlama im Gegensatz zu den mir bekannten Instrumenten aufmerksam. Ich war fasziniert, aber aus irgendeinem Grund hielt ich mich noch zurück.

B: Irgendwann haben wir eine griechische Familie kennengelernt, die besaßen zahllose Kassetten mit türkischer Musik. So sind wir auf den Geschmack gekommen und haben immer mehr Kassetten mit Musik aus der Türkei gehortet. Die gab es damals bei den türkischen Gemüseläden, – mit einer besonders großen Auswahl von Ibrahim Tatlıses. An Weihnachten ´93 hat mir meine Mutter dann tatsächlich eine Bağlama und eine CD von Talip Özkan geschenkt.

Talip Özkan hat euch also seitdem inspiriert?

B: Ja, wir haben uns die CD andauernd angehört und gemerkt, was mit der Bağlama alles möglich ist. Sie hing in unserem Kinderzimmer und so fing Malte eines Tages auch an, darauf zu spielen.

M: Zuerst habe ich aber versucht Zurna zu spielen. [lacht – Zurna ist die extrem laute Trichteroboe, die auf türkischen Hochzeiten gespielt wird, A.d.R.] So wirklich glücklich wurde ich damit aber nicht und deshalb habe ich es recht schnell wieder sein lassen. Nachdem ich dann ein wenig Darbuka (kleine Trommel, A.d.R.) gespielt hatte, habe ich ebenfalls mit der Bağlama angefangen. Kurz danach habe ich mir eine Cura besorgt.

Mit der Bağlama durch das bergige Anatolien

Wie ging es dann weiter?

M: Unseren wichtigsten Lehrer, Talip Özkan, in dessen Tradition wir uns sehen, sollten wir erst Jahre später in Rotterdam kennenlernen. 1996 zogen wir erst einmal nach Hamburg, wo man damals oft Konzerte von türkischen Größen wie Arif Sağ besuchen konnte. So etwas ist heute seltener, finde ich. Diese wurden meist von alevitischen Kulturvereinen organisiert. Bei ihnen fragten wir an, ob man dort auch Bağlama-Unterricht nehmen könnte. Sie riefen uns dann zu ihren Treffen, wo wir unter anderen Aşır Özerk kennenlernten, einen der größten Bağlama-Spieler in Deutschland.

B: Dort waren wir echte Exoten – vor allem damals, in den 90ern! Wir waren wohl die einzigen Deutschen, die Bağlama spielten. Das gibt´s doch gar nicht! sagten die Leute mit offenen Mündern [lacht]. Ein Deutscher, der Uzun Hava [eine traditionelle Art Klagelied, A.d.R.] spielt?! Solche Sprüche mussten wir uns oft anhören.

Das waren sehr ergreifende Momente mit den ganzen Bağlama-Spielern und Sängern in Sivas in den Teestuben zusammen zu sitzen.

Wart ihr zu der Zeit auch einmal länger in der Türkei unterwegs?

M: 1995 waren wir das erste Mal mit unseren Eltern in der Türkei. Wir fuhren zum Beispiel nach Sivas und besuchten dort die Aşıklar Derneği [„Bardenvereine“]. Wir wussten zuerst gar nicht, wofür die verschiedenen Vereine stehen. Das waren sehr ergreifende Momente, mit den ganzen Bağlama-Spielern und Sängern in diesen Teestuben zusammen zu sitzen. Da waren sehr gute Leute dabei, die noch immer in der Aşık-Tradition standen und spontan Lieder dichteten. Diese Reise war für uns ein Schlüsselerlebnis. Zwei Jahre später machten wir die Reise erneut, diesmal alleine.

B: Mit der Bağlama im Gepäck durch Anatolien – das war ein echter Abenteuerurlaub. Ich weiß noch, einmal, da hingen wir drei Tage lang in irgendwelchen Bergdörfern in Kars fest, weil ein Einheimischer uns eingeladen hatte, aber nicht mehr gehen ließ! Wir haben mehrmals versucht aufzubrechen, schafften es aber nicht „Nein, danke“ zu sagen. Wir waren diese Kultur der Gastfreundschaft nicht gewohnt und ließen uns dauernd einlullen.

M: Inspiriert von diesen Erlebnissen habe ich angefangen, Turkologie in Hamburg zu studieren. Dabei wollte ich gar kein Turkologe oder so etwas werden. Meine eigentliche Leidenschaft war die Musik. Wir sind dann schließlich im Jahre 2002 nach Rotterdam gegangen um bei Talip Özkan Bağlama-Spielen zu lernen, bevor ich überhaupt einen Abschluss hätte machen können.

Ein Meister und Exzentriker

Und das ist der Ort, an dem ihr drei euch schließlich kennengelernt habt?

