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Sprache & Literatur

„Jeder kann die Welt verändern“

Ein Gespräch mit dem Autor Levent Kesik

Im Ruhrpott aufgewachsen, türkisch sozialisiertin einer Zeit, in der Deutschland geprägt wurde von zahlreichen fremdenfeindlichen Angriffen: unser Gespräch mit Levent Kesik zeigt, dass wir alle Geschichte in uns tragen und aktiv mitgestalten. Durch unsere Worte, Taten und Nichttaten.

Wusstest du schon früh, was du mal beruflich machen wolltest?

Ich würde nicht sagen, dass ich ein Suchender war, aber ich war immer ein Träumer. Als Kind wollte ich Superman werden. Noch während des Abiturs war ich mir unschlüssig, was ich machen sollte.

Ich wollte auf jeden Fall etwas Soziales machen, doch auch ich war den Zwängen unserer Generation unterlegen und sollte etwas Anständiges erlernen. Meine Eltern sagten Ya doktor olacaksın ya mühendis” (Entweder wirst du ein Arzt oder Ingenieur).

Ich dachte, “Ich will doch Astronaut werden.“ Ich wollte Luft- und Raumfahrt studieren, doch wurde ich da nicht angenommen. Und da habe ich mir gedacht, „Was kann ich Ähnliches machen?“ Und kam auf Maschinenbau. Aus heutiger Sicht hätte aus mir vielleicht auch ein Schauspieler werden können, doch auch wenn ich mich frei gefühlt hab, habe ich immer noch diese Verantwortung gegenüber meinen Eltern gespürt.

Hast du als Kind von Eigewanderten unterschwellig eine zusätzliche Barriere gesehen?

Jede Familie ist vielschichtig. Jeder Mensch ist komplex. Ich habe mal gelesen, dass Angst vererbt werden kann, genau wie Hunger oder Traumata. Ich glaube, dass diese auferlegte Verantwortung auch genetisch bedingt sein kann.

Was machst du hauptberuflich?

Ich bin Ingenieur in der Entwicklung von Interior-Gegenständen für Autos. Ich arbeite im Akustik- und Komfortzentrum und führe Tests mit den Produkten durch. In sogenannten Flugsimulatoren simulieren wir beispielsweise 10 Jahre Fahrt mit dem Auto.

Findest du denn genug Zeit, um deine kreativen Interessen zu verwirklichen?

Ich habe nicht so viel wie ich mir wünschen würde. Aber was für viele ein Nachteil ist, sehe ich als Vorteil: Ich brauche ungefähr eine Stunde zur Arbeit und eine Stunde, um wieder nach Hause zu kommen. Das ist die Zeit, die ich eigentlich nur für mich habe, wo ich nachdenke, manchmal auch Gedichte auswendig lerne, wenn ich mal einen Gedichtabend mache. Das ist der einzige Egoismus, den ich mir leiste.

Wann hast du das Schreiben für dich entdeckt?

Mit 21 oder 22 Jahren habe ich gedacht, „so kann ich meine Gedanken ordnen“. Ich habe mich so gefühlt wie in den Leiden des jungen Werthers, wenn SturmundDrang-Phase ist. Ich wollte etwas festhalten können und deswegen habe ich Dinge zu Papier gebracht, ohne Ambitionen, sie auch mal veröffentlichen zu können. Ich war nie ein guter Student, weil ich mich zu 99% mit diesen Dingen beschäftigt hab.

In deinem Buch „Alis vs. Aliens“ behandelst du auch ernste Themen auf eine humoristische Weise. In der klischeehaften Darstellung der Figuren kann man auch Kritik erkennen.

Die Heldengeschichte im Buch beschreibt – wenn ich es überspitzt sage – zwei Niemande. Trotzdem sind sie etwas Besonderes.

Ich glaube, jeder kann die Welt verändern, weil jeder ein Teil dieser Welt ist. Wenn man sich selbst verändert, verändert man auch die Welt.

Gab es irgendetwas, das dich inspiriert hat, eine Science-Fiction-Story zu schreiben?

Ich habe mich schon immer für Science-Fiction interessiert. Ich habe alles aufgesogen, was mit Science-Fiction zu tun hatte: Superman, Roter Blitz, Grüne Leuchte, Captain Future. Es gab zu unserer Zeit Raumbasis Alpha 1. Das waren Dinge, die mich sehr fasziniert haben.

Das war in einer Zeit, in der ich nicht so viele, vielleicht auch gar keine Freunde hatte. Dann bin ich gerne in diese Welt eingetaucht und hab mich wie diese Helden gefühlt. Meine Identifikationsfigur war Superman, denn der war auch einsam.

In der Grundschule kamst du als Kind türkeistämmiger Eltern in eine türkische Klasse, bis du dich in eine deutsche Klasse „hochgearbeitet“ hattest. Wie prägend war diese Erfahrung, als „Alien“ eingestuft zu werden für deine weitere Laufbahn?

