Schade drum das nun unsere wunderbare Fotoreihe von dem Kölner Lars Kreyssig ein Ende hat. In dem Projekt „Positionen“ geht es um verschiedene zeitgenössiche Künstler aus der Türkei. In den Artikeln Teil 1 und Teil 2 wurden unter anderem Künstler wie Nuri Bilge Ceylan, Yaşar Kemal, Ara Güler und Reha Erdem vorgestellt. Heute geht es um Elif Şafak, Murathan Mungan, Semih Kaplanoğlu, Halil Altındere, İrfan Önürmen, Şener Özmen und Gülsün Karamustafa. Viel Spass mit dem letzten Teil!
Elif Şafak
Elif Şafak fragte mich, ob ich sie in einem Hotel fotografieren könnte. Die Bücher im Hintergrund sind also nicht ihre eigenen und liegen daher mit Absicht in der Unschärfe. Noch dazu sind es nur Attrappen. Das Shooting lief in etwa so ab, wie man sich ein Treffen mit einer bekannten Schauspielerin vorstellt. Wir werden vom Hotelpersonal in Empfang genommen und in einen Saal geführt. Dort bittet man uns, auf Frau Şafak zu warten, da sie gerade noch andere Termine wahrnimmt. Nach meinen Kameratests kommt sie, nimmt sich ausreichend Zeit für diverse Fotos und verlässt uns für einen nächstes Interview. Sie ist eine sehr gefragte Frau in Istanbul.
Die Bestsellerautorin Elif Şafak (geb. 1971 in Straßburg) wuchs als Tochter einer Diplomatin in verschieden Ländern auf. Nach ihrem Studium in Ankara erlangte sie erste Aufmerksamkeit mit dem Roman „Pinhan“ (The Mystic, 1997). Für ihren Roman „Mahrem“ (The Gaze, 2000) erhielt sie den Preis des türkischen Schriftstellerverbandes. 2006 folgte ihr auf Englisch verfasster und kontrovers diskutierter Roman „The Bastard of Istanbul“. Ihre Bücher wurden bislang in über 30 Sprachen übersetzt, auf Deutsch sind fünf Werke erschienen.
Murathan Mungan
Bei dem Fototermin mit Murathan Mungan habe ich im Vorfeld einen entscheidenden Fehler gemacht, indem ich das von ihm vorgeschlagene Café nicht zuvor besichtigt habe. Als ich mich mit ihm treffe und die Starbucks-ähnlichen Räume von Innen sehe, wird mir schnell klar, dass das Foto hier nicht entstehen kann. Dafür ist es viel zu voll, viel zu dunkel und fotografisch absolut unschön. Was nun? Da Mungan nicht zuhause fotografiert werden möchte, bittet er einen guten Freund telefonisch um Hilfe. Wenig später sitzt er vor dessen Bücherwand.
Murathan Mungan (geb. 1955 in Istanbul) wuchs in Mardin im Südosten der Türkei auf, studierte Theaterwissenschaften in Ankara und arbeitete anschließend als Theaterdramaturg. In seinen über 30 Romanen, Erzähl- und Gedichtbänden beruft er sich u. a. auf arabische und kurdische Erzähltraditionen. Besonders bei der jüngeren Generation genießt er große Beliebtheit. In deutscher Übersetzung sind der Roman „Tschader“ sowie die Erzählbände „Palast des Ostens“ und „Städte aus Frauen“ erschienen.
Semih Kaplanoğlu
Als ich Semih Kaplanoğlu fotografiere, erzählt er mir von seinem neuen Filmprojekt „Bal“ (Honig), für das er am nächsten Tag in den Nordosten des Landes aufbrechen wird, und dass er sich sehr auf den bevorstehenden Drehbeginn freut. Damals konnte keiner von uns wissen, dass dieser Film den goldenen Bären auf der Berlinale gewinnen würde. Das Treffen mit Kaplanoğlu war für mich aber auch deswegen einprägend, da er der allererste Künstler war, den ich für das Buch fotografieren durfte. Seine freundliche, ruhige Art nahm mir sofort die Aufregung. Auch deswegen ist dieses eher unspektakuläre Bild für mich von besonderer Bedeutung.
Der Filmemacher Semih Kaplanoğlu (geb. 1963 in Izmir) studierte Film an der Dokuz Eylül Universität Izmir. Sein erster Spielfilm „Herkes kendi evinde“ (Weit weg zuhause, 2000) gewann Festivalpreise in Istanbul und Ankara. Internationale Anerkennung erhielt er mit seiner „Yusuf“- Trilogie, bestehend aus „Yumurta“ (Ei, 2007), „Süt“ (Milch, 2008) und „Bal“ (Honig, 2010), der bei der Berlinale den goldenen Bären gewann.
