Istanbul. Welche Worte können eine so gewaltige Stadt erfassen und beschreiben? Wer schon einmal in Istanbul war, weiß, dass das gar nicht so einfach ist. Vielleicht sogar unmöglich. Istanbul ist gewaltig. Und damit ist nicht nur die Einwohnerzahl der Stadt gemeint.
Sie sprudelt vor Vielfalt; Menschen aller Glaubensrichtungen, politischen Haltungen und Weltanschauungen treffen in der Stadt aufeinander. Es ist, als würde der Orient mit dem Okzident zusammenstoßen, das Traditionelle mit dem Modernen und das Vergangene mit dem Zukünftigen. Istanbul ist alles. Und genau deswegen so schwer zu erfassen.
Bettany Hughes hat das fast Unmögliche gewagt. Sie hat ein Buch über eine Stadt geschrieben, die schon in ihrer Vergangenheit nicht vielfältiger hätte sein können.
Istanbul – Die Biographie einer Weltstadt ist ein historisches Sachbuch, das sich aber eher wie eine Liebeserklärung liest. Hughes macht schon auf den ersten Seiten deutlich, dass das Buch eine Widmung an eine Weltstadt ist, in der die unterschiedlichsten Menschen ihr Zuhause hatten und haben. Istanbul ist für die Autorin ein Ort, „an dem Geschichten und Geschichte, Wirklichkeit und Erfindung kollidieren und sich aneinander entzünden; eine Stadt, die über Ideen und Informationen wacht und aus ihr ein Denkmal formt. (…) Eine Stadt, die über Jahrhunderte hinweg eine zeitlose Tradition aufrechterhalten hat, die so alt ist, wie die Geburt des modernen Geistes – in der ehemalige Erzählmuster aufbewahrt sind, die uns Aufschluss darüber geben, wer wir gegenwärtig sind“ (S. 21).
Die Autorin selbst ist Historikerin, Bestseller-Autorin und Verfasserin von TV-Sendungen. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am King’s College in London und lehrt am Institute of Continuing Education in Cambridge. Als Anerkennung für ihre Arbeit erhielt sie zahlreiche Preise, unter anderem die Medlicott Medal für Geschichte. Dass sie eine besondere Beziehung zu Istanbul hat, zeigt sie deutlich: „Istanbuls Vielgestalt – was war, was ist und was kommen soll – hat meine eigene Liebesgeschichte mit dieser Stadt entfacht, eine Beziehung, die nun bereits über vier Jahrzehnte anhält“ (S. 28).
900 Seiten zeigen, dass die Geschichte Istanbuls gar nicht so einfach zu erzählen ist. Die Autorin beschreibt dabei die byzantinische, arabische und türkische Geschichte der Stadt. Das Buch beginnt zwar mit den ersten Knochenfunden aus der Steinzeit, aber ein wirklicher Beginn der Weltstadt kann vor ca. 680 Jahren vor Christus mit dem byzantinischen Reich verordnet werden. Hughes erzählt von Knochenfunden aus der damaligen Zeit sowie von Kriegen und Eroberungen. Mit anschaulichen Beschreibungen und Bildern wird die Geschichte Istanbuls noch fassbarer und interessanter.
Nach einer ausführlichen Darstellung der byzantinischen und römischen Zeit der Stadt erzählt die Autorin ab der Hälfte des Buches die osmanische Zeit Istanbuls. Diese beginnt mit der Eroberung im Jahr 1453 und endet mit der Gründung der türkischen Republik. Schade ist nur, dass die Autorin die Jahre nach der Gründung der Republik in wenigen Seiten zusammenfasst. Das heutige Istanbul wird dabei gar nicht erwähnt.
Im Laufe der 2600-jährigen Geschichte Istanbuls wurden der Stadt immer wieder andere Namen gegeben. Der ursprüngliche griechische Name war Byzantion und geht wahrscheinlich auf den Gründer der Stadt Byzas zurück. Zu Ehren des römischen Kaisers Constantinus, der die Stadt zur Hauptstadt ernannte, wurde die Stadt im Jahr 324 in Constantinopolis umbenannt.
Am 28. März 1930 wurde die Stadt dann offiziell zu Istanbul ernannt, nachdem die türkische Republik im Jahr 1923 ausgerufen wurde.
Dass Istanbul eine Stadt ist, in der immer wieder die unterschiedlichsten Menschen aus verschiedenen Glaubensrichtungen und Weltanschauungen gelebt haben, wird beim Lesen des Buches immer wieder deutlich. Und auch heute spielt die Stadt international eine wichtige Rolle: „Wie mit dem jüngsten Drama innerer Unruhen und Terrorangriffen übte sie insgesamt einen weitreichenden Einfluss auf die Geschichte des geopolitischen Zustands unserer Gegenwart aus. Die Stadt bot den hartnäckigen Theokratien der Welt Rückhalt, sie unterstütze die Vorherrschaft des Christentums als Weltreligion, sie entmutigte Kalifen und fand sich dann mit dem langlebigen Kalifat der Geschichte ab“ (S. 31).
Istanbul – Die Biographie einer Weltstadt von Hughes ist kein klassisches Geschichtsbuch, das jede Einzelheit der Geschichte erzählt. Es legt den Schwerpunkt vor allem auf die Menschen, die in der Stadt gelebt haben und auf die Geschichte der unterschiedlichen Glaubensrichtungen, die von dort aus regiert haben. Die Geschichte Istanbuls zeigt, dass die Stadt am Bosporus schon immer ein Knotenpunkt zwischen Orient und Okzident sowie zwischen Traditionellem und Modernem ist. Eine Weltstadt eben mit einer langen und reichen Geschichte.
„Istanbul. Die Biographie einer Weltstadt“ erschienen am 16.10.2018 bei Klett-Cotta.
Text: Hatice Kahraman
Titelfoto: Björn Maletz