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Kunst & Design

Die Kunst als dritte Kultur

Zu Gast bei Nezaket Ekici

In ihrem Studio im Künstlerhaus Bethanien in Berlin treffen wir uns mit der Künstlerin Nezaket Ekici. Sie hat bereits an vielen Ecken dieser Welt performt und ist in zahlreichen wichtigen Galerien und Museen weltweit vertreten. Zwischen Materialien, Büchern und Kaffee setzen wir uns auf einen großen Orientteppich, der mitten im Raum ausgelegt ist, um über ihre Performancekunst zu sprechen. Der Teppich, auf dem wir sitzen, ist für Nezaket ein Symbol des gemütlichen Zusammenkommens und Beisammenseins. Und er war ebenfalls Teil einer ihrer Installationen.

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Der Teppich, auf dem wir sitzen, war Teil deiner Installation von 2015 in Dresden. In den Medien gab es Berichte darüber, dass diese Installation mit rechtsradikalen Parolen beschmiert und beschädigt wurde. Was ist passiert?

2015 bat mich Kurator Thomas Eller für die Stadt Dresden ein Kunstprojekt im öffentlichen Raum vorzubereiten. Ich kannte Dresden zuvor nicht und wollte der Frage nachgehen, ob Dresden eine weltoffene Stadt ist. Zuvor war vor dem Dresdner Landgericht eine Ägypterin, aus fremdenfeindlichen Motiven brutal ermordet worden. Ihr Schicksal berührte mich sehr, sodass ich beschloss, ein Portal aus 34 Orientteppichen vor den Toren des Gerichts zu bauen. Kurze Zeit später erreichte mich ein Anruf von einem Journalisten, der mir mitteilte, dass die Installation beschädigt wurde. Insgesamt wurden über einen Zeitraum von zwei Monaten dreizehn Teppiche geklaut. Zwei Mal wurden die Teppiche mit den Worten „Scheiß Islam“ beschmiert. Die Polizei nahm die beschmierten Teppiche ohne mein Wissen ab, sodass das Kunstwerk zerstört wurde. Das war ärgerlich. Außerdem musste ich die gestohlenen Teppiche ständig ersetzen oder das Kunstwerk so umhängen, dass man die Schmierereien nicht mehr sehen konnte. Ich war sechsmal bei der Polizei und konnte nichts über die Täter herausfinden. Ich fühlte mich im Stich gelassen.

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Hat dich das persönlich getroffen und wie bist du mit Worten wie „Scheiß Islam“ umgegangen?

Ich war schon gekränkt. Aber es ging nicht vordergründig um den Islam. Diese Teppiche findet man ja nicht nur in den islamisch geprägten Räumen. Orientteppiche sind wichtige Objekte, die man insbesondere auch in gutbürgerlichen Häusern findet. Sie sind in der abendländischen Kultur fest verankert und nicht „fremd“. Deshalb wollte ich die Schönheit dieser Teppiche in den Vordergrund stellen und nicht den Islam. Es ging mir also mehr um Kultur. Aber dass es solche Reaktionen in Dresden auslösen würde, hatte ich nicht erwartet.

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Immer wieder löst deine Kunst kontroverse Reaktionen im Publikum aus. Beispielsweise hast du dich auch mehrmals mit religiösen Tabus beschäftigt. Provozierst du gerne?

 Die rechtsradikale Reaktion aus Dresden ist nur ein Beispiel unter vielen. Ich arbeite gerne mit Symbolen und weiß, dass das provokant sein kann. Manchmal treffe ich damit einen Nerv und es kommt zu ablehnenden Reaktionen aus verschiedenen Kreisen. Wenn ich religiöse Tabus und Symbole in meiner Arbeit benutze, rechne ich daher auch mit heftigen Reaktionen. Das Schwein ist so ein Symbol, mit dem ich mich schon früh im Studium auseinandersetzte.

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Was reizt dich ausgerechnet am Schwein?

Mich interessierte vordergründig, warum das Schwein in islamischen Kreisen als schlecht und unrein gilt. Deshalb wollte ich mich mit der Thematik näher auseinandersetzen. Im Museum in MARTa Herford hatte ich zum ersten Mal Anfang 2004 die Möglichkeit an diesem Thema zu arbeiten, und schlug dem Kurator vor, in einer Burka in ein Schweinegehege zu gehen und meine Auseinandersetzung mit dem Schwein live zu performen. Leider wurde das Projekt aus Angst vor Fundamentalismus abgelehnt. Immer wieder wurden meine Arbeiten zum Thema Schwein zensiert und abgehängt. Erst 2007 bei der Ausstellung Türkisch Delight, in der Städtischen Galerie Nordhorn, konnte ich meine Schweineperformance zum ersten Mal live zeigen. Im Publikum saß damals sogar ein Hodscha (islamischer Religionsgelehrter, Anm. d. Red.).

