Serhat Işık – Wenn Mode Sinn macht

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In einem schmalen Hinterhof in Berlin-Prenzlauer Berg befindet sich das Studio von Serhat Işık. Kurz nachdem wir klingeln, macht uns der junge Designer die Tür auf: Er trägt ein weißes T-Shirt, eine dunkle Jogginghose und Sportschuhe. In seinen bisherigen Kollektionen äußert der Jungdesigner starke Gesellschaftskritik und will Bewusstsein schaffen. In seinem hellen Studio, in dem ein massiver Arbeitstisch und mehrere Nähmaschinen stehen, erzählt Serhat Işık uns von seiner Mode, seinen Inspirationsquellen und von seiner neuen Kollektion, die im Herbst 2015 erscheinen wird.

Du bist vor 4 Jahren nach Berlin gezogen und hast dein Label Serhat Isık gegründet. Kannst du uns ein wenig davon erzählen?

Nach meinem Abschluß wollte ich sofort nach Berlin. Ich wollte unbedingt für BLESS arbeiten – und so ist es auch gekommen. Nach zwei Jahren dort habe ich mich dann mit meinem Kollegen Bart selbstständig gemacht. Meine erste Kollektion, die ich in Berlin für Serhat Işık entwarf, war Balıkesir.

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Modeskizzen zu der ersten Kollektion „Balıkesir“ von Serhat Işık
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Kommst du aus Balıkesir?

Mein Vater kommt ursprünglich von dort, ich selbst war vor vielen Jahren einmal da und danach nie wieder. Ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen. Mit achtzehn ging es nach Bielefeld, dort entschied ich dann auch, Mode zu studieren.

ready-to-wear

Warum hast du deine Kollektion nach der Heimatstadt deiner Eltern benannt?

Der Auslöser hierfür war mein Umzug nach Berlin und die Phase, die ich durchmachte: Zum ersten Mal in meinem Leben begann ich mich türkisch zu fühlen. Ich will damit nicht sagen, dass ich mich vorher nie für das Türkischsein interessiert hätte, aber mir war es vor Berlin irgendwie wichtig, angepasst zu sein und nicht als Türke aufzufallen. Dann zog ich in den Wedding, eine Türkenhochburg. Sofort faszinierte mich das Straßenbild: überall Gruppen von prolligen Typen in Bomberjacken. Das Ganze wollte ich auf ein ready-to-wear Niveau bringen und begann an der Kollektion zu arbeiten. Während meiner Recherche stieß ich auf ein Foto aus Brooklyn, auf dem ein kleines Mädchen zu sehen war: Sie trug einen blauen Pulli mit weißer Aufschrift „BALIKESIR“ – sofort wusste ich, dass das der Name der Kollektion werden würde.

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Was hat dich am Look im Wedding so beeindruckt, dass du ihm eine ganze Kollektion gewidmet hast?

Im Wedding ist alles egal und jeder kann so sein, wie er will. Es gibt keinen vorgeschriebenen dresscode. Der Look auf der Straße ist authentisch und wirkt mühelos. Ich wollte genau dieser Zwanglosigkeit mehr Beachtung schenken. Alle Stücke sind hochwertig verarbeitet und funktionieren in anderen Zusammenhängen auch ganz anders und sind nicht mehr mit dem prolligen streetstyle assoziierbar. Genau das macht die Kollektion so spannend.

I Don’t Have Any Weapons

In deiner neusten Kollektion I Don’t Have Any Weapons bringst du ein weiteres kontroverses Thema auf den Laufsteg: diesmal geht es um die Dämonisierung des Islams im westlichen Diskurs nach 9/11. Was genau meinst du mit Dämonisierung und was wolltest du damit erreichen?

Als die neueste Kollektion entstand, waren die IS-Ereignisse in den internationalen Medien sehr präsent. Zeitgleich fiel mir auf, dass viele Menschen in meinem Umfeld aufgrund ihrer äußeren Erscheinung nicht als Individuen wahrgenommen wurden. Frauen mit Kopftuch oder Männer in langen Gewändern werden öfters in Bus und Bahn angestarrt. Mit dieser Ablehnung wollte ich spielen, denn ich beobachtete, dass Kleinigkeiten dazu führen, dass Menschen missbilligend angeschaut oder ausgeschlossen werden.

Ich fragte mich: Was passiert, wenn jemand einen Kaftan trägt? Kann ich den Kaftan normalisieren? Wird ein langes T-Shirt gleich als Kaftan wahrgenommen? Warum tragen wir Kargo-Hosen, die aus dem Militärbereich kommen einfach so, aber lehnen lange Gewänder ab? Was passiert, wenn man Kaftane entwirft, die plötzlich modern und westlich anmuten? Das waren Fragen, die mich beschäftigten und antrieben, mich in dieser Kollektion damit auseinanderzusetzen.

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„Mir geht es darum mit Symbolen zu spielen, damit am Ende Gut und Böse nicht mehr klar einzuordnen sind.“

In deiner Kollektion, die im Herbst 2015 rauskommen soll, gibt es aber nicht nur „islamische Kleidungsstücke“, sondern auch Nadelstreifenanzüge. Wie passt das zusammen?

Ich wollte auch die andere Seite der Politik zeigen. Die Dämonisierung des Islams findet nicht von selbst statt. Deswegen wollte ich unbedingt auch klassische Stücke wie Nadelstreifenanzüge in der Kollektion haben. Also etwas, das man mit westlichen Werten verbindet. Mir ging es auch hier darum, mit Symbolen zu spielen, damit am Ende Gut und Böse nicht mehr klar einzuordnen sind. Ich kombinierte also die Anzüge mit vielen kleinen Taschen, die aus dem Militärbereich inspiriert sind. Taschen spielen in dieser Kollektion eine sehr wichtige Rolle und haben eine unglaubliche Kraft. Ohne sie hätte man zwar eine schöne und hochwertig verarbeitete Kollektion, aber es gäbe keine Aussagekraft. Mich fasziniert diese Tatsache an der Mode im Allgemeinen. Dass ein kleines Detail so viel Aussagekraft haben kann.

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Wie waren die Reaktionen auf deine Kollektion und wie bist du damit umgegangen?

Ich musste die Kollektion vehement an der Universität verteidigen, denn sie war gleichzeitig auch meine Master-Abschlusskollektion an der Kunsthochschule Berlin Weißensee. Viele kritisierten, dass das Thema zu heikel sei. Für sie passten Krieg und Gewalt nicht in die Modewelt. Ich lasse mich aber durch Aktuelles inspirieren und solche Themen berühren mich einfach. Auch Dinge, die ich auf den Straßen Berlins sehe, inspirieren mich. Ich bin kein Designer, der in Farbmustern Inspiration findet, für mich muss eine Kollektion Substanz haben.

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Bei so viel Sinn und Gehalt – wer trägt Serhat Isık?

Wer Serhat Işık trägt, reflektiert was ich mache und versteht die Botschaft dahinter. Es ist aber auch jemand, der nachhaltig denkt und der gerne Stücke trägt, die unter guten Bedingungen produziert wurden.

Credits
Text: Gözde Böcü
Fotos: Michael Kuchinke-Hofer
Location: Serhat Işık Studio

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