Frage! Antwort?

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Bei einem Gespräch zwischen zwei Leuten kann einiges schief gehen. Ganz besonders, wenn von den zwei Leuten einer Journalist ist und den anderen interviewt.

Ein Einblick in den Hindernis-Parcour unseres Berufsalltags

Was wir als Redaktion schon alles mit der sog. Quintessenz unserer Daseinsberechtigung, sprich unseren Interviewpartnern erleben durften, zeichnet ein aberwitziges und punktgenaues Bild vom Berufsalltag eines Journalisten. Gerne teile ich einige Schreckensszenarien mit euch. Damit ihr – unsere liebsten Leser –  wisst, wie sehr wir unser Nervenkostüm strapazieren, um euch regelmäßig Lesestoff zu bieten, den ihr gern habt, der euch begeistern, den ihr mit Freundenteilen könnt.

Zu Oma kommt ihr auch pünktlich!

Stellt euch vor, eure Oma lädt euch zum Kaffee ein und ihr wisst, da gibt es mehr als nur Kuchen, da springt für euch bestimmt noch ein Geschenk oder Scheinchen heraus. Verschiebt ihr diesen Termin bis zu fünfmal, oder sagt Omi kurzfristig eine Stunde vor Verabredung ab? Natürlich nicht.

Nun, unsere Omi heißt renk., und wenn renk. anruft, bekommen die Interviewten eine tolle Referenz in einem ausgezeichneten Magazin.

Wir machen das tatsächlich ehrenamtlich, weil wir nun mal Schreibnarren sind; für uns sind Stift und Geschwafel wie Wasser und Brot für euch. Umso mehr schmerzt es, wenn uns der Interviewpartner wie eine unliebsame Ex behandelt und vereinbarte Treffen immer in letzter Sekunde absagt. Das ist dann Arbeitszeit, die wir nicht bezahlt bekommen; die mit Fragen und Infos vollgekritzelten Ringblöcke kauft uns leider keiner ab. Omi tadelt euch für diese Respektlosigkeit!

Nein, wir photoshoppen eure Glatze nicht weg

Unangenehm wird es für unsere Fotografen, wenn die Eitelkeit der Interviewten überhand nimmt. Nach ein paar Zusammenstößen mit solchen Narzissten nehmen wir uns jetzt immer brav ein Model Release mit. Es ist nämlich total nervig, wenn die fantastische Momentaufnahme, bei der alles sitzt, nicht genommen werden darf. Dafür sollten wir nicht verantwortlich gemacht werden. Wen die fehlenden Haare dann doch stören, der kaufe sich bitte vorher ein Toupet oder verstecke die lichten Stellen unter einer Schiebermütze!

Wir machen keine Werbung, wir machen Berichterstattung

Nichts nervt mehr, als Interviewpartner, die von uns eine Inszenierung verlangen und uns damit unserer kreativen Freiheit berauben. Journalisten porträtieren ihre Wirklichkeit. Wir schreiben und fotografieren das, was wir gesehen und erfahren haben. Wenn das Atelier des Interviewten kreativ-unaufgeräumt ist, darf man nicht erwarten, dass wir es nachträglich auf Hochglanz polieren. Wir machen hier keine PR, wir nennen das: Berichterstattung. Diese Unterscheidung ist wichtig, sie gehört auf jeden Merkzettel!

Der Bla-Bla-Kopf

Da wir keine PR machen, wollen wir vordringen zum Ungewöhnlichen, Unperfekten, Unvernünftigen. Wir wollen nicht von unserem Interviewpartner erzählt bekommen, was wir eh schon wissen, weil es überall im Internet steht. Wir wollen den Leuten da draußen verraten, was das Geheimnis ist? Wenn wir uns für ein Gespräch entschieden haben und im Interview nur Floskeln, Floskeln, Floskeln hören, versaut das nicht nur unseren Eindruck, sondern auch den Eindruck bei den Lesern. Die langweilen sich nämlich schnell.

Es gibt Interviewpartner, die reden sich um Kopf und Kragen und haben schlussendlich doch nichts gesagt.

Das liegt manchmal an unseren Fragen. Das nehmen wir dann auf unsere Kappe. Wichtig ist nur: Artikel sollten sich niemals wie Portfolio Texte lesen.

Nehmt uns nicht die Worte aus dem Mund

Das Interview ist gut gelaufen, die Zitate lassen sich schön in sechstausend Zeichen packen. Der Text ist getippt, der Lektor sagt go! Und dann blinkt eine E-Mail im Postfach: „Das ist toll geworden, wirklich, aber Satz x und Passage y habe ich so nicht gemeint.“ Willkommen in der Zwickmühle! Denn wenn wir schon auf Band haben, was der Interviewte gesagt hat, kommen wir ihm da nur ungern entgegen.

Selbst wenn er oder sie es anders gemeint hat. Nicht selten schwebt dann die Drohung in der Luft, dass unser Gesprächspartner das Okay für die Veröffentlichung verweigert. Das kommt einer Verurteilung zu zehn Jahren ohne Bewährung gleich. Liebe Leser: Deutschland ist das einzige Land, in dem Interviews von den Interviewten abgenickt werden. Anderswo lacht man über diese Debatten.

Wir lieben unsere Interviewpartner trotzdem sehr!

Nicht alle Erfahrungen landen auf unserem Traumjob-Journalismus-Konto. Dieser Artikel ist eine augenzwinkernde Abrechnung mit einigen Ex-Interviewpartnern und ein liebevoller Leitfaden für die zukünftigen. An dieser Stelle ein fettes Danke an all diejenigen, die sich in diesem Artikel nicht wiederfinden. Oft haben wir sehr viel Spaß mit unseren Gesprächspartner und  sie sind zum Glück in der Überzahl. Wir wünschen uns mehr von dieser Sorte, wie Kinder auf der Kirmes, allen Widerständen, Pannen und „Das-kann-doch-nicht-euer-Ernst-sein“-Situationen zum Trotz.  

Text: Genna-Luisa Thiele
Illustrationen: Melis Sivasli

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