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Gesellschaft & Geschichten

Königin der Nacht

Eine(r) von vielen – eine Kolumne von Yasmin Polat

Mit ihren schlanken Fingern und langen Fingernägeln geht sie sich an die Stirn. Sie spürt den grünen Stoff, der an ihrem Anfang beginnt. Darunter kommen zwei Haarsträhnen hervor. Sie streicht die zwei hellen Haarsträhnen zurück unter das feste Tuch. Alles liegt eng an ihr. Das Tuch am Kopf, die Spaghettiträger an den Schultern, die hautenge Jeans. Darüber schwebt ein schwarzer Umhang. Darunter ist sie ganz bei sich, für niemand anderen.

Sie erschafft sich Raum in der Weite der Kleidung, umarmt sich selbst mit ihr.

Der Umhang ist noch neu. In den zweiunddreißig Jahren, in denen sie ziellos auf der Erde gewandelt war, trug sie bisher gern weite Kleidung, in der sie sich mit den Jahren jedoch immer mehr verlor. Nichts schien zu passen. Weder der Pulli, noch die Hose, noch das ganze Leben. Alles zu weit von ihr entfernt, in allem, was sie tat und trug, schien sie sich der Welt anzubiedern. Immer trug sie Ringelschirts und beige Hosen.

Endlich sieht sie sich selbst

Dann kam der Frühling. Sie verreiste das erste Mal. In dieses schöne Land, das ihr so fremd, so bunt vorkam. Aber nicht nur bunt, nein, das bunte sahen vor allem die achtlosen Touristen. Sie war keine von ihnen. Sie hatte ihre Heimat gefunden, im schmutzigen Grau der lauten Straßen. Hier hatte sie sich die Haare dunkel gefärbt, hier hatte sie ihre Fingernägel wachsen lassen. Sie fühlte sich revolutionär. Sie ging täglich in Kleidungsgeschäfte, sah viel Schönes, aber nie sich selbst. Ein rotes, enges Kleid hing an einem steifen Haken, wartete darauf, von ihr getragen zu werden. Sie ging dennoch daran vorbei.

Eines Tages blickte sie in ein Schaufenster, in einer entlegenen, besonders staubigen Straße. Sie formte mit den Händen einen Sichtschutz. “Butik”stand in bunten Lettern über der Tür. Sie sah schwarze Roben, dunkle Königinnengewänder, die sich vor ihren Augen über die Schaufensterpuppe legten. Sie sah sich selbst in der Spiegelung des Ladenfensters. Die schwarze Robe legte sich im Fenster um sie, um ihr Ringelshirt und die beigen Shorts. Erst drei Tage später brachte sie den Mut auf, in die Boutique zu gehen und das elegante Gewand anzuprobieren. Sie trat vor den Spiegel: Da war sie, so wie sie von der Welt gemeint war. Endlich sah sie sich selbst. Sie hatte sich in der weiten Dunkelheit der Robe gefunden.

Eine Königin

99,90 Türkische Lira legte sie sorgfältig auf den Glastisch der Kasse. Und fühlte sich unbezahlbar. Sie sagte leise: “Ne mutluyum!“ – Was bin ich glücklich! Die Kassiererin langte mit ihren bunten Fingernägeln nach den Geldscheinen und schaute ungläubig hoch. Sie verstand das dunkle Strahlen dieser Kundin nicht.

Als sie auf die Straße trat, verfing sich ihr Fuß nicht wie befürchtet im Saum des Umhangs. Im Gegenteil: Zum ersten Mal stand sie fest auf eigenen Beinen. Die Menschen bemerkten sie nun. Die Tauben machten ihr Platz. Sie war eine Königin.

Sie passt sich nicht mehr an

Sie ging in den nächsten Laden. Endlich traute sie sich dieses rote Kleid zu kaufen. Es hatte Spitze an den Ärmeln, war kurz und eng. Lustvoll griff sie nach einem kurzen Jeansrock, mit auffälligem Muster, an dem sie sonst resigniert und empört zugleich vorbeigelaufen wäre. Heute nicht. Heute wagte sie sich sogar, eine schillernde Paillettenweste zu kaufen. Jetzt fiel es ihr leicht, sich zu kleiden, denn nun war es wirklich nur für sie. Sie spürte sich nun endlich selbst in der eigenen Enge und Weite. Sie passt sich nicht mehr an.

 

Die Kassiererin der Boutique schaut der gerade frisch verhüllten Frau hinterher und greift an ihr rechtes Handgelenk. An diesem trägt sie eine übergroße Uhr mit Steinen, die – so wurde ihr zumindest gesagt – von Swarovski sind. Ihre Haare sind sorgfältig geglättet, die enge weiße Stoffjeans legt sich auf der Rückseite ihrer Oberschenkel in Falten. Zurück am Glastresen, setzt sie sich und blättert gelangweilt in einer Modezeitschrift. Sie hatte schon wieder nichts Richtiges zum Anziehen.


Text: Yasmin Polat
Illustration: Miriam Jacobi

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