Compton’s Cafeteria Riot ist ein Aufstand, der 1966 in Gene Compton’s Cafeteria stattgefunden hat und in allgemeine Vergessenheit geraten ist. Susan Stryker, Autorin, Filmemacherin, trans* Aktivistin, Professorin für Gender- und Frauenstudien sowie Direktorin des Instituts für LGBT-Studies an der University of Arizona, ist die erste, die sich diesem Ereignis öffentlichkeitswirksam angenommen hat. 1995 ist sie während einer Recherche im Archiv der Gay and Lesbian Historical Society auf die Zeitschrift Gay Pride gestoßen. In der Ausgabe vom 25. Juni 1972 hat sie einen Artikel entdeckt, der über einen Aufstand in Compton’s Cafeteria berichtet. Bis zu dem Zeitpunkt hat sie noch nie davon gehört – der Aufstand scheint also knapp 30 Jahre unbeachtet vergessen worden zu sein. Daraufhin beginnt sie zu recherchieren, Teilnehmende des Aufstands zu befragen und dieses wichtige Ereignis in der Geschichte der trans* Community aufzuarbeiten.
Austragungsort ist Gene Compton’s. Das Lokal befindet sich im Tenderloin, einem Stadtviertel San Franciscos, das von Armut, Obdachlosigkeit und Kriminalität geprägt war und ist.
„The Tenderloin was widely known as the place to go for sex, drugs and late night fun. While others came and went with relative ease, transgender people lacked the freedom to leave.“ – Susan Stryker im Dokumentarfilm Screaming Queens
Trans* Personen waren im Tenderloin zu Hause – sie lebten in den Hotels, arbeiteten in den Straßen und trafen sich in Bars und Lokalen wie dem Gene Compton’s. Das Compton’s bot Platz für 50 bis 60 Menschen, günstiges Essen und hatte vor allem, im Gegensatz zu den meisten anderen Geschäften, die ganze Nacht geöffnet. Dadurch war es der perfekte Treffpunkt und zugleich eine Art „safe space“ für all diejenigen, die nachts gearbeitet haben. „There were tables of drag queens, female impersonators, transgenders, hustlers, …“ erzählt Felicia Elizondo in „Screaming Queens: The Riot at Compton’s Cafeteria“, einer Dokumentation von Susan Stryker und Victor Silverman. Die meisten trans* Personen waren zu dieser Zeit Sexarbeiter*innen, weil sie schlichtweg keine anderen Jobs bekommen haben. Verstärkt wurde die Sexarbeit nicht zuletzt durch den Vietnam Krieg, der viele Soldaten nach San Francisco gebracht hat und, wie Stryker erklärt, „[w]artime is always a boom time for prostitution.“
Im Tenderloin wurde Sexarbeit eher geduldet als in anderen Teilen der Stadt. Dennoch gab es regelmäßig Polizeirazzien in Bars und Lokalen, vor allem in denjenigen, in denen sich die LGBTQ+- Community aufgehalten hat, und die sich zur Zeit des Vietnamkriegs vermehrt haben. Besonders betroffen waren die Queens, wie sie sich selbst nannten. Die Bezeichnung „Queens“ inkludiert sowohl Drag Queens als auch trans* Frauen, die für sich zu der Zeit noch keinen eigenen etablierten Begriff hatten. Amanda St. James erinnert sich, dass die Polizei oft ins Compton’s kam und sie während des Essens einfach verhaftet wurde. Der Grund: „female impersonation“, also das Spielen einer Frauenrolle durch einen Mann. Das war illegal, nur professionelle Auftritte, die beispielsweise im Kabarett der Unterhaltung dienten, bildeten eine Ausnahme. Trans* Frauen, deren Identität zu der Zeit noch nicht etabliert war, galten jedoch ebenfalls als „female impersonators“ und wurden aufgrund dessen verhaftet. Aufgrund ihrer bloßen Existenz. Sie hatten keine Chance, einen Job zu bekommen, eine Wohnung zu finden und starben oftmals früh – unter anderem aufgrund von Gewalt, allgemeiner prekärer Verhältnisse sowie erschwerter Zugänge zu medizinischer Versorgung.
