„Die Wut richtet sich gegen mich als Kartoffel-Studentin“

Im Gespräch mit der Schauspielerin Katherina Sattler

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Seit einiger Zeit geht ein Gespenst in der deutschen Theaterlandschaft um: die Blackfacing-Debatte. Blackfacing, das ist, wenn weiße Schauspieler*innen sich mit schwarzer Farbe schminken, um BPoc (Black and People of color) darzustellen. Die einen sehen das als eindeutig rassistisch, die anderen berufen sich auf künstlerische Freiheit. Protestaktionen wurden ins Leben gerufen und Spielstätten boykottiert. Vor allem wurde jedoch die längst überfällige Diskussion über strukturellen Rassismus an der Institution Theater angestoßen.

Wir haben uns mit Katherina Sattler, Schauspielerin am Jungen Schauspielhaus Hamburg, unterhalten. Seit April diesen Jahres läuft Ellbogen von Fatma Aydemir als Solostück am Schauspielhaus mit der 27-jährigen Katherina aus Erlangen in der Hauptrolle. In Ellbogen geht es um die junge Hazal, eine Deutschtürkin, die ihr Leben lang Opfer struktureller Gewalt ist – und irgendwann genug hat. Am Abend ihres achtzehnten Geburtstags entlädt sich Hazals Wut in brutaler Weise. Die Inszenierung des Regisseurs Alexander Riemenschneider wurde von der Presse sehr positiv aufgenommen und war seit der Premiere oftmals ausverkauft. Die Hauptdarstellerin Katherina hat uns im Interview erzählt, warum sie Hazal spielt, was sie daraus gelernt hat und was gegen Rassismus am Theater getan werden kann.

© Sinje Hasheider

Katherina, was war dein erster Gedanke, als du das Angebot bekamst, Hazal zu spielen? Hattest du Bedenken?

Als mir zum ersten Mal erzählt wurde, dass Ellbogen mit mir als Hazal inszeniert werden sollte, war ich erst einmal ganz offen dafür und habe mich gefreut. Dann habe ich aber den Roman gelesen und war total von den Socken. Sowohl davon, wie toll dieses Buch ist, als auch von dieser Wut, die Hazal in Ellbogen in sich trägt, und die mich sehr persönlich getroffen hat. Da dachte ich mir dann erst einmal:

Jetzt soll Hazal von mir dargestellt werden, einer Person, die weiß und privilegiert ist, die für Hazal eine „Kartoffel“ wäre, die studiert hat.

Und damit repräsentiere ich ja all das, worauf Hazal in der Geschichte so wütend ist. Zudem habe ich keine dieser Erfahrungen gesammelt, die Hazal gemacht hat, ich habe keine Migrationsgeschichte, wurde nie aufgrund meines Aussehens, meines Namens oder meiner Herkunft gesellschaftlich ausgeschlossen. Ich hatte also schon Bedenken, weil ich eben nicht Hazal bin.

Verständlich! Und wodurch bist du letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass es doch in Ordnung ist, Hazal zu spielen?

Ich habe mich mit Leuten unterhalten, die sich sehr gut mit Rassismus, Transkulturalität, Aneignung am Theater und dieser Wut auf das Wort „Migrationshintergrund“ auskennen, um verschiedene Perspektiven zu bekommen. Ich wollte so gut wie möglich informiert sein, um eben nicht nur von mir auszugehen. Aber es geht in Ellbogen ja nicht nur um Rassismus, sondern auch um Sexismus, mit dem ich als Frau natürlich auch konfrontiert bin.  Da kann ich gedanklich anknüpfen. Letztendlich war es für mich das größere Argument, dass dieser wichtige Stoff, den Ellbogen hergibt, auf die Bühne kommt. Ich hatte die Hoffnung, dass wir das so hinbekommen, dass man nicht über mich als weiße Person, die auf der Bühne steht, nachdenkt, sondern dass Hazal, die Geschichte, die erzählt wird, und dieser wahnsinnig tolle Text im Vordergrund stehen.

© Sinje Hasheider

Wer darf hier was, und wer bestimmt das?

Das ergibt Sinn. Es gibt aber sowieso kaum türkische Schauspieler*innen an deutschen Theatern. Warum muss dann eine Rolle wie die von Hazal auch noch von einer „Biodeutschen“ wie dir übernommen werden?

Es ist nicht weg zu argumentieren, dass letztendlich doch ich auf der Bühne stehe, das stimmt. Leider ist es nun einmal so, dass BPoc es unfassbar schwer haben, an der Institution Theater in Deutschland Jobangebote zu bekommen. Und wenn, dann ist es oft so, dass diese Schauspieler*innen dann phänotypisch, also wegen ihres Aussehens besetzt werden. BPoc werden also in der Theaterlandschaft weiterhin massiv mit Rassismus konfrontiert, und es wird viel zu selten die Diversität der Gesellschaft dargestellt. Dabei geht es auch darum, dass nicht nur verschiedenste Menschen auf die Bühne kommen, sondern, dass auch verschiedenste Themen und Stoffe eine Bühne bekommen. Und Ellbogen ist ein Beispiel für eine solche Geschichte. Nun stellt sich die Frage, wer eigentlich eine Rolle wie die von Hazal spielen darf. An sich könnte man sagen: Ich bin Schauspielerin, mein Job und meine Leidenschaft ist es, mich in unterschiedliche Figuren und deren Psychologie hineinzuversetzen. Dadurch, dass in Ellbogen aber ein so aktueller Stoff behandelt wird, der unter anderem auf genau diesen gesellschaftlichen Missstand des Rassismus hinweist, ist es aber doch etwas anderes, wenn eine weiße, privilegierte Frau wie ich auf der Bühne steht.

