Im Film werden Klischees oft als „Hilfsmittel“ benutzt, um den Betrachter leichter in die entsprechende Geschichte einzuführen. Italiener sind Mafia-Bosse, die wie wilde Hühner mit den Händen fuchteln, Afrikaner sind Kleinkriminelle, die Gras um die Ecke verticken, Russen haben rote Wodkanasen und die türkische Frau trägt ein Kopftuch und spricht kein Deutsch.
Trotzdem: deutsches Kino macht sich!
Es gibt immer mehr Filme mit Multikulti-Kontext, bei denen die Geschichte im Vordergrund steht und man genau auf diese Stereotypen verzichtet. Dennoch habe ich das Gefühl, dass es sehr lange dauern wird, bis es im Mainstream so richtig angekommen ist. Deshalb habe ich mich mit der Schauspielerin Şiir Eloğlu getroffen und mit ihr über genau diese Problematik und ihre Erfahrung als deutsch-türkische Schauspielerin in Deutschland gesprochen.
Şiir hat ihren wunderschönen Namen von ihrem Vater bekommen. Auf Deutsch bedeutet er „GEDICHT“. Die in Istanbul geborene Schauspielerin ist in Köln aufgewachsen und lebt zurzeit in Berlin. Neben ihrer Rolle in dem erfolgreichen Kinofilm „Almanya – Willkommen in Deutschland“ unter der Regie von Yasemin Şamdereli, hatte sie unzählige Auftritte in Filmen und Fernsehserien wie „Evet, ich will“, „Happy Birthday, Türke“, „Tatort“, „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Der Durchbruch gelang ihr 1993 mit der TV-Serie „Stadtklinik“ in der Rolle einer Ärztin.
Hallo Şiir, deine letzte Rolle hattest du vor gar nicht allzu langer Zeit im Film „Hans mit scharfer Soße“ von Buket Alakuş, der auf dem Filmfest in Hamburg präsentiert wurde. Erzähl uns doch bitte etwas zu deiner Rolle und den Dreharbeiten am Set!
Der Film handelt von einer 34-jährigen Journalistin namens Hatice (gespielt von Idil Üner), die aus einer traditionellen aber nicht religiösen Familie kommt und noch Single ist. Der Vater der Familie wurde gespielt von Andan Maral, einem Kollegen, mit dem ich vorher schon einmal einen Kinofilm gedreht habe. Meine Rolle war die der Mutter, der Dame des Hauses. Am Set war meistens eine super Stimmung. Wir waren ja alles Türken und zur Abwechslung auch mal „originale“ Türken. Buket hat sich bewusst dafür entschieden, weil dadurch definitiv eine andere Energie entsteht, wenn Türken von Türken erzählen beziehungsweise gespielt werden. Es war wie ein kleiner Familienblues, der da entstanden ist. In einer Situation beispielsweise mussten wir warten, weil die Technik noch nicht so weit war. Irgendwann fing Idil an, ein türkisches Lied zu singen und das Ende war, dass wir ungefähr 20 Minuten mit dem ganzen Team getanzt und gesungen haben. Die Deutschen hatten wir dann auch infiziert. Wir hatten während der Dreharbeiten einen Riesenspaß und ich glaube das spürt man auch im Film.
Der gleichnamige Bestseller von Hatice Akyün war die Vorlage für das Drehbuch. Wie, glaubst du, wird der Film beim Publikum ankommen?
Ich glaube schon, dass Deutschland lieber Komödien mit türkischem Personal sieht, statt Tragödien. Auch wenn die Vergangenheit gezeigt hat das auch Tragödien erfolgreich laufen, habe ich das Gefühl, das wenn man eine türkische Familie mit ihrer Wärme und ihrer Herzlichkeit zeigt – wie bei „Almanya“, dass das eben einen großen Eindruck hinterlässt und am liebsten gesehen wird.
In Hamburg bei der Premiere kam der Film sehr gut an und lief mit großem Erfolg.
Was war die schönste und schrecklichste Erfahrung, die du bis jetzt am Set oder generell als Schauspielerin gemacht hast?
Ich finde es sehr schwierig, die schönste Erfahrung zu benennen, weil es mehrere sehr schöne Momente gab. Bei „Hans mit scharfer Soße“ war es wirklich wunderbar.
