Am 6. Dezember ist es wieder soweit. Der Nikolaus kommt. Am Abend zuvor werden die Schuhe vor die Tür gestellt, damit er sie mit Süßigkeiten füllt. Der Nikolaustag steigert wie der Advent, die Vorfreude auf das Weihnachtsfest. Wie die anderen Kinder, wollte auch ich früher meinen Stiefel rausstellen, doch mein Vater war dagegen. Seiner Ansicht nach war das ein christlicher Brauch. Warum sollten wir, als muslimische Familie, dieser christlichen Tradition nachgehen?
Wenn man heute in die Großstädte der Türkei fährt, wird man durch die Fülle der Weihnachtsdekorationen erschlagen. Für die Türken ist es Silvesterschmuck. Denn Nikolaus bringt die Geschenke am Silvesterabend. Einige sind sogar der festen Überzeugung, Nikolaus sei ein Türke gewesen. Wir sind dem mal auf den Grund gegangen.
Der Bärtige in Rot
Nun gut, er trägt einen Bart wie die türkischen Hadschis, die von der Pilgerfahrt aus Mekka zurückkehren, und seine Kleidung ist rot wie die türkische Flagge. Neuerdings bringt er einigen türkischen Kindern sogar Geschenke an Silvester.
Auch wenn einige wenige Indizien dafür sprechen, Nikolaus war kein Türke. Der einzige Fakt, der mit der Türkei in Verbindung gebracht werden kann, ist sein Geburtsort Patara: Ein kleines verschlafenes Dorf, in der Nähe der türkischen Touristenstadt Antalya. Schaut man sich jedoch die Zeit an, in der Nikolaus gelebt hat, kann vom Türken keine Rede sein. Er lebte in etwa zwischen 270 und 365 nach Christus, in der das Römische Reich das Gebiet um Patara beherrschte.
Nikolaus, ein Mythos?
Er ist der populärste christliche Gelehrte seiner Zeit. Als Bischof verbrachte er lange Zeit in Myra (auch in der Nähe von Antalya), weshalb er auch Nikolaus von Myra genannt wird. Dort lebte er ein bescheidenes Leben. Sein gesamtes Vermögen verteilte er wohl unter den Armen. Daher also der Brauch des Beschenkens. Einen Namen machte er sich, indem er zahlreichen Menschen half und somit als Held und Heiliger in die Geschichte einging. Er ist also kein Mythos und sollte nicht mit dem Weihnachtsmann verwechselt werden. Denn der Weihnachtsmann ist tatsächlich eine Mischung aus dem Nikolaus und einer Kreation der Marke Coca Cola. Er bringt entweder an Heiligabend oder am ersten Weihnachtstag die Geschenke.
Warum der 6. Dezember?
Nikolaus soll am 6. Dezember gestorben sein. Sein Todestag ist im Christentum ein Gedenktag und mittlerweile ein Tag des Beschenkens. Für Kinder in den europäischen Ländern ist der Nikolaustag sehr wichtig. Der Nikolaus gilt als der Geschenkbringer. So stellen die Kinder am Vorabend des Nikolaustages Schuhe, Stiefel oder Teller vor die Tür oder hängen Strümpfe vor den Kamin, damit Nikolaus sie mit Nüssen, Mandarinen, Schokolade, Lebkuchen und anderen Süßigkeiten füllen kann.
Wieso werden Äpfel verschenkt?
Schaut man sich den Nikolaus in Kirchengemälden an, so kann man oft drei Äpfel oder drei goldene Kugeln neben ihm erblicken. Der Legende nach wollte ein sehr verarmter Mann seine drei Töchter als Prostituierte verkaufen. Der Nikolaus erfuhr davon und warf drei Goldklumpen vom Schornstein, die direkt in die Strümpfe der Töchter fielen. Die hatten sie am Abend zuvor zum Trocknen aufgehängt. Nikolaus bewahrte die Jungfrauen so vor der Prostitution.
»Fahrt zur Hölle«
Eine andere Legende beschreibt, wie der heilige Nikolaus alle Teufel vom Artemis-Tempel vertrieb. Als sich das Christentum immer weiter verbreitete, suchten die Glaubensanhänger neue Gebetshäuser. Römische Tempel wurden kurzerhand zum christlichen Gebetshaus umfunktioniert. Darin lebten den Legenden nach Teufel, die es genossen, dass die Christen sie fälschlicherweise anbeteten. Diesem Zustand wollte Nikolaus ein Ende setzen, indem er sich zum Artemis-Tempel begab und anfing laut zu beten. Plötzlich fielen die Säulen und Statuen um und die Teufel ergriffen die Flucht. Aus purer Verzweiflung fragten sie Nikolaus, wo sie denn jetzt leben sollten, er habe ja ihr Zuhause zerstört. Nikolaus antwortete nur: »Fahrt zur Hölle.«
Das Wunder nach seinem Tod
Auch nach seinem Tod werden dem Heiligen Nikolaus Legenden zugesprochen. Eine bekannte Legende ist die des verschleppten Kindes: Als Nikolaus schon einige Tage verstorben war, kam ein Mann zu ihm, um ihn um seinen Segen zu bitten. Seine Frau gebäre ihm keine Kinder. Obwohl Nikolaus schon verstorben war, betete der Mann und nahm schließlich ein Stück von den Leinen, welches neben dem Verstorbenen lag. Ein Jahr später, genau am 6. Dezember kam sein Sohn auf die Welt. Als Sechsjähriger wurde das Kind von Arabern entführt. Bei ihnen blieb aber nicht lange, da ein Wirbelwind das Kind erfasste und es unversehrt vor der Nikolauskirche absetzte.
Nikolaus von Myra gab es also tatsächlich. Neben seinen zahlreichen Rettungsakten, soll er viele Juden zum Christentum bekehrt, Tote wieder zum Leben erweckt, Naturkatastrophen verhindert und Könige zur gerechten Herrschaft angehalten haben. Welcher dieser Legenden man glauben schenkt, ist jedem selbst überlassen.
Credits
Text: Nur Şeyda Kapsız / Germanys Top Teacher
Illustration: Sebastian Seyfarth