„Ich kann auch verstehen, wenn manche das als Angriff sehen.“

Darf Hazal also nur von einer Deutschtürkin oder von einer Frau, die nicht als „weiß“ gelesen wird, gespielt werden? Und wäre das Turkodeutsch- oder Nicht-Weißsein an sich schon Berechtigung genug, den in Ellbogen behandelten Stoff zu erzählen? Oder muss es dann jemand sein, der auch in ähnlichen Verhältnissen wie Hazal aufgewachsen ist? Da sind wir dann bei der Frage, inwiefern das noch Schauspielerei wäre, oder schon in Richtung Performance ginge. Ich glaube, es ist wichtig, dass ich als Schauspielerin reflektiere, warum gerade ich auf dieser Bühne stehen darf und warum andere das nicht dürfen, wen ich da darstelle und was für eine Geschichte ich erzähle.

Und wie kann man als am Theater Mitwirkende*r diese Strukturen, von denen du da sprichst, konkret bekämpfen?

Indem man sich immer wieder gegenseitig auf Dinge aufmerksam macht, diskutiert und versucht, verschiedene Perspektiven einzunehmen. Das lässt sich vom Theater auf unsere gesamte Gesellschaft übertragen: Wie wollen wir miteinander umgehen, und wo gilt es anzupacken? Mit dem Theater haben wir eine große Reichweite und damit die Möglichkeit, das Augenmerk auf gesellschaftliche Missstände zu legen. Das sollten wir nutzen!

© Sinje Hasheider

„Auch ich bin nicht Hazal!“

Du hast dich in der Vorbereitung auf Ellbogen mit der Autorin, Fatma Aydemir, unterhalten. Was hast du aus diesem Gespräch mitgenommen?

Es war toll, mit Fatma zu sprechen, sie war sofort bereit, sich mit mir zu treffen, als ich sie nach einer Lesung in Hamburg ansprach. Für mich war es interessant zu hören, dass Fatma eben auch nicht wie Hazal aufgewachsen ist, dass auch sie studiert hat und viele Privilegien genossen hat. Als ich sie fragte, ob es für sie Sinn ergibt, dass genau ich als „Kartoffel“, auf die Hazal so wütend ist, die Rolle der Protagonistin übernehme, sagte sie, dass das kein Problem für sie wäre, solange ich genau diese Reflektiertheit in die Arbeit mitnähme. Auch während der Probenzeit war Fatma für mich erreichbar, ich habe sie manchmal angerufen, wenn ich Fragen oder Bedenken hatte. Das war ein gutes Gefühl.

Voll auf die Fresse

Ihr habt während der Proben eng mit der Stadtteilschule auf der Veddel zusammengearbeitet. Die Lebensrealität, die in Ellbogen dargestellt wird, kommt sehr nahe an die vieler Schüler*innen dieses Viertels ran. Wie genau sah diese Zusammenarbeit aus?

Unsere Partnerklasse war für uns elementar beim Herantasten an die Figur und an Darstellungsweisen. Der Roman zielt ja extrem auf Klischees, um sie dann umso mehr zu brechen. Es war heikel, welche Kostüm- und Bühnenmittel und auch schauspielerischen Mittel wir verwenden- wir uns anmaßen, einzusetzen. Was ist zuviel? Was aber dann auch andererseits zu wenig und dadurch weichgespült? Da waren die Schüler*innen sehr wichtig als Referenz. Fühlen sie sich verarscht? Oder kommen sie mit? Berührt sie das?

Und die große Frage: nehmen die Schüler*innen mir ab, dass ich Hazal bin?

Die Jugendlichen waren von Anfang an dabei, wir haben uns über gewisse Themen wie Wut, Gewalt und eigenständiges Leben, Unterschiede zwischen Mann und Frau und vieles mehr ausgetauscht. Die waren drin im Geschehen und der Thematik und meinten auf Rückfrage von uns, dass sie sich keine Gedanken darüber gemacht haben, dass ich als Nicht-Deutschtürkin Hazal verkörpere. Das liegt aber natürlich auch daran, wie Ellbogen geschrieben ist. Der Text trägt und zwingt zum Zuhören, gibt einem voll auf die Fresse.

Gutes Schlusswort! Vielen Dank für das Gespräch, Katherina!

 

Text: Lisa Genzken

Fotos: Sinje Hasheider

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