Vor fünf Jahren habe ich im Film „180°“ von Cihan Inan gespielt, einem Regisseur der aus dem Theater kommt. Es war eine extrem intensive Zusammenarbeit, woraus später eine Freundschaft entstanden ist. So etwas kommt auch nicht alle Tage vor. Es ist toll, wenn sich mit kreativen Kollegen eine Kontinuität ergibt.
Die schlimmsten Erfahrungen die ich gemacht habe, liegen zum Glück lange zurück. Sie handelte von einem türkischen Ehepaar mit einem kranken Kind und war für eine Arztserie gedacht.
Ich hatte die Rolle der Mutter angeboten bekommen, eine Rolle wie sie mir zu 95% angeboten wird. Am Set wurden wir von der Kostümbildnerin in unmögliche Klamotten gesteckt. Ich bekam einen lachsfarbenen Hosenanzug, der mir viel zu groß war und in dem man von meinem Körper quasi nichts gesehen hat. Dazu ein farblich unpassendes Kopftuch. Bei meinem männlichen Kollegen war es nicht besser, er sah aus wie ein Papagei. Na ja, am Set dann, als wir die Rolle spielen sollten, haben wir natürlich ganz normal Hochdeutsch gesprochen, weil auch im Drehbuch nichts zur Aussprache stand. Der Regisseur kam daraufhin zu uns und meinte, wir müssten ja schon ein wenig das Türkenklischee bedienen. Da habe ich kurz an mir runtergeschaut und ihn gefragt ob mein Outfit denn nicht ausreichen würde. Dann mussten wir wieder „gebrochen“ deutsch sprechen. Das Problem dabei ist, dass das bei mir dann sehr komisch wirkt. Bei „Hans mit scharfer Soße“ war das super, weil es eine Komödie ist und dadurch leicht karikaturistische Züge bekommt. Aber das hier war ein ernstes Thema. Ich spreche nun mal, wie ich spreche und wenn man will, dass ich kein gutes Deutsch spreche, muss ich das üben, bzw. sollte es im Vorfeld kommuniziert werden. Ich habe nichts gegen Rollen mit Kopftuch bzw. Figuren mit türkischem Akzent, aber ich möchte das erklärt bekommen, weil die Gründe dafür vielfältig sein können. Doch wenn es keinen nachvollziehbaren Grund gibt, spreche ich Hochdeutsch. Nach dieser Erfahrung habe ich mir geschworen nicht mehr in diese Klischeefalle zu tappen.
Dein Vater Metin Eloğlu war Maler und Lyriker in Istanbul. Inwieweit hat er dein Leben oder deine Laufbahn als Schauspielerin beeinflusst oder inspiriert?
Meine Eltern haben sich früh getrennt. Ich war 4 Jahre alt, als ich mit meiner Mutter nach Deutschland kam. Ich wusste immer, dass mein Vater Künstler war. Leider ist er drei Jahre, nachdem ich mein Schauspielstudium begonnnen und mich intensiver mit ihm beschäftigt habe, gestorben.
Später habe ich durch seine Biographie erfahren, dass er eigentlich auch Schauspieler werden wollte. Das war für mich eine ganz neue Erkenntnis. Selbst meine Mutter wusste nichts davon. Ich fand es sehr bezeichnend für ihn, dass er so etwas Fremden erzählt hat, aber nicht seinen eigenen Nächsten, nämlich uns. Er war ein großer Individualist, der mit jeglicher Form von Obrigkeit Probleme hatte. Einige seiner Werke hatte er unter verschiedenen Pseudonymen veröffentlicht, aber immer mit den gleichen Buchstaben seines Namens, nur anders kombiniert.
Man kann schon sagen, dass er ein „Crazy-Typ“ war. Fast 30 Jahre nach seinem Tod wurde seine Arbeit in Deutschland veröffentlicht. Das ist der Verdienst der beiden Mädels vom Binooki Verlag (Anm. der Redaktion: Gemeint sind Inci Bürhaniye und Selma Wels, Geschäftsführerinnen von Binooki, einem Berliner Verlag der türkische Literatur in deutscher Sprache verlegt).
