Jola Wieczorek ist 1983 in Polen geboren und in Österreich aufgewachsen. Sie absolvierte den Master-Studiengang DocNomads, lebt und arbeitet in Barcelona und Wien. Im Interview sprechen wir über ihren Film List do Polski, ihren Brief an sich selbst und wie Migration sich auf Gefühlswelten auswirkt.
Jola, dein Film „List do Polski“ wird am 07.10. beim Filmabend gezeigt. Worum geht es in hauptsächlich? Gab es einen Schlüsselmoment, der dich dazu bewegte deine Idee umzusetzen?
List do Polski ist ein Brief an mein Alter Ego, an ein imaginäres, mögliches Ich, ein Ich, das in Polen geblieben und nie nach Österreich ausgewandert ist. Es ist ein Denkexperiment, das ich Brüssel begann, wo ich überraschend auf viele polnische Einwanderer traf. Diese spontanen Begegnungen mit den Polen, mit der Sprache, der Küche und den Gerüchen haben mich an meine Kindheit erinnert und waren bestimmt der Auslöser für den Film.
War das Genre Kurzfilm schon immer etwas, was dich fasziniert hat oder in deiner Arbeit eher Mittel zum Zweck, um deine Idee zu erzählen?
Der Film entstand im Rahmen des Masterstudiengangs Doc Nomads und wir hatten fixe Vorgaben was Länge und auch Form des Films betrifft. Die eigene Stimme musste im Vordergrund stehen. Doch ich hatte immer eine Vorliebe für Kurzfilme. Es gibt Geschichten, die funktionieren am besten in Kurzform.
Du thematisierst Herkunft und Zugehörigkeit in deinem Kurzfilm. Hat dir deine Arbeit zu List do Polski geholfen, dich mit deiner Identität auseinanderzusetzen oder gar zu verarbeiten?
Ich denke schon, dass der Film mir geholfen hat, meine Situation besser zu verstehen und vor allem zu akzeptieren. Eine Auseinandersetzung führt ja meist zu Erkenntnis und in meinem Fall habe ich verstanden, dass in mir zwei oder sogar mehr „Jolas“ existieren können und dass das doch irgendwie auch schön ist.
Deine Arbeit ist sehr persönlich und fantasiereich erzählt – „was wäre wenn“. Welches Feedback hast du bisher dazu bekommen?
Oft motiviert der Film Menschen, die auch zwischen zwei Kulturen aufgewachsen sind, ihre eigenen persönlichen Geschichten auszupacken, auf die Art “Bei mir war es ganz ähnlich…” Das finde ich immer wieder spannend, weil man merkt, wie ähnlich Migration sich auf die Gefühlswelt auswirkt. Oft entstehen Diskussionen über den Prozess des Erinnerns, wie Erinnerungen hervorgerufen werden und wie sie im Laufe der Zeit auch mutieren.
Hattest du schon einmal eine schöne deutsch-türkische Begegnung?
Da gibt es viele. Ich habe eine gute, alte Schulfreundin in Österreich, deren Vater Türke ist. Als ich 16 oder 17 war, nahm sie mich mit zu ihrer Großmutter nach Istanbul. Wir wohnten in ihrem Haus mit Garten auf der asiatischen Seite, wo sie uns mit dem besten türkischen Essen verwöhnte. Als wir einmal bis spät in die Nacht ausgingen, wartete sie besorgt im Küchenfenster, vor sich eine Tasse Tee und einen Wecker. Ich werde dieses Bild nie vergessen. Sie hat uns nie geschimpft, sondern versucht “die Jugend zu verstehen”.
Gibt es etwas, auf das du bei der ersten Begegnung mit Menschen besonders achtest?
Auf das Zuhören. Ich glaube wir hören uns gegenseitig viel zu wenig zu.
Auf welche Arbeit bist du besonders stolz?
Das ist schwer zu sagen. Sobald ein Film abgeschlossen ist, distanziert er sich von mir, oder ich von ihm. Denn er gehört der Vergangenheit an. Ich habe ihn damals so gemacht, heute könnte ich ihn gar nicht mehr so machen. Ich verändere mich ja ständig, die Orte an denen ich lebe beeinflussen mich, ich habe andere Gedanken, andere Obsessionen. Vielleicht bin ich immer am meisten stolz auf das Projekt, welches ich im Moment mache. Denn es ist mir einfach am nächsten.
Welches polnische Wort fällt dir spontan ein?
Ogórek kiszonz
Liebes Wedding bietet dir als Filmemacherin den direkten Austausch mit anderen Kreativen bei der Podiumsdiskussion im Anschluss der Filmvorstellung. Hast du Erwartungen an diese Begegnungen?
Ich habe lieber keine Erwartungen, ich lasse mich lieber überraschen. Ich freue mich auf die Begegnungen, die Gespräche und den Austausch. Ich finde es immer inspirierend Herangehensweisen, Gedanken und Hintergründe zu den Arbeiten Anderer zu hören und auch, das Publikum kennen zu lernen.
LIEBES WEDDING: Um Jolas verfilmten Brief an sich selbst „List do Polski“ zu sehen, kommt zum Filmabend am Freitag, den 07.10. ins City Kino Wedding. Jola und alle weiteren Filmemacher der zweiten Generation zeigen ihre Kurzfilme und sprechen in anschließender Diskussion über ihre Artbeit. Der Eintritt kostet sechs Euro.
Weitere Infos zur deutsch-türkisch-polnischen Veranstaltungsreihe gibt’s auf www.liebes-wedding.de.