Die meisten von ihnen haben ihr Geld mit Sexarbeit verdient. In filmischen Arbeiten wird das Narrativ der trans* Frau als Sexarbeiterin nicht selten aufgegriffen. GLAAD (Gay and Lesbian Alliance Against Defamation), eine Organisation, die Medien hinsichtlich der Repräsentation queerer und nicht-weißer Menschen analysiert, berichtet, dass der häufigste Beruf, der trans* Figuren zugeschrieben wird, der der Sexarbeiter*in ist, und fordert, diese Darstellungsformel zu vermeiden. Bei dieser Forderung geht es nicht darum, trans* Personen nie als Sexarbeiter*innen zu erzählen, sondern darum, wie die Figuren erzählt werden. Sexarbeit ist durchaus ein Teil der Lebensrealität. Sie kann zwar Folge von Marginalisierung und Ablehnung durch die Gesellschaft, aber auch Lösung derselben sein. Das Ziel sollte daher nicht sein, die von trans* Menschen erfahrene Armut und Ausgrenzung zu beschönigen oder sie als Opfer systemischer Gewalt darzustellen, sondern eine sensible, kontextabhängige Befragung vorzunehmen, historische Verbindungen mit einzubeziehen und die Zusammenhänge von race, class und gender zu beachten.
Um die Willkür der Polizeigewalt zu verdeutlichen, geht Tamara Ching, auch eine der Befragten in Strykers Dokumentation, auf konkrete Beispiele ein, die eine Verhaftung veranlasst haben:
„The police were very, very bad. You could be taken to jail at any time, at any second, for no reason at all. If we had lipstick on, or if our hair was too long we had to put it under a cap. If the buttons was on the wrong side like a blouse, they would take you to jail because they felt that it was female impersonation.“
Um dieser Kriminalisierung zu entgegnen, hat sich im Juli 1966 eine Widerstandsorganisation geformt: „Vanguard“. Die regelmäßigen Treffen der Organisation fanden im Compton’s statt. Die Geschäftsleitung wollte diese politische Aktivität einiger seiner Gäst*innen nicht dulden und hat begonnen, sowohl Mitglieder von Vanguard als auch einige Menschen, die sich mit Vanguard identifizieren konnten, nicht mehr zu empfangen. Infolgedessen hat die Organisation am 18. Juli eine Mahnwache organisiert und die Cafeteria besetzt. Die Aktion war erfolglos, aber trotzdem ist sie einer der ersten Beispiele für aktiven Widerstand aus der LGBTQ+-Community und hat die Grundlage für die nächste Aktion geschaffen.
Einige Wochen später im August rief ein*e Mitarbeiter*in des Compton’s die Polizei und eine der Queens sollte verhaftet werden. Das war die Nacht des Aufstands. Die Kämpfe begannen, fand Stryker in einem Dokument heraus, als ein Polizeibeamter eine der Queens packte und sie ihm daraufhin ihren Kaffee ins Gesicht schüttete. Die Situation ist so eskaliert, dass viele der Anwesenden ebenfalls anfingen, alles, was ihnen in die Finger kam, auf die Beamten zu schmeißen, sie zu treten und mit ihren Handtaschen zu schlagen. Wer die Person tatsächlich war, die den Kaffee geworfen und damit Compton’s Riot initiiert hat, ist bis heute allerdings unklar.
Quellen:
GLAAD: Where We Are on TV. 2015-16. 2015. URL: https://www.glaad.org/files/GLAAD-2015-WWAT.pdf
Rev, Nihils/Geist, Fiona M.: „Staging the Trans Sex Worker“. In: TSQ: Transgender
Studies Quuarterly. Vol. 4, No. 1. New York 2017. S. 112-127.
KQED Arts: Screaming Queens | KQED Truly CA. 2016. (OT: Screaming Queens: The
Riot at Compton’s Cafeteria. (Ersterscheinung: 18.06.2005) [YouTube] https://www.youtube.com/watch?v=G-WASW9dRBU.
Text: Isa Steglich