Ich kann mir nicht erklären warum so viele südamerikanische Schriftsteller rauf und runter übersetzt werden, aber die Literatur der Türken vor deiner Nase, also die deiner unmittelbaren Nachbarn eben nicht. Interessanterweise sagten mir die Mädels, dass die türkischen Verleger sich wundern, warum in Deutschland noch immer so wenig Interesse an der türkischen Literatur herrscht. In China beispielsweise sei das Interesse an türkischer Literatur sehr hoch. Vielleicht hat das auch ein wenig mit dem vorherrschenden Bild in Deutschland von der türkischen Kultur zu tun.
Deiner Filmographie kann man entnehmen, dass du sehr unterschiedliche Rollen spielst. Wie wichtig ist dir die Abwechslung?
Das ist mir natürlich sehr wichtig. Man wird ja keine Schauspielerin, um dann nur eine bestimmte Rolle zu spielen. Zumindest für mich wäre das uninteressant. Ich finde schon, dass es bei mir eine Beschränkung auf türkische Figuren gibt. Das liegt zum einen an meinem Namen, zum anderen aber auch an der Phantasielosigkeit von vielen die mich besetzen. Seitdem ich etwas älter bin, merke ich, wie sich die Vielfalt der Rollen reduziert. Ich bin jetzt in einem „Mutter-Rollen“-Alter, wo ich überhaupt nichts dagegen habe. Doch das Rollenbild dieser Figur wird noch immer oft altmodisch behandelt.
Nicht nur sprachlich oder vom Kostüm her, sondern auch wie die Rollen angelegt sind. Die Frauen sind ein bisschen in der zweiten Reihe, hinter dem Mann. So etwas mag ja existieren, ich weiß aber nicht, wieso man das immer wieder erzählen muss. Für mich tauchen einfach zu wenig andere türkischen Rollen auf. Mir fehlt ganz einfach die Viefalt vom türkischen Leben im Alltag. Es gibt natürlich Ausnahmen, speziell bei den neueren Filmemachern und denen, die die Bücher schreiben. Einige haben schon das Bewusstsein, dass der Türke nicht immer der Depp aus Anatolien ist. Aber es ist noch ein langer Ritt nach Laramie, bis das am Ende der Kette nämlich bei den Entscheidern angekommen ist. Mir zeigen Erfolge wie „Die Fremde“, dass solche Themen immer noch sehr gerne genommen werden. Die unterdrückte Türkin, die sich von den Fesseln der Religion und Konventionen befreien muss. Sorry, aber ich kenne sehr viele andere. Natürlich gibt es die, ich will das überhaupt nicht in Frage stellen. Nur, wenn man einen Film macht über eine Minderheit dieses Landes, dann kann ganz leicht der Eindruck entstehen, dass das, was im Film behandelt wird auch das Normale in dieser Minderheit ist. Dem ist aber nicht so. Deswegen fand ich, war „Almanya“ ein wirklich schöner Film, weil er eine normale Familie gezeigt hat und erfolgreich wurde. Obwohl im Hauptcast kein einziger „Star“ in dem Film war. So viel zur Besetzungspolitik der Sender und Produktionen! Die sind der Meinung, man braucht Namen. Nein! Für meinen Geschmack brauchen wir einfach mehr fesselnde Geschichten und spannende Darsteller. Sonst brauchen wir gar nichts.
Welchen Beruf hättest du heute, wenn du keine Schauspielerin geworden wärst?
Ohhh, vielleicht Köchin?! Ich koche sehr gerne. Allerdings wäre es mir aber doch zu sehr im Verborgenen. Ich bin jemand der gerne gesehen werden will. Was ich schade an der Schauspielerei finde, ist, dass dein Einsatzgebiet durch die Sprache geographisch auf ein paar wenige Länder begrenzt ist. Trotzdem bin ich sehr glücklich und zufrieden, wie es ist.
Mit was kann man dich so richtig sauer machen?