N: Ja genau. Leider wurde das Programm für türkische Musik in Rotterdam eingestellt. Ich wollte eigentlich in die Türkei gehen und dort Musik studieren, aber zwischen mir und Malte hatte sich schon eine Beziehung entwickelt. Ich ging dann nach Paris, wohin die beiden Talip Özkan schon früher gefolgt waren. Dort lebten wir drei dann wie traditionelle Schüler in der Türkei: Wir verbrachten jede Minute mit Talip, wir halfen ihm beim Kochen, beim Aufräumen. Wir drei lebten in einer winzigen Wohnung. Aber es war all die Mühe wert, denn von einem echten Meister zu lernen, ist ein großes Glück. Malte und Benjamin haben von ihm Bağlama spielen gelernt, ich vor allem das Singen. In beidem hat Talip einen eigenen, unverkennbaren Stil.

Wir drei lebten in einer winzigen Wohnung. Aber es war all die Mühe wert, denn von einem echten Meister zu lernen, ist ein großes Glück.

B: Jetzt sehe ich das alles natürlich anders, mit Abstand. Aber damals war diese Zeit manchmal echt schwer für mich. Ich hatte das Gefühl Talip nahm mich weniger ernst als Malte. Vielleicht, weil ich der jüngere bin, aber ganz sicher, weil ich zuvor Bağlamaunterricht von einem Griechen genommen hatte – das fand er gar nicht lustig. Das hatte ihm ein anderer Dozent in Rotterdam erzählt, ohne zu wissen, was das anrichten würde! Ich finde, er war schon ein Exzentriker. Er hat jedenfalls fast nur mit Malte geredet und auch fast nur Malte vorspielen lassen, mich dafür öfter Einkaufen geschickt – vor allem Whisky und Zigaretten [lacht]. Ich habe die Zähne zusammengebissen, weil ich wusste, dass ich von ihm viel lernen würde. Fünf harte Jahre.. Aber es hat sich gelohnt!

M: Wir konnten in der ganzen Zeit nie abschätzen wie lange wir noch bleiben. Deshalb haben wir jahrelang zu dritt in einem kleinen Zimmer gelebt und besaßen nur unsere Betten und Kartons für die Klamotten. Die anderen Schüler wunderten sich alle, wie wir es dort länger als drei Monate aushielten [lacht].

B: Ja, Talip hat im Laufe der Zeit viele Schüler rausgeworfen – und noch mehr sind eigenständig gegangen, weil sie sagten: Ich halt das hier nicht mehr aus!

N: Es war nicht einfach, aber schließlich blieben wir an seiner Seite, um das Musikmachen zu lernen.

Fünf Jahre ist eine lange Zeit… Habt ihr am Ende gesagt “Jetzt reicht´s“?

B: Nein, das letzte Jahr haben wir ihm eigentlich nur noch geholfen beim Einkaufen, Aufräumen, Umziehen und kaum noch musiziert. Wir haben ihm dann möglichst milde beigebracht, dass wir wieder nach Deutschland gehen. Wir zogen 2007 nach Hamburg, wo wir dann im folgenden Jahr unsere eigene Schule eröffneten.

Unsere Schüler sind fast ausschließlich Türken und Kurden. Sie sind schon recht erstaunt, wenn sie uns das erste mal sehen.

Und wie sind die Reaktionen eurer Schüler? Finden sie witzig, dass ihr so waschechte Norddeutsche seid?

B: Unsere Schüler sind fast alle Türken und Kurden. Sie sind schon recht erstaunt, wenn sie uns das erste mal sehen. [lacht] Am Telefon wird das anscheinend oft nicht klar, egal ob wir Deutsch oder Türkisch reden.

M: Viele akzeptieren es auch einfach und gehen gar nicht darauf ein, sondern möchten bei uns nur so gut wie möglich Bağlama spielen lernen. Wir sind mittlerweile ein Teil der Musik-Community und die ist heutzutage ja sowieso gemischter, als sie es ein mal war.

Und jetzt, nach diesem streckenweise beschwerlichen Weg, seid ihr zufrieden mit euer musikalischen Laufbahn?

B: Seit unserer ersten Begegnung mit Musik aus der Türkei haben uns diese Klänge nicht mehr losgelassen. Wir wollten immer mehr lernen, immer tiefer zu den Wurzeln dieser Musik vordringen. Das haben wir getan, und nun wollen wir dieses Erbe weitergeben. Unser Ziel war deshalb immer, die türkische Musik an Menschen heranzutragen, die nicht aus diesem Kulturkreis kommen. Bisher sind wir damit leider nicht so erfolgreich gewesen, wie wir es gerne hätten. Wir suchen nach wie vor nach Konzepten, die diese Musik auch für Deutsche interessant und zugänglich machen. Das könnte Musik für ein gemischtes Ensemble mit anatolischen und europäischen Instrumenten sein, oder türkische Musik mit deutschen Texten. Malte ist auch schon dabei, neue Stücke zu komponieren. Also, da liegt noch einiges vor uns!

Demnächst erscheint ihr aktuelles Album unter ihrem neuen Namen „Pinhan“ bei Seyir Musique in Brüssel.

Ihr findet ihre Musik auch hier: Facebook, Youtube.

Credits
Text: Tayfun Guttstadt
Fotos: Karsten Helmholz

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