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Fotografie aus „No Pork but Pig“ von Peter Anders

Wie reagierte der Hodscha?

Nach der Performance hatte ich die Möglichkeit, mit dem Hodscha zu sprechen. Dabei hatte ich den Eindruck, dass er verstand, was ich da gemacht hatte. Außerdem war die Performance für ihn in Ordnung, weil ich Handschuhe anhatte und das Schwein nicht direkt berührte. Für ihn verstoß ich also mit meiner Performance nicht gegen den Islam.

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Du arbeitest mit Symbolen, um religiöse Tabus zu hinterfragen. Das machst du auch in mehrheitlich muslimisch geprägten Ländern. Wie sind dort die Reaktionen?

Unterschiedlich. Ich kann mich an zwei Momente in Syrien und Mardin erinnern. 2003 wurde ich vom Goethe-Institut in Aleppo zum 5th International Women’s Festival eingeladen, um meine Arbeit Emotion in Motion zu performen. Darin küsse ich mit stark geschminkten Lippen einen Raum voller persönlicher Sachen ab – das Ganze in einem weißen Negligee. Alles ziemlich erotisch. Mit dem Kurator hatten wir die Idee, die Performance in einer komplett verglasten Hotellobby zu machen, sodass auch Menschen, die außen vorbeigehen, am Kunstwerk teilnehmen können. Schon fünf Minuten nach Beginn der Performance kam die Polizei und wir mussten abbrechen. Der Kurator verlegte dann kurzerhand die Installation in eine private Galerie, allerdings konnte ich dort nur vor einem sehr kleinen Publikum auftreten. Das war sehr frustrierend.

Und wie reagiert man in der Türkei auf deine Kunst?

2010 performte ich in Mardin, einer Stadt im Osten der Türkei, und auch da gab es ähnlich wie in Aleppo Probleme. Für mein Projekt Fountain for 6 Women hatten ich zusammen mit sechs türkischen Lehrerinnen aus der Stadt eine Performance vorbereitet, die zu provokant für die Stadt und die türkischen Medien war. Wir performten an einem historischen Ort, einer Universität  in Mardin. Dort standen wir um ein Wasserbecken herum auf Sockeln und ließen Wasser aus an uns montierten transparenten Urinbeuteln in das Becken fließen. Unter den an uns montierten Beuteln trugen wir alle hautfarbene Kleidung, allerdings dachte der Bürgermeister, dass wir nackt seien, und konnte sich nicht dazu überwinden, kurz hinzuschauen. Andere verließen die Veranstaltung. Die Performance selbst wurde zwar nicht abgebrochen, allerdings hetzte die türkische Presse später gegen mich und skandalisierte meine Performance. Für viele Türken in Mardin und in der Türkei war sie einfach zu provokant.

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Fotografie aus „Fountain for 6 Women“ von Ugur Aydin

Wie stark kannst du dich nach solchen Erlebnissen mit der Türkei identifizieren?

 In erster Linie bin ich Mensch. In mehreren Kulturen zu leben, ist schwierig, unheimlich schwierig. Man weiß meistens nicht, wohin man gehört. Ich bin froh, dass mein Vater mir die Gelegenheit gegeben hat, noch eine zweite Kultur kennenzulernen. Aber es geht für mich nicht um die deutsche oder türkische Kultur. Ich habe eine dritte Kultur, und das ist die Kunst. Sie ist meine Sprache. Ich bearbeite nicht nur deutsch-türkische Themen und möchte auch nicht als „Migrantenkünstlerin“ abgestempelt werden. Ich arbeite vor allem an Themen, die mich einfach bewegen. Meist habe ich eine Idee und setzte sie um. Und das betrifft oft gesellschaftliche Themen, die alle ansprechen.

In deinem jüngsten Projekt geht es um das Gebot „Du sollst nicht töten“, das ja in allen drei großen Religionen vorkommt. Womit setzt du dich dabei genau auseinander?

Töten ist in der heutigen Zeit zu einem Spiel geworden: Wenn wir uns die Nachrichten anschauen, sehen wir immer mehr, wie die Gewalt in allen Gesellschaften auf der Welt zunimmt; permanenter Terror und Töten. Daher habe ich mich gefragt, was für einen Wert dieses religiöse Gebot „Du sollst nicht töten“ heute noch hat. In diesem Projekt, das ich schon in Norwegen performt habe, ist der Spruch in Form von Wasserschläuchen an der Wand montiert und mit rotem Saft gefüllt. In meiner Performance trinke ich den roten Saft aus, der menschliches Blut symbolisieren soll. Das ist sehr anstrengend und dauert eine Weile. Wenn ich den Saft austrinke, verschwindet der Wert dieses Gebots. Es wird inhaltsleer.

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