Privat, also mich persönlich als Mensch, kann man so richtig sauer machen mit Lügereien. Wenn diese dann auch noch auffliegen, ist das ganz schlecht. Was auch gar nicht geht, ist wenn ich das Gefühl habe, mein Gegenüber nimmt mich nicht ernst, und ganz schlimm wird es, wenn man mich unterschätzt. Beruflich kann man mich sauer machen, wenn man mir als Türkin versucht zu erklären wie Türken sind. Man hat mir nicht zu erklären wie Türken sind, wie sie miteinander umgehen, wie sie sprechen und was sie anhaben. Ich finde es anmaßend von einer Kostümbildnerin, mir einen Kopftuch hin zu halten und zu sagen: „Du weißt ja, wie man das bindet!“. Sowas geht nicht. Das ist ihr Job und nicht meiner. Es ist für manche beängstigend, dass türkische Schauspieler sich in zwei Kulturen auskennen. Es werden ja auch deutsche Schauspieler für eine türkische Rolle besetzt. Meiner Meinung nach funktioniert so etwas sehr selten. Beispielsweise wenn eine Mutter mit Mittel- und Zeigefinger in die Wange ihres Kindes kneift; solche Details sind sehr wichtig. Das macht keine deutsche Mutter, denn die nimmt den Daumen und den Zeigefinder. Ein kleines, aber feines Detail. Es gibt aber bestimmte Gesten, die man sich einfach vorher aneignen sollte.
Wie kann man dich denn glücklich machen?
Man kann mich als Schauspielerin glücklich machen, indem man mir sehr komplexe Rollen gibt, völlig unabhängig davon, wo sie herkommen. Vor allem, wenn man mir auch welche zutraut, auf die man nicht sofort kommen würde, nachdem man sich anschaut, was ich bis jetzt gespielt habe. Ich möchte als Schauspielerin mit meinen Fähigkeiten ernst genommen werden.Weil ich eben nicht nur die türkische sondern auch die deutsche Mutter spielen kann.
Welcher Film ist dein persönlicher Lieblingsfilm?
Da gibt es einige. Einer davon ist „Die Brücken am Fluss“ mit Clint Eastwood und Meryl Streep. Wenn man den Film im Original sieht, ist das noch mal eine ganz andere Welt. Meryl Streep spielt darin eine Italienerin.
Es ist eine absolute Frechheit, dass sie in der deutschen Übersetzung perfektes Hochdeutsch spricht. Das von Meryl Streep künstlerisch Erarbeitete, die Grammatikfehler, die Aussprache, all das wird dadurch eliminiert. Es ist eine Respektlosigkeit gegenüber ihrer Arbeit als Schauspielerin.
Gibt es deiner Meinung nach etwas, was die Film- und Fernsehlandschaft im Bezug auf den Multikulti-Kontext noch lernen sollte?
Lernen hat immer so einen pädagogischen Tonfall, vom dem ich mich gerne distanziere. Ich glaube aber schon, dass die Multikulti-Realität in Deutschland eine andere ist, als die die uns hauptsächlich im Fernsehen, aber manchmal auch im Film mitgeteilt wird. Es ist eben nicht so, dass Deutsche nur deutsche Freunde haben, oder in einem Krankenhaus nur Deutsche arbeiten. Im „echten“ Leben arbeiten Deutsche mit Asiaten, Afrikanern und Osteuropäern zusammen. Doch in einer Arztserie existiert so etwas nicht. Wenn man jedoch versucht, das Multikulturelle „krampfhaft“ herbeizurufen, kann es auch schnell in die Hose gehen. Bis Gülcan kam – ganz egal, wie ich sie finde- bis dahin waren Minderheiten mit wesentlich weniger Personen aus der Gesellschaft im Fernsehen präsent. Man versucht Amerika zu imitieren, aber wir sind nun mal nicht in Amerika. Hier ist nicht die größte Minderheit schwarz oder asiatisch. Hier ist die größte Minderheit orientalisch, griechisch, italienisch, osteuropäisch. Ich begreife das nicht. Ich habe nichts gegen die Moderatoren, gegen keinen, nicht dass wir uns da falsch verstehen. Es ist nur furchtbar, dass die Herkunft von bestimmten Personen immer funktionalisiert wird, und zwar immer nur auf die eine bestimmte Art und Weise. Millionen Menschen und ihre Meinung werden bei der Quotenberechnung nicht berücksichtigt, weil sie keinen EU-Pass haben. Solange sich da nichts ändert, wird sich dahingehend nicht viel tun. Der Blick für die Realität müsste einfach noch einmal geschärft werden und das fängt bei jedem selber an. Zur Abwechslung ganz einfach mal mit offenen Augen nach links und rechts schauen und sehen wie es wirklich ist.
Credits:
Text: Roma Hering
Fotos: Melisa Karakus