Halil Altındere
Mitten auf der jederzeit belebten İstiklal, der Haupteinkaufsstraße Istanbuls, hat Halil Altındere sein Büro. Es gleicht eher einer schicken Werbeagentur als einem Künstleratelier. Kaum vorstellbar, dass dieser schüchterne Mann so provokative Kunst schafft. Allerdings ist ihm der Sinn für Humor, der in vielen seiner Arbeiten mitschwingt, leicht anzumerken. Seine Figur „Pala“ ziert das Cover des Steidl-Buchs. Sie zeigt einen Mann, der im Stadtteil rund um sein Büro bekannt war wie ein bunter Hund. Ein Jahr nach dessen Tod hat ihm Altındere aus Wachs ein Denkmal geschaffen.
Der Künstler Halil Altındere (geb. 1971 in Mardin) wuchs in Mersin auf und studierte Kunst in Adana und Istanbul. Der Multimedia-Künstler arbeitet mit Video, Objekten, Fotografie, Installationen und Performances und setzt sich mit Themen wie staatlicher Repression und Subkulturen auseinander. Außerdem ist er Chefredakteur und Herausgeber der Kunstzeitschrift „art-ist“. Seine Video-Arbeit „Dengbejs“ (2007) wurde auf der documenta 12 in Kassel gezeigt.
İrfan Önürmen
So habe ich mir ein Künstleratelier vorgestellt: überall Farbe, Leinwände, Rahmen, zerrissene Zeitungen und doch Platz genug für Neues. Bei İrfan Önürmen habe ich mich gleich wohlgefühlt. Er schien sichtlich Spaß am Fotografieren zu haben und bat mich, verschiedenen Posen auszuprobieren. Wir verständigten uns mit Händen und Füßen. Vielleicht schaut er auf dem Bild, das ich ausgewählt habe, etwas zu ernst, denn eigentlich ist er ein fröhlicher Mann.
Der bildende Künstler İrfan Önürmen (geb. 1958 in Bursa) studierte Kunst an der Mimar Sinan Universität in Istanbul und zeigte seine Malerei und Skulpturen weltweit in Einzel- und Gruppenausstellungen. So war er unter anderem auf der Istanbuler Biennale vertreten. Erst im vergangenen Jahr stellte die Galerie C24 in New York sein Schaffen in einer großen Einzelausstellung aus.
Şener Özmen
Şener Özmen lebt im Südosten der Türkei und ist extra für den Fototermin nach Istanbul gekommen. Das Bild entstand in seiner Galerie DEPO, wo auch ich später die Künstlerporträts ausstellen durfte. Özmen war mir sofort sympathisch. Er hatte eine humorvolle Art und stets gute Ideen für das Porträt. Es dauerte dann aber doch ziemlich lang, bis wir das endgültige Motiv gefunden haben. Ich bin sehr glücklich über dieses Foto und auch Şener hat es gut gefallen. Gott sei Dank, somit hat sich seine Istanbul-Reise gelohnt.
Şener Özmen (geb. 1971 in der Provinz Şırnak) studierte Malerei in Adana und lebt und arbeitet in Diyarbakır im Südosten der Türkei. Der Video- und Fotokünstler setzt sich auf subtile, humorvolle Weise mit autoritären Strukturen und gesellschaftlichen Tabus auseinander. Seine Arbeiten wurden u. a. im Centre Pompidou, Stedelijk Museum und Istanbul Modern gezeigt. Außerdem ist Özmen als Kunstkritiker und Kurator tätig.
Gülsün Karamustafa
Nach dem Fototermin mit Gülsün Karamustafa hatte ich das Gefühl, bei einer guten Freundin zu Besuch gewesen zu sein. Als Fotograf sind genau deswegen Projekte dieser Art ein Geschenk, denn sie geben mir die Möglichkeit, Menschen zu treffen, an die ich sonst, zumindest in so einem privaten Raum, nie herantreten könnte. Karamustafa ist eine von diesen Menschen. Sie erzählte uns über ihre Anfänge in der Kunst und lud uns zu ihrer nächsten Ausstellung ein.
Gülsün Karamustafa (geb. 1946 in Ankara) studierte Malerei an der Akademie der Bildenden Künste Istanbul. Ihre Installationen und Filme kreisen um Themen wie Migration, Identität und die Situation von Frauen in der türkischen Gesellschaft. Aufgrund ihres politischen Engagements entzog man ihr 1970 während der Militärdiktatur für 16 Jahre den Pass, so dass sie nicht verreisen konnte. Seit den 1990ern ist sie auch international bekannt, u. a. hatte sie Einzelausstellungen in Genf, Kassel, Salzburg, München und Paris.
Credits
Foto: Lars Kreyssig
Text: Lars Kreyssig, Marion Schnelle