Ich habe sicherlich schlimme Erfahrungen gemacht. Wenn ich heute darüber nachdenke, waren das wahrscheinlich Alt-Nazis, die mir als Fünftklässler an die Gurgel wollten. Da waren auch ältere Schüler. Da sind schon Dinge, die einem wirklich wehgetan haben. Was mir am meisten wehgetan hat, waren aber nicht die Erlebnisse, die ich am eigenen Leib erfahren musste, sondern was in Solingen passiert ist, was in Mölln passiert ist. Das waren Dinge, die ich nicht vergessen werde. Die Anschläge habe ich auch literarisch verarbeitet.

Eingebettet in die Idylle der Straße,
klafft mir das Stück Welt entgegen,
das mein ständiger Begleiter ist.
Mein Weg verneigt sich vor diesem Ort und
Und nicht nur er
wird es mir schwer machen,
ihn wieder zu verlassen…
Fünf Kastanienbäume wachsen hier,
auf der Asche in der Unteren Wernerstraße 81.
In meiner und der Straße Wunde verwurzelt
Wachsen sie…
Wie zum Trotz.

(Auszug aus „Die Kastanienbäume aus der Unteren Wernerstraße 81“)

Das ist für mich wie eine Art Mahnmal. Damit das nicht wieder passiert. Es wird immer wieder passieren, ich weiß, es ist eine Sisyphusarbeit, aber das ist etwas, was ich mache, auch wenn ich nachher persönlich keinen Gewinn daraus habe. Denn wenn es anderen besser geht, geht es mir auch besser.
Es ist wichtig, die Aufarbeitung dieser Ereignisse oder Geschichte im Allgemeinen den Leuten nachhaltig nahezubringen, damit man darauf für die Zukunft Dinge ableiten kann. Das war schon immer schwierig. Solingen war ein Ereignis, das ich als Narbe in meinem Herzen mittrage.

Machst du auch jetzt noch Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit?

Ich habe mich mit meiner sogenannten Künstlergruppe getroffen. Eine zugegeben sehr rechtslastige Gruppe, in die ich irgendwie reingekommen bin. Witzigerweise spielten wir in einer Halle, die einer Moschee gehört. Und diese Moschee hat ein Minarett. Dann standen wir davor. Es ist sehr entlarvend, wenn sie vergessen, dass ich keiner von der Mehrheitsgesellschaft bin und frei von der Leber erzählen. Sie haben sich über das Minarett aufgeregt. Ich habe ihnen erklärt, dass ein Minarett nichts anderes ist als ein Kirchturm. Dann habe ich sie in die Richtung geführt, zu erkennen, wozu denn ein Kirchturm gut ist.

Theoretisch könnte man heute jeden Kirchturm und jedes Minarett durch eine WhatsApp-Gruppe ersetzen. Das würde gehen. Wir brauchen keine Kirchtürme. Wir brauchen keine Minarette.

In einer Philosophie-Sendung im Radio hieß es, dass jeder Mensch Kirche braucht. Das kann eine Gemeinschaft sein, ein Fußballverein, eine Partei, was man unter dem Begriff verstehen mag. Das kann ich nachvollziehen.

Ich bin im Buch über eine Stelle gestolpert, in der eine der Figuren fragt „Was vermisst ein im Ausland lebender Türke am meisten?“ und die Antwort, die folgte, war „die Heimat“. Heimat kann so vieles sein, nicht unbedingt ein Gegenpol zum sogenannten „Ausland“. Der Begriff wird in Deutschland heiß diskutiert und ist für viele negativ behaftet. Für viele hat er etwas Völkisches, Deutsches, Identitäres. Was bedeutet Heimat für dich?

Das ist sehr facettenreich. Ich habe persönlich keinen Bezug zur Heimat meiner Eltern. Man sagt ja „never meet your hero“. Diese Vorstellung von Heimat, dieses wohlige Gefühl. Wenn man das erlebt, an Orten, die man für sich als Heimat definiert hatte, kommt man schnell auf den Boden der Tatsachen. Dann sieht man später, das sind eigentlich nur Wände und Straßen, dann war das kein Ort, sondern ein Zusammenspiel von Gefühlen, von Freunden, von an diesen Orten lebenden Personen, von der Zeit, von der Geschichte.

Heimat ist etwas Dynamisches und Nichtgreifbares. Deswegen wird Heimat im Buch auch in einer überspitzten Idee dargestellt. Worauf ich mich einlassen kann, ist „Heimatplanet“. Es gibt da dieses Essay des amerikanischen Astrophysikers Carl Sagan und darin beschreibt er die Erde als „pale blue dot“. Das bringt es für mich auf den Punkt, dieses Vergängliche, das gehört alles mit dazu.

 

Levent Kesik ist der Autor von der Anthologie „Reise ins ich…“ und dem Science Fiction-Roman „Alis vs. Aliens“.

 

Text: Binnur Çavuşlu
Fotos: Murat Surat

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